The Walking Dead: Episode 1

Oh, Zombie, Du entlaufene Monstermetapher in der Welt der Videospiel-Schießbuden. Du zum Level 1-Mob verlotterte Kritik an Konsum, Mediengesellschaft und Krankheit. Schlurf nicht in den Schatten, strecke stolz Deinen halb-abgetrennten Kopf und die angeknabberte Kinderfaust in die Luft: Telltale hat Deinen Sinn, Deine Funktion, Deine Seele begriffen. Mit The Walking Dead zeigt das Adventure-Studio, dass die Charaktere, die leben, sterben und leiden müssen, das Spannendste an Zombie-Apokalypsen sind.

Fabu

Im Gegensatz zu Kennern und Liebhabern des Originals konnte ich mich relativ unbelastet ins Abenteuer stürzen, da ich keinen Bezug zum Comic habe und somit auch die Fernsehserie weniger kritisch betrachte. Sicherlich könnte ich im Detail Kritikpunkte an den Tag legen (Carl Grimes, stirb!), aber diese beträchte ich dann in Relation zu meinem Verständnis für eine gute Serie — und nicht in Relation zur illustrierten Vorlage, deren Qualität ich nicht beurteilen kann und möchte. (Okay, so ganz unbelastet war ich dann wohl doch nicht, schließlich steckte mir noch Ekel und Fremdscham für Telltales Dinoraurier-Exkremente in den Knochen.)

The Walking Dead ist ein Action-Adventure, das relativ wenig klassisches Adventure in sich trägt. Es handelt sich eher um eine interaktive Geschichte, bei der der Protagonist hier und dort ein paar Hebel in Bewegung setzen muss, um die Story voran zu treiben. Das mag Freunde knackiger Rätselkost etwas enttäuschen, stellt in meinen Augen aber einen angenehmen Mittelweg dar, der Frustration beinahe gänzlich ausschließt, ohne den Spieler für vollkommen dumm zu verkaufen. Hier ist das buchstäblich Naheliegende auch das Naheliegende. Man wird nicht dazu genötigt, ein Flugticket zu organisieren, mit dem man dann in ein fremdes Land reist, um in einer Gruft einen Kaugummi zu finden, der unter den Tisch einer Bar gedrückt werden muss, damit der Schraubenzieher von einem Werkzeuggürtel-tragenden Gast kleben bleibt. The Walking Dead verzichtet auf künstlichen Längen dieser Art und konzentriert sich auf das Wesentliche: die Geschichte und ihre Charaktere. Und der Schraubenzieher ist in (fast) greifbarer Nähe, schließlich haben das Schraubenzieher so an sich.

Im Spielverlauf müssen diverse Male Entscheidungen getroffen werden, die den Anschein erwecken, sie hätten einen maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte. Tatsächlich geht es aber eher um den Einfluss auf das eigene Empfinden in Bezug auf Handlungsstränge und Charaktere. Vollkommen unabhängig davon, ob sich daraus tatsächlich neue Handlungsstränge ergeben oder nicht, halte ich das für einen cleveren Ansatz, den Spieler durch das partielle Integrieren persönlicher Entscheidungsprozesse in den Bann zu ziehen.


(Teil 1, Teil 2, Teil 3)

Ich habe an der ersten Episode etwa zwei Stunden gesessen und fühlte mich gut unterhalten. Temporäre Verwirrung oder Überfordung bei vereinzelten Action-Einlagen werden rasch verziehen und setzen quasi nahtlos vor dem Versagen an. Besagte Einlagen sind aber auch eher Mittel zum Zweck, nämlich das Vermitteln von Zeitdruck und Stress. Ich kann mir vorstellen, dass das manchem Spieler nicht gefallen wird, andererseits ist es ein recht übliches Stilmittel, um den Puls und die Aufmerksamkeit des (sitzenden) Konsumenten auf Trab zu halten.

Die Grafik-Engine von Telltale gehört zum alten Eisen — das ist kein Geheimnis und wurde in der Vergangenheit schon desöfteren bemängelt. Erstaunlicherweise konnten die Entwickler das gekonnt kaschieren, indem auf ein Comiclook mit starken Kontrasten und Outlines gesetzt wurde. Das passt nicht nur historisch betrachtet wie die Faust aufs Auge, sondern lässt die verhältnismäßig groben Texturen mehr gewollt und weniger technisch bedingt aussehen.

Wer eine Abneigung gegen Zombies hat, wird diese auch nicht durch Telltales Interpretation von The Walking Dead ablegen können. Aber wer eine Abneigung gegen Action-Sequenzen in Adventures hat, wird sich mit The Walking Dead arrangieren können. Als Belohnung wartet eine gut inszenierte Geschichte inklusive Cliffhanger und der Gewissheit, vier weitere Teile vor sich zu haben.

Dennis

Ähnlich wie Fabu hat mich Walking Dead begeistert. Telltale benutzen hier einen Ansatz, den ich auch schon in Gemini Rue sehr charmant fand: Im Alltag geerdete Puzzles im Adventure — der von Fabu erwähnte Schraubenzieher gehört natürlich in einen Zombiekopf — und ein starker Fokus auf Beziehungen zwischen Charakteren mit komplexen Persönlichkeiten.

Man nehme nur mal den Protagonisten Lee, ein des Mordes überführter Dozent, der bei jeder neuen Bekanntschaft abwägen muss, wie viel er von sich preisgeben darf. Hier greift Telltales Dialogsystem, das nicht Biowares Gut/Böse-Achse benutzt, sondern Spieler vor tatsächlich schwierige Entscheidungen über Vertrauen und Ehrlichkeit stellt. Das funktioniert, denn das Tempo und das Spielgefühl des Adventures passt hervorragend auf Spiele, die das Genre als erzählerische Form verstehen und nicht als Rätselsammlung.

Sorgen macht mir allerdings noch die Art, wie die versprochenen Konsequenzen letztendlich behandelt werden. So gut wie jede Dialogoption beeinflusst die Sicht anderer Figuren auf den mörderischen Dozenten Lee. An festgeschriebenen Momenten im Spiel muss zwischen Leben und Tod von bestimmten Charakteren entschieden werden. Für mich müssen Entscheidungen allerdings mehr Folgen nach sich ziehen, als nur kurz Spieler emotional zu berühren. Wenn es nur eine geringe Rolle für die Handlung spielt, wer lebt und wer stirbt, wer wem traut und wer nicht mit wem kann, dann braucht es diese Entscheidungen überhaupt nicht. Sie sind dann nur Beiwerk.

Telltale stehen für mich mit Walking Dead also an einem sehr spannenden Punkt. Sie versprechen eine Spieleserie, die auf Entscheidungen in moralischen Grauzonen basiert und Spieler ernst nimmt. Wenn Telltales es nicht schafft, spürbare Konsequenzen abzubilden, dann scheitert Walking Dead als unterhaltsames, wenn auch unbeeindruckendes Adventure. Wenn Telltale ihr Versprechen aber halten, dann wird Walking Dead eines der wichtigsten Adventures der letzten Jahre.

The Walking Dead ist für 24,95€ auf Steam für PC und Mac. Auf der PS3 gibt es die erste Episode für 4,99€, im deutschen Xbox Live Arcade ist The Walking Dead noch nicht erhältlich. Mehr Informationen gibt es auf der offiziellen Webseite.