Irgendwas mit Mass Effect 3 und George Lucas

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Mass Effect 3 endet nicht mit dem großen Knall wie es alle erwartet hatten. Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man sich die zahlreichen Tweets, Statusmeldungen oder Foreneinträge der letzten Wochen durchliest. Tatsächlich scheint das Internet weniger über das Spiel selbst, als explizit über den Abschluss der Trilogie zu diskutieren.

Wie dem auch sei, Bioware hat es irgendwie so halb abgekündigt, was “anonymen Quellen” bei Veröffentlichung des Titels schon durch das weltweite Netz geschrieen haben. Ein offizieller DLC mit dem vorläufigen Namen “The Truth” soll das ganze Debakel um Shepard irgendwie wieder ins rechte Licht rücken. Voraussichtlicher Erscheinungstermin: April.

Jetzt könnten doch alle wieder glücklich sein, Petitionen eingestellt und Spendengelder zurückgezahlt werden. Stattdessen bricht die nächste Welle der Empörung über Kanada herein. Wie kann es Bioware nur wagen ihr Produkt nachträglich zu verändern? Man hätte ja wohl direkt von Anfang an alles richtig machen können!?

Dieses Verhalten ist bezeichnend für einen Menschen, der Mitten in einem Umbruch, einer digitalen Revolution steckt, ohne es wirklich zu merken. Dabei ist der letzte Satz keinesfalls abwertend und herablassend gemeint. Wird sind es einfach nicht gewohnt, dass (Kunst-)Werke nachträglich verändert werden. Wir leben mit der romantischen Vorstellung, dass Künstler mit wenigen Pinselstrichen ein Werk für die Ewigkeit erschaffen, unveränderbar, unverbesserlich.

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Doch tatsächlich ändert sich ständig etwas um uns herum, alles wird stetig erweitert, verbessert, komplexer. Druckfehler in Büchern werden korrigiert, Erinnerung an Software-Updates erscheinen wöchentlich, wenn nicht sogar täglich auf unserem Monitor, Musik wird remastered und digital aufgeblasen. Scheinbar sind die Grenzen der Empörung fließend, abhängig von Konsument, Produkt und Schöpfer. Berühmtestes Beispiel: George Lucas und das nie vollendete Werk – die Star Wars Saga.

Als Lucas Ende letzten Jahres alle Star Wars-Filme als BluRay-Fassung veröffentlichte ging ein Aufschrei um. Ein “Nooooo”, um genau zu sein. Da hatte Lucas doch tatsächlich eine gesamte Szene ruiniert, nur in dem er Darth Vader ein alltägliches Wort in den Mund legte. Und die Kneipen-Szene aus Episode IV war auch nicht mehr das, was sie einmal war. Von den ganzen digitalen Erweiterung mal ganz abgesehen.

Viele empfinden die ständige Arbeitswut von George Lucas, die sicherlich nicht nur von Perfektionismus sondern auch von finanziellen Interessen getrieben ist, als unerträglich. Ich denke, wir müssen uns damit abfinden. Und zwar nicht nur im Speziellen sondern im Gesamten. Produkte werden in Zukunft immer stärker, immer häufiger verändert. Teilweise auf Wunsch des Konsumenten, teilweise aus Gründen die nur der Produzent kennt. Zu mächtig sind die Tools geworden, zu schnell der Workflow, als das es Schöpfer nicht ständig in den Fingern jucken würde nachzubessern.

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Dies lässt sich schon länger in der Kunst beobachten. Ständig gibt es “Mash-Ups”, “Remixe” und “Features”. Künstler wie Georg Baselitz kopieren sich selber und bessern in diesem Prozess direkt noch alte Fehler früherer Werke aus. Musikbands müssen ihre größten Erfolge nicht nur remastern oder sogar komplett neu einspielen sondern führen unter dem Deckmantel eines “Anniversary-Happenings” den ganzen Kram sogar noch mal live auf. Und das natürlich in reifer, besser und vor allem: Fehlerfrei.

Und das ist okay, Perfektionismus ist zu respektieren. Manchmal scheint jedoch mehr als eine beeindruckende Charaktereigenschaft dahinter zu stecken, wenn große Unternehmen nachträglich aufsetzbare Analog-Sticks für ihre Handhelds veröffentlichen. Aber muss ja jeder selbst wissen, ob er für so etwas Geld ausgeben möchte.

Und irgendwie ist das auch der Schlüssel zu diesem ganzen Dilemma, das ja eigentlich gar keines ist, sondern nur eine unabwendbare, logische Entwicklung. Wir können immer noch selbst entscheiden, wem wir unser Geld geben. Denn für gewöhnlich kann ich mich zwischen Version 1.0 und 1.1 entscheiden. Unzufrieden mit der Star Wars-BluRay-Edition? Dann kauf dir doch einfach die Laserdisc-Fassung auf ebay. Windows 8 sieht total blöd aus und Quadrate sind eh so was von 2005? Kein Problem, der Vorgänger wird ja noch bis 2020 unterstützt. Auf 1080p-Lichtschwerter und Supadupa-Taskmanager muss dann allerdings verzichtet werden. Alles hat einen Haken.

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Trotzdem tut es uns weh, wenn Werke nachträglich verändert werden. Und je älter diese sind, desto größer ist der Schmerz, denn auch desto größer ist die Identifikation, die wir mit ihnen eingegangen sind. Wir definieren uns über Musik, Bücher, Filme, Videospiele und zahlreiche andere (Konsum-)Güter, die wir über die Jahre ansammeln. Werden diese modifiziert, verschiebt sich unser Selbstbild. Dass, was wir nach außen darstellen. Diese Modifikationen müssen aber nicht nur negativ vorbelastet sein. Freunde von Silent Hill und Metal Gear Solid können sich über hervorragende HD-Editionen erfreuen, die die alten Meisterwerke sogar noch besser zur Geltung bringen. Auch das ist möglich. Und es wird vom Publikum für gewöhnlich dankbar angenommen.

Bei diesem aufgezeigten Gedankengang ist natürlich die Unterscheidung zwischen kommerziellen Produkt und individuellem Kunstwerk nicht zu unterschätzen. Kunst entsteht meistens wegen dem und für den Künstler. Er erschafft ein höchst persönliches Werk, aufgeladen von Emotionen, Erinnerungen und Visionen die möglicherweise nur er kennt. Hier kommt auch die besondere Eigenschaft von Kunst zu tragen, dass Kunst nicht an einen Zweck oder eine Funktion gebunden ist, ganz im Gegensatz von zum Beispiel Design oder einem Produkt. Es entsteht ein seltsames Paradoxon, welches zu einem Konflikt zwischen Schöpfer und Betrachter führt. Einerseits ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn der Künstler seine Kreation nachträglich bearbeitet. Er möchte sie verbessern, stetig zur Perfektion führen. Immerhin ist es seine private Schöpfung, er darf damit machen was er will. Trotzdem führt dies zu Empörung beim Fachpublikum. Warum etwas verändern? Es ist doch schließlich fertig und daran soll auch bitteschön nicht mehr rumgefummelt werden. Möglicherweise hängt diese Reaktion aber auch mit der Kommerzialisierung einer uralten kreativen Ausdrucksform zusammen. Womit eine Unterscheidung zwischen Produkt und Kunst wieder etwas mehr verschwimmt, denn nicht umsonst schwellen immer wieder Diskussionen über den Sachverhalt an, ob Videospiele nun Kunst, Kultur oder nur Unterhaltung sind.

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Mass Effect 3 stellt daher nur ein frühes Paradebeispiel dar, was in naher Zukunft in der Videospieleindustrie möglich sein wird. Das Nachpatchen von Elementen, die über technische Komponenten hinausgehen, das Zerkleinern und Aufteilen von Gesamterlebnissen in kostenpflichtige DLCs. Und darin sehe ich das eigentliche Problem, im Zusammenhang mit einer unangenehmen Entwicklung, die bei vielen aktuellen Produkten einen faden Beigeschmack herbeiführt. Denn sollten Entwickler in Zukunft immer weniger Zeit haben, ihre Produkte zufriedenstellend abzuschließen, könnte es für den Konsumenten zur Gewohnheit werden nicht nur technische Software-Patches sondern auch nachträgliche Änderungen in Story oder Gameplay in Kauf zu nehmen. Für die er möglicherweise sogar extra zahlen muss. In Anbetracht dessen finde ich es eigentlich ganz okay, dass man in jeder Ecke des Internets grade über grummelnde Gamer stolpert. Auch wenn ich Mass Effect 3 noch gar nicht gespielt habe und überhaupt keine Ahnung habe worum es eigentlich geht.