Wayward Manor: Karneval im Spukhaus
Das Spukhaus lebt als literarisches Motiv besonders stark von einer steilen Spannungskurve. Einer oder mehrere Protagonisten beziehen ein verlassenes Haus und erleben dort unheimliche Dinge, die zu Beginn noch harmlos scheinen: eine Tür knarzt, ein Bild fällt von der Wand oder die Tür, die am Abend zuvor noch fest verschlossen war, steht am nächsten Morgen plötzlich offen. Meistens eskaliert die Situation dann relativ schnell, die Vorkommnisse werden bedrohlich, Leib und Leben der Hausbewohner geraten in Gefahr und am Ende frisst das Haus alle, die noch in ihm sind. Der Autor Neil Gaiman hat ein Herz für das Jenseitige, Bizarre und Paranormale, wobei seine Werke eine breite Palette verschiedener künstlerischer Färbungen abdecken: von den düsteren, morbiden und philosophischen Sandman-Comics bis hin zum Jugendbuch Coraline. Mit Wayward Manor hat Gaiman seinen Namen zum ersten Mal für ein Videospiel hergegeben.
Als Spieler übernehme ich in Wayward Manor nicht die Rolle eines Spukhaus-Bewohners, sondern eines ruhelosen Geistes, der eigentlich nur gemächlich sein Nachleben verbringen will. Dummerweise sind in seine Bleibe gerade die Budds gezogen, eine dysfunktionale Familie von viktorianischen Sonderlingen, die das Haus nutzen, um ihren Zwangsneurosen nachzugehen. Da sind beispielsweise Patience und Fortitude Budd, zwei Kinder, die nicht aufhören können, Süßigkeiten aus Futtertrögen in sich hineinzustopfen. Dann gibt es Theophilus Budd, ein paranoider Jäger, der auf alles schießt, das ein Geräusch macht. Und da ist Mildred Budd, eine übergewichtige, ältere Dame, der nichts wichtiger ist, als gut auszusehen. Als Geist ist es nun meine Aufgabe, die Eindringlinge aus meinen eigenen vier Wänden zu vertreiben.
Frei bewegen darf ich mich im Spukhaus dabei nicht. Stattdessen besteht das Spiel aus fünf Kapiteln zu je ebenso vielen Räumen. In jedem Raum gibt es ein paar neuralgische Punkte, die ich manipulieren kann. Wie von Geisterhand fallen so alte Schnapsflaschen aus dem Regal, ein Fenster öffnet sich und lässt den Wind herein oder eine alte Ritterrüstung knarzt vor sich hin. Ziel ist es nun, die Budds durch die Kombination dieser Elemente in Angst und Schrecken zu versetzen. Hierzu gilt es jeweils, die spezifischen Schwächen der Figuren auszunutzen, also etwa Mildreds Kleider zu ruinieren, die Kinder in ihre Süßigkeiten brechen zu lassen oder den wildgewordenen Jäger dazu zu bewegen, dass er in einem Tobsuchtsanfall das halbe Haus abfackelt. Die Entwickler von The Odd Gentlemen (The Misadventures of P.B. Winterbottom) stellen die Figuren dabei zunächst einzeln vor und kombinieren sie später, wodurch sich für den Spieler wieder neue Interaktionsmöglichkeiten ergeben.
Den meisten Spaß macht es dabei zweifellos, einfach wild herumzuprobieren: Ob es wirklich möglich ist, eines der Kinder in eine Mausefalle zu locken, kann schließlich nur das Experiment zeigen. Ebenso zu klären ist die Frage, ob Theophilus sich durch geschickte Anordnung verschiedener Gegenstände in den eigenen Hintern schießen kann. Gelingt eine solche Aktion, wird dafür ein Achievement verliehen. Abgesehen von diesen durchaus amüsanten Menschenversuchen an den Hausbewohnern bietet Wayward Manor jedoch leider nicht allzu viel Tiefe, obwohl de Entwickler sich alle Mühe gegeben haben, die Figuren in ihrer Schrulligkeit auszugestalten. Neil Gaimans Handschrift, dessen genaues Mitwirken am Spiel eher nebulös bleibt, ist aber kaum erkennbar und auch komplexere Gameplay-Elemente fehlen. Bleibt zu hoffen, dass es das Spiel noch auf mobile Endgeräte schafft – denn obschon es an Spieltiefe mangelt, ist Wayward Manor durch seine leichte Zugänglichkeit eigentlich ein ideales Spiel für unterwegs: genießbar vor allem in kleinen Happen.