Re: Next Level Conference 2013

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„Möchten Sie ein Foto von meiner Stadt machen?“, fragt mich ein älterer Herr mit schlohweißem Haar, der am Stammtisch einer Dorfkneipe nicht fehlplatziert wirken würde, und nun fast regungslos vor einem großen Bildschirm verharrt, um mit viel Liebe zum Detail sein eigenes Sci Fi-Imperium aufzubauen. Während er einen überdimensionierten Brunnen in eine ansonsten fast öde anmutende Landschaft setzt, behält er konzentriert das übrige Geschehen im Blick, beobachtet die Entwicklung seines Volkes, befasst sich mit profanen Angelegenheiten wie der Steuer- und Ressourcenverwaltung. Neben ihm sitzt ein junger Mann, ebenfalls vor einem Laptop, um das Geschehen mitzubestimmen.

Und auch ich hätte mich am liebsten auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten niedergelassen, andächtig auf Journeys Sandlandschaften geblickt, in Guacamelee Faustschläge verteilt oder die Erzählstruktur von The Stanley Parable durcheinandergewirbelt. Doch anstatt durch eine eng umrissene Spielwelt, bewegte ich mich durch die scheinbar von festen Gesetzmäßigkeiten gelösten und mit einem kakophonischen Soundtrack unterlegten Räumlichkeiten eines ehemaligen Brauereigebäudes.

Next Level Conference 2013

„Well, come to the next level conference“, lautete die auf Flyern wie Postern prangende Aufforderung, also machte ich mich am vergangenen Wochenende auf, um vom verschneiten Rheinland ins verregnete Ruhrgebiet zu reisen. Seit diesem Jahr nicht mehr in Köln, sondern in Dortmund gastierend, ließ die Next Level Conference keinen Zweifel an ihrem inhaltlichen Fokus offen. Bereits in dem siebenstöckigen Rolltreppenhaus des Dortmunder U schickte sie die etwa 500 Teilnehmer_innen auf eine nostalgische Reise durch die Videospielhistorie: Ich zog vorbei an Straßenkämpfern, Klempnern und Klötzen und erwehrte mich zunächst krampfhaft ihrer Anziehungskraft. Ein Kampf, den ich später verlieren sollte.

Die Konferenz allerdings bot nicht nur einen verklärten Blick in die Vergangenheit, sondern in erster Linie einen wachen auf die Gegenwart und einen ebenso spekulativen wie optimistischen auf die zukünftige Entwicklung des Mediums. Wissenschaftler_innen trafen dort auf Game Designer_innen, Künstler_innen auf Pädagog_innen und Pressevertreter_innen auf jene, die einfach gerne spielen. Gemein schien ihnen der Wunsch nach mehr Austausch, Reflexion und nicht nur einer technischen, sondern vor allem auch inhaltlichen Weiterentwicklung des Mediums zu sein.

Schwerpunkte gab es kaum, stattdessen ein beeindruckend breites Themenspektrum, das binnen zweier Tage abgedeckt wurde. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch eine Keynote von Markus Haberkorn, dessen Vortrag „Spielräume eröffnen – Gamification in Bildungskontexten“ auf die Motivationsanreize verwies, die Spiele nicht nur im privaten, sondern auch im institutionellen Raum mit sich bringen können. Ihm zufolge bietet das Spiel als regelbasierter, künstlicher Konflikt ein ideales Umfeld für Bildungsinhalte – zumal sie zahlreichen Vertretern des Mediums bereits zugrunde liegen. So könnte Angry Birds spielerisch die Gesetze der Schwerkraft vermitteln, Civilization als sinnvolle Ergänzung zum Geschichtsunterricht dienen. Zudem eröffneten sich hier neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung und der Bewältigung alltäglicher Aufgaben: Skilltrees als Manifestation des eigenen Lernfortschritts in Sprachschulen, Achievements als Anreiz für launische Kinder, ihre Hausaufgaben oder den Abwasch zu erledigen. „Brokkoli mit Zuckerguss“, gewissermaßen.

Next Level Conference 2013

Dass Spiele bereits in ihrer bestehenden Form, unabhängig von einer spezifischen Nutzung als Bildungsinstrument, ganze Karrierewege ebnen können, führten die anschließenden Vorträge vor Augen. So avancierte der E-sport in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Phänomen, das immer mehr Menschen zusammenführt, die das Spielen als Profession begreifen. Dass sich darunter zunehmend auch Frauen befinden, ist längst kein Geheimnis mehr. Das Thema „Women ‘n’ Games“ ist nichtsdestotrotz ein komplexes, dem sich an jenem Wochenende gleich zwei Veranstaltungen verschrieben: Während zunächst am Freitag in der Branche tätige Frauen von ihrem persönlichen Werdegang berichteten, bot die Bloggerin Helga Hansen einige Erklärungsansätze dafür, dass die Branche nach wie vor als Männerdomäne gilt.

Selbst mit Spielen wie Counterstrike und No One Lives Forever sozialisiert, erkannte sie bald, wie in der Konstruktion und Rezeption von Spielen Männlichkeit als Status Quo erhalten und verteidigt wird. Nach einem Einblick in jene Methoden, mit denen Geschlecht nach wie vor konstruiert und abgregrenzt wird – etwa durch kodierte Kleidung, Gestik und Mimik oder auch Farbcodes – zeigte sie die Differenzen in der Darstellung von männlichen und weiblichen Figuren und Möglichkeiten auf, diese Konzepte zu durchbrechen. Sie verwies dabei nicht nur auf die fortlaufenden Diskurse zum Thema, angetrieben unter anderem von Anita Sarkeesian und ihrer Videoserie über Tropes vs. Women in Video Games, sondern auch auf die Möglichkeit, bereits bestehendes Material zu modifizieren – sei es nun über Gender Swap Mods oder Retuschearbeiten. Die im Anschluss mit dem Publikum geführte Diskussion verdeutlichte, dass nach wie vor Aufklärungsbedarf besteht, aber auch – fernab des bekannten Reaktionskanons vermeintlich pubertärer Testosteronbomben – Interesse und Offenheit.

Überhaupt nahm ich gerade jene Gesprächsrunden und die in ihnen zutage tretende Vielfalt fundierter Meinungen als besondere Stärke der Konferenz wahr. Auch wenn das immerfort herbeizitierte Mantra „Spieler sind keine pickeligen, einsamen Nerds“ spätestens nach der dritten Wiederholung die Frage aufwarf, ob es nicht möglicherweise jeglicher Existenzgrundlage entbehrte. Glücklicherweise zeigten sich demgegenüber die übrigen Thesen deutlich mannigfaltiger und kontroverser.

Next Level Conference 2013

Hier wurde, so schien es, das gesamte Spektrum des Mediums angedeutet und zugleich bescheiden auf dessen kaum erfassbare Variationsbreite verwiesen. Probleme wurden benannt und diskutiert – ein Prozess, dem keine unmittelbaren Lösungen folgten, der aber dazu anregte, sich ihnen beständig anzunähern, theoretisch wie praktisch. Optionen wurden diskutiert und ausgetestet, sei es durch experimentelle Spielkonzepte im digitalen Raum oder auch die Umkonzipierung der Ausstellungsfläche zum Spielfeld. Nach einer Einführung in die Konzeption von Spielen und einem Vortrag über das spielerische Erfassen des öffentlichen Raums, machte sich die Gruppe des „Street Games“-Workshops auf, sich auf eben diese Weise die zweite Etage des Dortmunder U zu erschließen. Als „Shadowsurfer“ bewegten wir uns durch die Schlagschatten nichtsahnender Konferenzteilnehmer_innen von einem Start- zum Zielpunkt und stellten fest, wie einfach gestrickt komplexe Herausforderungen sein können, wie wenig es braucht, um jemanden gleichermaßen zu fordern und zu unterhalten – tatsächlich oft noch nicht einmal ein Gamepad.

Es scheint, als brächte die Zukunft der Videospiele jede Menge Experimentierfreude mit sich. Nicht zuletzt Werkzeuge wie die Storytelling-Software Twine ermöglichen es immer mehr Menschen, eigene Ideen spielerisch zu vermitteln. Und selbst wenn dessen Außenwirkung, wie die Spieleentwicklerin Linda Kruse nüchtern feststellte, aktuell noch gering ausfallen mag, hat sich doch längst ein lebhafter Spielemikrokosmos herausgebildet, der durch immer neue Einfälle beeindruckt und leichter zugängliche Vertriebsplattformen eine beständig wachsende Klientel erreicht. Fast immer tauchen in diesem Zusammenhang der Kunstbegriff und die nimmermüde diskutierte Frage auf, ob Spiele Kunstwerke sein können, oder nicht.

Während des Abschlusspanels am Samstagabend ging die sechsköpfige Gesprächsrunde einen Schritt weiter, hinterfragte genau diesen Denkprozess und die Annahme, man müsse sich das Label „Kunst“ verdienen, obwohl Kunst doch per se frei in ihrer Form sein, keinen strikten Regeln unterliegen sollte. Zurückzuführen sei dieses Paradox wie auch das generelle Unverständnis, mit dem viele Menschen auch heute noch dem Medium gegenüberstehen, möglicherweise schlicht auf fehlende Kompetenzen seitens der Kritiker_innen, so die einhellige Meinung.

Next Level Conference 2013

Zugleich gebe es zu wenige wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten für sperrige Ideen, die zwar keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolg erzielen, für eine diverse (Spiele-)Kultur aber unabdingbar seien. Die möglicherweise dazu beitragen könnten, eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen, um ganze Familien dazu zu animieren, in einen gemeinsamen Wettbewerb zu treten, fremde Welten zu durchstreifen oder Rätsel zu lösen, um, und so schließt sich der Kreis, eventuell auch Einzug in unser Bildungssystem zu halten. Im Dortmunder U wurde am vergangenen Wochenende sicher ein kleiner, aber wertvoller Teil zu dieser Entwicklung beigetragen.

Die Next Level Conference sei ein „Möglichkeitsraum“, sagte abschließend Dr. Christian Esch, der Direktor des NRW KULTURsekretariats. Besser lässt sie sich kaum beschreiben.


Die Next Level Conference ist eine seit vier Jahren alljährlich stattfindende Veranstaltung, die vom NRW KULTURsekretariat ausgerichtet wird, und allen Interessierten ein zweitägiges Programm mit Vorträgen, Diskussionen, Ausstellungen und Workshops rund um das Thema (digitale) Spielkultur bietet. Weitere Fotos von der diesjährigen Konferenz findet ihr in meinem Blog.