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Hurra! Endlich sind auch Indiegames “in der Mitte der Gesellschaft angekommen”™. Der eindeutige Beweis dafür: Indie Games: The Complete Introduction To Indie Gaming, ein Mittelding zwischen kommentierter Einführung und Coffee Table Book im elegant gestalteten Hardcover. Ein waschechtes, analoges Werk über die digitale Nische – das kann man sich theoretisch auch in sein Bücherregal stellen, wenn es einem nur um die Optik geht. Regelmäßige Superlevel-Leser_innen und diejenigen, denen bei der Erwähnung von Titeln wie Fez, Super Meat Boy oder Minecraft ohnehin schon ein Licht aufgeht, sollten allerdings einen zweiten Blick riskieren.
In Sachen Aufbau gibt es an dem knapp 120 Seiten starken Buch, für das sich Vice-Spieleredakteur Mike Diver verantwortlich zeichnet, wenig zu bemängeln. Nach einer kurzen thematischen Einführung und Mediengeschichte versucht Diver – leider relativ erfolglos – den “Indie-Spirit” festzunageln und den heutigen Markt für Indiespiele zu skizzieren. Seine essayistischen Beiträge unterfüttert er mit aus teils von ihm selbst, teils anderenorts geführten Interviews mit Entwicklern und Branchenarbeitern wie dem Journalisten Simon Parkin (The New Yorker, The Guardian), Elite-Dangerous-Produzent David Braben oder Sean Murray, dem Kopf hinter No Man’s Sky. Während einige dieser Wortbeiträge durchaus mit Hintergrundinformationen und wertvollen Einblicken glänzen, gibt es erwartungsgemäß von den Vertretern der “Big Player” der Industrie wie Microsoft und Sony, die Diver zu ihren Bemühungen um den Indie-Sektor befragt, meist leere Worthülsen zu hören.
Die weiteren Kapitel füllt Diver mit Betrachtungen bestimmter Genres von Indiegames. Der Autor arbeitet sich an Weltall-Simulationen, Horror-Spielen, besonders emotionalen, abgedrehten oder schwierigen Titeln, sowie Spiele-Apps ab, bevor er einen Ausblick auf die Zukunft des Indie-Sektors wagt. Woran genau Diver die Auswahl gerade dieser Genres festmacht, legt er nicht offen. Immerhin deckt er damit ein relativ breites Spektrum ab, die Betrachtungen dazu lassen jedoch an Tiefe vermissen. Kein Wunder bei durchschnittlich zehn Seiten pro Kapitel, deren Layout zwar aufgrund großzügig eingesetztem Weißraum, angenehm lesbarer Schrift und zahlreichen Bildern optisch enorm ansprechend ist, den Informationsgehalt dadurch aber gleichzeitig auch einschränkt.
Dabei wäre es wünschenswerter gewesen, manche Spiele nicht nur mit zwei Sätzen abzufertigen, sondern besonders durchdachte Titel auch umfangreicheren Analysen zu unterziehen und Stimmen einzuholen, die nicht direkt von deren Entwicklern stammen. Als Quellen für seine Beobachtungen nutzt Diver vornehmlich Artikel von Online-Plattformen, eine richtige Literaturliste, wie ich sie in einer Einführung erwarten würde, fehlt leider. Ebenso eklatant ist der Mangel an weiblichen Stimmen in Divers Buch. Bis das erste Mal über ein Spiel einer Entwicklerin berichtet wird, habe ich die Hälfte des Buches schon hinter mir, direkte Zitate von Frauen kann man entspannt an einer Hand abzählen. Es ist zwar löblich, dass gerade für das Storytelling in Indie-Titeln wichtige weibliche Personen wie Nina Freeman, Anna Anthropy oder Zoe Quinn erwähnt werden, zu Wort kommt allerdings keine von ihnen.
Die Idee, Indiegames einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist löblich, und das gelingt Diver in Indie Games: The Complete Introduction To Indie Gaming auch ein Stück weit – vor allem, weil er sich nicht der boulevardesken Schreibe seines Arbeitsgebers bedient. Doch es fehlt an Stringenz. Diver wiederholt sich gerade in den Kapiteleinleitungen wieder und wieder, seine Beobachtungen bleiben oberflächlich und gehen nie über eine grobe Einführung hinaus. Weitere Leseanstöße werden nicht geliefert. Die breite Auswahl an dargestellten Spielen und die schöne Optik reißen das Ruder am Ende auch nicht mehr herum. “Introduction”: ja. “Complete”: leider nein. Für den Wohnzimmertisch und als unangestrengte, kurze Lektüre für einen Nachmittag funktioniert Divers erstes Buch allerdings durchaus.