Super Sad True Love Story
Wir schreiben hier ja eigentlich nur über Videospiele und andere digitale Kulturgüter. Aber manchmal muss man auch von anderen Dingen berichten, weil sie toll, wichtig und relevant sind. Und sehr wahrscheinlich dem ein oder anderen Leser dieses Blogs gefallen werden.
Super Sad True Love Story von Gary Shteyngarts erschien Mitte letzten Jahres und wurde von mir gekonnt ignoriert. Erst ein Gutschein und eine Empfehlung von meiner Mutter führten mich und das Buch zusammen. Ich stürzte mich in den Text ohne Informationen und Vorkenntnisse über die Geschichte, die Figuren oder den Autor. Möglicherweise beeindruckten mich die ersten Seiten daher schon so stark, vielleicht hinterließ das Buch daher einen so bleibenden Eindruck, dass mir noch Woche später Zitate und Szenen durch den Kopf schwirren und ich jetzt etwas darüber schreiben möchte.
Die in naher Zukunft angelegte Liebesgeschichte zwischen dem 39-jährigen Lenny Abramov und der 15 Jahre jüngeren Eunice Park lebt nicht nur durch grundverschiedenen Charakterzüge der beiden Figuren, sondern erhält seine eigentliche Spannung erst durch die äußeren Geschehnisse. Die USA droht unter Überschuldung und Hyperinflationen zusammenzubrechen, das hochtechnologisierte New York steht vor einem Umbruch und seine Bewohner starren fast ausschließlich auf ihre “Äppäräte”, dem Nachfolger des Smartphones.
Die Geschichte wird durch Tagebuch-Auszüge von Lenny und dem digitalen Nachrichtenverkehr von Eunice erzählt und weist damit schon auf den Generationskonflikt der beiden hin. Bücher lösen bei ihr Unbehagen aus und der Literaturliebhaber Lenny besprüht daraufhin seine gesammelten Werke mit Parfüm, um den von der jüngeren Generation verachteten Geruch alten Papiers zu übertünchen. Bücher stinken, shoppen ist besser.
GlobalTeens, Shteyngarts Interpretation eines zukünftigen Facebooks, ist nicht nur Kommunikationsknotenpunkt Nummer 1, sondern allumfassendes Charakterprofil mit entsprechenden Bewertungen, Kreditwürdigkeits-Indikator und Fickbarkeits-Ranking. Das Leben ist noch schneller geworden, jede Kleinigkeit wird gestreamt und gescannt, die Welt durch einen Gatekeeper, den Äppärät wahrgenommen.
Lennys stetige Auseinandersetzung mit dem Tod und der Angst zu sterben bilden einen krassen Kontrast zu seinem in Bewegungsunschärfe verschwimmenden Umfeld, das nach ewiger Jugend, Schönheitsidealen und Unsterblichkeit ringt. Eunice, bildhübsch, kalt und intelligent zugleich versinkt stattdessen in Irrungen und Wirkungen ihrer Gefühlswelt, dem Konflikt mit ihren koreanischen Eltern und diverser Shoppingseiten von JuicyPussy und AssLuxury.
Die Schreibweise Shteyngarts, gepaart mit der Fähigkeit, sich glaubwürdig in seine Protagonisten hineinzuversetzen, erschaffen ein sehr lebendiges und vielschichtiges Bild von Lenny und Eunice und machen die Charaktere nahezu greifbar. Besonders die zahlreichen impulsiven, verspielten und teilweise schludrigen Nachrichten von Eunice stechen hier hervor.
Gary Shteyngarts Super Sad True Love Story ist tatsächlich ziemlich traurig. Und im gleichen Moment lustig, erschreckend und echt. Die entworfene Zukunft, der heimliche Star des Buchs, ist in vielen Aspekten nicht sehr weit von unserer Gegenwart entfernt und wird besonders Personen faszinieren, die eh viel Zeit im Internet und mit modernen Technologien verbringen und gleichzeitig der Selbstreflektion fähig sind.
Die gebundene Ausgabe ist in jedem Buchladen erhältlich, die weniger stinkende digitale Fassung ist für 16,99 zu haben.