Spiel des Jahres 2010
Deadly Premonition (Red Seeds Profile in Japan) wurde am 29. Oktober 2010 in Europa für die Xbox 360 veröffentlicht. Die PS3-Version ist dem japanischem Markt vorenthalten. Entwickelt wurde das Spiel von Access Games, einer hierzulande recht unbekannten Spieleschmiede. Manch einer erinnert sich möglicherweise noch an Spy Fiction oder Ace Combat X.
Deadly Premonition zählt eigentlich zu den Spielen, an denen man entweder vorbeiläuft oder sie nach einem kurzen Blick auf das Backcover wieder gelangweilt zurück in das Warenregal stellt. Immerhin handelt es sich um einen Budgettitel, der schon zur Markteinführung für 28,49€ zu haben war und ohne einen Hauch von Marketing veröffentlicht wurde. Keine Chance gegen die Großen, gegen Call of Duty, Mass Effect, Alan Wake, Fallout, Heavy Rain, Castlevania, God of War, Super Mario Galaxy und so weiter und so fort.
Die Grafik ist grausam, der Soundtrack ganz nett aber oft fehl am Platz, die Animationen hölzern, Soundeffekte billig und eintönig. Und trotzdem halte ich dieses Spiel für das beste Spiel des Jahres 2010.
Dabei hatte ich diese Meinung nicht von Anfang an. Die ersten Spielminuten waren ein reinster Kampf, oder anders ausgedrückt: Ein Krampf. Die Steuerung ist furchtbar ungenau, einen Treffer zu landen grenzt zunächst an ein Glücksspiel, nach etwas Eingewöhnungszeit bekam ich das Problem aber in den Griff. Die Grafik erinnert an ein durchschnittliches PS2-Spiel, über Interfacedesign müssen wir erst gar nicht reden. Und trotzdem, irgendetwas faszinierte mich.
Zunächst ist da die Story, die enorm an die Kultserie Twin Peaks von David Lynch und Mark Frost erinnert. Ich zitiere den Werbetext des Herstellers:
“Deadly Premonition ist ein action- und spannungsgeladenes Horrorspiel, das den Spieler in der Rolle des Spezialagenten Francis York in die ländliche Stadt Greenvale im Nordwesten Amerikas versetzt. Dort soll Francis den brutalen wie rätselhaften Ritualmord an einer hübschen Frau aus dem ehemals sehr friedlichen Greenvale untersuchen. Umgeben von majestätisch in den Himmel ragenden Bergen und exzentrischen Stadtbewohnern, liegt es an Agent York, das Mysterium um die mit dem neuesten Mordfall verknüpften Red Seed-Morde zu lüften.
Schon bald bemerkt York, dass es um mehr als das geht und dass sein eigenes Leben stark gefährdet ist: Nicht wenige unheimliche Geschöpfe mit übernatürlichen Kräften wollen den Ermittlungen Yorks und seinem Dasein ein schnelles Ende setzen, von seltsamen urbanen Mythen, die plötzlich wahr werden, ganz zu schweigen.
Binner kürzester Zeit entwickelt sich das beschauliche Greenvale zu einem wahren Horrortrip mit vielen Überraschungen und unvorhersehbaren Ereignissen für Agent York. Dinge, die wahrhaftig das Blut in den Adern gefrieren lassen. Kann Francis York den Fall lösen und selber unbeschadet aus Greenvale entkommen?”
Auch ansonsten weist Deadly Premonition enorm viele Gemeinsamkeiten mit Twin Peaks auf. Die beklemmende Atmosphäre, die schrägen Charaktere, das B-Movie-Feeling. So redet Agent York ständig mit einer Stimmen in seinem Kopf, die er Zack nennt. Im übrigen ist die Sprachausgabe überraschend gut gelungen, zumindest in der englischen Version.
Trotz des enormen technischen Rückstandes zu aktuellen Triple-A-Titeln weißt das Spiel eine überraschend hohe Detaildichte auf. Die gesamte Umgebung ist frei befahrbar, alles kann erkundschaftet werden, zahlreiche Nebenmissionen warten auf einen, man entdeckt ständig etwas neues. Und irgendwie wirkt die Grafik nach einigen Minuten dann doch recht passend.
Und darin liegt wohl auch eine der wesentlichen Stärken von Deadly Premonition. Dank einer hervorragenden Story mit unglaublich dichter Atmosphäre und sehr schrägen, aber durchaus glaubwürdigen Charakteren verzeiht man dem Spiel seine groben Macken, die einen in den ersten Minuten nur so anspringen.
Mit der Zeit ergibt das Sounddesign einen Sinn, die Steuerung geht leichter von der Hand, Animationen und Grafik ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Man wird komplett von Greenvale vereinnahmt.
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Der Tages- und Nachtrythmus wirkt sich nicht nur auf die Optik, sondern auch auf das Spiel aus. So muss man in regelmäßigen Abständen etwas essen, irgendwann wird der Hauptcharakter müde. Dank Snacks und Kaffee kann man zwar auch mal die Nacht durchmachen, doch wird Agent York dann häufig von Wahnvorstellungen eingeholt, die die gesamte Umgebung verändern. Diese Spielmechanik erinnert ein wenig an Silent Hill. Auch bei Alan Wake wurde sich bedient. So sollte man nie zu lange in der Dunkelheit unterwegs sein.
Zahlreiche Personen bevölkern das kleine Örtchen und gehen ihren Tätigkeiten nach. Man kann ihnen quasi bei ihrer Arbeit zusehen. Die Stadt wirkt lebendig und nicht aufgesetzt wie bei dem ein oder anderem Open-World-Game. Mit Nebencharakter kann man sich austauschen, neues über die mysteriösen Vorfälle erfahren oder in Nebenmissionen verstrickt werden. Wenn man möchte kann man mehr als 50 Stunden in Greenvale verbringen, denn etwa so lange dauert es, bis man das ganze Spiel erkundigt hat.
Man beginnt etwas für Greenvale und seine Bewohner zu empfinden, man wird in diesen Ort hineingezogen, identifiziert sich möglicherweise mit einigen Charakteren, wird von der Geschichte vollkommen vereinnahmt.
Deshalb kann mit Deadly Premonition kann kein aktueller Triple-A-Titel mithalten. Denn Deadly Premonition merkt man sein Herz und seine Seele an, etwas was ich bei aktuellen Großproduktionen immer mehr vermisse. Viele werden Deadly Premonition hassen, es nach den ersten Minuten aus dem Laufwerk reißen und in die Mülltonne werfen. Doch einige werden erkennen dass sie da etwas ganz besonderes vor sich haben. Eine spannende Geschichte, etwas Einzigartiges, was einen lange faszinieren und fesseln kann. Bei Deadly Premonition handelt es sich um ein Juwel der Videospielegeschichte.
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Euer Arne.
xoxo