Die besten Beiträge des Internets zum Appstore-Erfolg "Flappy Bird",
präsentiert als Drama in fünf Akten.
Wenn man Samstagnacht mit Videospielen und Käsefondue verbracht hat, gelüstet es einem am darauffolgenden Morgen nach Ausschlafen, Kaffee und guter Lektüre. Für Schlaf und Kaffee müsst ihr selber sorgen, doch zumindest bei letzterem können wir behilflich sein: Das heutige w00t zum Sonntag versammelt die besten journalistischen Beiträge zum Appstore-Erfolg Flappy Bird. Ein Drama in fünf Akten.
Akt 1: FlappStore
Der vietnamesische Indieentwickler Dong Nguyen programmiert ein Spiel namens “Flap Flap”, das man als Helicopter mit grafischen Referenzen an “Super Mario Bros” beschreiben kann. Es erscheint am 24. Mai 2013 als “Flappy Bird” (kostenlos, mit Werbebannern) im iOS-Appstore. Kaum jemand interessiert sich dafür.
Flappy Bird is out now! http://t.co/bnU1g2vGSb
— Dong Nguyen (@dongatory) May 24, 2013
Monate vergehen, bis im Januar 2014 das passiert, was Marketingexperten mangels brauchbarer Erklärungsmodelle als “viralen Erfolg” bezeichnen. Flappy Bird erscheint plötzlich in den Appstore-Charts. Immer mehr Menschen laden das Spiel herunter, erste Journalisten werden auf das Spiel aufmerksam. Beiträge wie FLAPPY BIRD – DONT PLAY THIS GAME von YouTube-Star PewDiePie feuern die Bekanntheit weiter an.
28 Days of Fame: The Strange, True Story of ‘Flappy Bird’
“It is the perfect example of how a mundane app with an addictive premise can go viral, thanks to social media and word of mouth. What’s more, Flappy Bird was a success because it didn’t fit the mold. Anyone trying to create the next Flappy Bird will likely fail — this was a perfect storm of circumstance, luck and viral drive.”
Akt 2: Warum? Warum?!
Das Phänomen Flappy Bird überfordert Spielerinnen und Spieler, aber auch Journalisten und Journalistinnen sind ratlos. Wie kann ein so simples Spiel so erfolgreich sein?
Flappy Bird is proof that no one knows what the audience wants
“Years from now, whenever an executive talks about how they’ve cracked the code for keeping players hooked and reeling in the whales, or a marketer begins laying out their intricate plan to make some game a viral success, or a game developer talks about refining their addicting new mechanic, there will be one exception to their plans and models and “industry wisdom” so large they’ll always have to mention it: Flappy Bird.”
Flappy Bird ist ein Rätsel ohne Lösung. Die Erklärungsversuche reichen von datengestützter Verschwörungstheorie bis zu den poetischen Ausführungen eines Ian Bogost.
The Squalid Grace of Flappy Bird
“Flappy Bird is not amateurish nor sociopathic. Instead, it is something more unusual. It is earnest. It is exactly what it is, and it is unapologetic. Not even unapologetic—stoic, aloof. Impervious. Like a meteorite that crashed through a desert motel lobby, hot and small and unaware.”
Ein Artikel von “The Verge” lässt schließlich die Stimmung kippen: Indie smash hit ‘Flappy Bird’ racks up $50K per day in ad revenue. Eines der wenigen Interviews mit dem medienscheuen Entwickler offenbart der Welt, dass millionen Downloads zu Werbeeinnahmen führen können. Das Internet explodiert in einer Wolke aus Hass.
Akt 3: Internet hate machine
Ein Mensch steht auf einmal im Zentrum des Medieninteresses. Presseanfragen, überquellende Postfächer; Reviews, Videos und Tweets voller Wut, Neid und Missgunst. Wie sich das anfühlen kann, beschreibt Indieentwickler Mike Bithell (Thomas Was Alone):
On Success
“The internet will hate you. Because you’re fat. Because you’re ugly. Because you’re hot. Because you are a woman, or god help you, a person of colour. They will believe you don’t deserve it. They will chase you down, find out personal info, the works. Journalists and bloggers might weigh in too, if they think it’s worth the clicks.”
Eine dieser journalistischen Glanzleistungen stammt von Kotaku. Später entschuldigt sich der Autor für sein Pamphlet. Doch das Unheil nimmt längst seinen Lauf.
I am sorry 'Flappy Bird' users, 22 hours from now, I will take 'Flappy Bird' down. I cannot take this anymore.
— Dong Nguyen (@dongatory) February 8, 2014
Dong Nguyen reagiert, er entfernt Flappy Bird aus den Appstores. Das Spiel hätte süchtig gemacht, er fühle sich dafür verantwortlich.
Flappy Bird Creator Dong Nguyen Says App ‘Gone Forever’ Because It Was ‘An Addictive Product’
“In mulling whether to pull Flappy Bird, Nguyen said that it was guilt – atop the fact that “my life has not been as comfortable as I was before” – that motivated him. “I couldn’t sleep,” he said. He added that his conscience is relieved; he spent the past few days, Internet-free, catching up on slumber.”
Falls diese Aktion den Rummel um Flappy Bird beenden sollte, das Gegenteil ist der Fall. Alles wird schlimmer.
Akt 4: Why can’t we be friends?
Wie macht man uninteressante Dinge interessant? Indem man große Verbotsschilder aufstellt. Die Presse überschlägt sich. Meldungen, dass Flappy Bird den Appstore verlässt, schaffen es bis zur Tagesschau. Dong Nguyen sieht sich mit Todesdrohungen konfrontiert. Technisches Unverständnis sorgt dafür, dass die Entfernung aus dem Appstore mit einer Fernlöschung verwechselt wird. Menschen auf der ganzen Welt sind überfordert damit, wie ein anderer Mensch ein geruhsames Leben dem Traum von Geld und Ruhm vorziehen kann.
Why Indie Developers Go Insane
“Well, I promise you, there are things that money can’t buy. If you are going mad, you can’t buy yourself sane. Some people can take this sort of attention. Not everyone. And some people can take it, but it makes them … weird.”
Spieleentwickler und Journalisten rufen zur Vernunft. Erinnerungen an Phil Fish und die Arschlochgamer werden wach.
Our Internet Empathy Problem
“A combination of legal, technological, and societal changes are needed to make the Internet a safer place, especially for critical, dissenting voices. You shouldn’t have to put up with death threats on the Internet, and individuals shouldn’t be allowed to get away with them without a reciprocal impact.
“
Schlussendlich bringt es Ryan Letourneau auf den Punkt:
Akt 5: Meta Bird
Der leere Platz an der Spitze der Appstore-Charts bleibt nicht lange frei. Die Stores werden zur Zeit von Flappy-Bird Klonen geflutet. Der Erfolg zieht allerdings auch seriöse Nachahmer an. Im Solidaritäts-Projekt Flappy Jam experimentieren Spieleentwickler mit der Flappy Bird-Formel. Das Motto: “Have fun, be supportive. Hate must not win.”
Flappy Bird and inspired cloning: Indie devs explore what made a controversial game fun
“And this is why jams have such worth for developers, and why they often seem like a go-to solution for so many things. It’s useful to look at a game like Flappy Bird and strip it down to its component parts, to try to figure out what makes it enjoyable, and to then to play with those ideas to see what comes out the other end.”
Highlight des Flappy Jams ist Terry Cavanaghs Maverick Bird und zeigt, welche Qualität in Flappy Bird steckt (und wie wichtig Style ist).
Flap, Jacked – Terry Cavanagh’s Maverick Bird
“No bugger would have written angry editorials about this, even though its core is the same experience. Maverick Bird states and proves, so damn clearly, ‘this is why people liked Flappy Bird.’ And that, I think, is all that ever needed saying.”
Eine abschließende Analyse des Dramas liefert Mattie Brice. Die Aufregung um Flappy Bird zeige die Obsession der gesamten Spieleindustrie mit dem kommerziellen Erfolg. “Indie” sei das nicht.
Our Flappy Dystopia
“Most indie games strive to be addictive entertainment just like AAA ones do and employ similar kinds of people with a shared background. Indies can stay because they don’t threaten how big business works; instead, they merged right in with it.”
Sämtliche Artikel sind übrigens in hübsch aufbereiteter Version zum Nachlesen für eure elektronischen Lesegeräte verfügbar. (Kindle / Epub) Viel Spaß beim Lesen!
9 Kommentare zu “w00t zum Sonntag: Drama Bird”
2 Trackbacks zu “w00t zum Sonntag: Drama Bird”
Kommentare sind geschlossen.
Mich hat ja vor allem die Denke hinter bestimmten Artikeln irritiert. Es scheint unglaublich schwer zu sein, erstmal nicht anzunehmen, dass Menschen Arschlöcher sind. Zumindest für manche Redakteure.
Lustig ist auch die ganze Welt der Business- und Appstore-Marketing-Blogs, die, von den Ereignissen sichtlich erschüttert, irgendwie versuchen, das alles in ihre 0/8/15-Abzock-Denkmuster zu pressen. Dann ist das ganze entweder gekauft oder eine geniale Kampagne einer großen Firma oder, oder, oder. Gleichzeitig versuchen sie Nguyen die Erfolgsgeheimnisse, das Spiel oder wenigstens die Namensrechte abzukaufen.
Zumal diejenigen, die gekaufte App Store-Reviews oder niedere Absichten unterstellen, auf ihren eigenen Seiten häufig dadurch glänzen, hauptsächlich “Artikel” zu schreiben, die aus der Feststellung es gäbe ein Update für App XYZ und einem Referer-Link bestehen.
Das ist alles so absurd…
Supergute (wenn auch etwas flappsige) w00t-Ausgabe. <3
Wenn man mal drüber nachdenkt und dabei ein, zwei Schritte von diesem ganzen Flappy-Bird-Quatsch Abstand nimmt, stellt man vielleicht die Bedeutungslosigkeit dieser Sache fest.
Ja, ich hab’s auch gespielt (HS:10) und mir hat’s keinem Spass gemacht. Und nein, ich neide Dong Nguyen weder angebliche 50k€ am Tag (Er ist jetzt reich?! Na und? Ist anderen auch schon passiert. Mir nicht… But who gives a fuck?), noch seine Entscheidung an seinem einfachen Leben festzuhalten. Zugegeben, das klingt auch für meine Ohren fast zu gut, zeugt aber von menschlicher Größe. Dafür bekommt der Mann meinen Respekt!
Möchte noch mal auf diesen sehr interessanten Artikel verweisen:
Flappy Bird by the Numbers -- http://zachwill.com/flappy-bird/
Der Artikel ist oben verlinkt, beschriftet mit “Verschwörungstheorie”. :) Während die nackten Zahlen tatsächlich ganz interessant sind, sind die Schlussfolgerungen und Unterstellungen dieses (und des Artikels, auf den er sich bezieht) reine Kaffeesatzleserei. Klar, einen Scam kann man nie ausschließen. Aber dass ausgerechnet ein relativ mittelloser Programmierer bei einem mehrere Monate alten Spiel eine erfolgreiche Manipulation von Downloads und Reviews durchzieht, während es all denen, die das seit Jahren versuchen, nie gelungen ist… hm, nunja.
ich glaube, dass ist bullshit, was der kollege da erzählt. zurück zum simplen leben? ach was!
wenn man sich die werbeeinbindung in dem game ansieht, dann kann das nicht ok sein. die werbung wird beim ersten tap ausgeblendet… in einem spiel, in dem man permanent tappt? das kann der werbepartner nicht so gewollt haben.
wenn ich vom plötzlichen erfolg überrollt werden würde und die werbung falsch eingebunden hätte -- vielleicht würde ich das spiel auch schnell der kontrolle entziehen. vorher noch schnell einen 22 stunden hype lostreten um dann von der install-base noch ein paar wochen zu leben. . genau so hat ers gemacht!
meiner meinung nach hatte er schiss, dass sie ihm das geld wieder wegnehmen.
Du kannst ihm natürlich unterstellen, ein Lügner zu sein. Ich halte das aufgrund der Interviews für ein wenig gewagt, aber ich kenne den Herren persönlich so wenig wie Du. Nun gut, wenn Du ihm unterstellen willst, dass seine Motivation Geld ist, kannst Du das tun.
Schauen wir uns mal das an, was wir wissen:
-- Eine Platzierung in den Appstore Top 10 ist wertvoll. Wir reden hier nicht von “läppischen” 50k$/Tag, sondern von einer knappen Millionen pro Tag. Das sind zumindest die Schätzungen, die es für Candy Crush gibt.
-- Die Entfernung aus dem Appstore verhindert nur neue Downloads. Alle installierten Flappy-Birds (Millionen, weltweit) zeigen weiterhin die Werbung an, wie gehabt. Ärger mit den Werbenetzwerken geht man mit einer Entfernung nicht aus dem Wege.
Du sagst also, Dong Nguyen befürchte, dass die Werbenetzwerke kein Geld auszahlen, weil die Einbindung in Flappy Bird etwas phishy ist. Gut. Aber was soll es dann bringen, die Werbung in den installierten Apps weiter laufen zu lassen und einen “Hype” anzukurbeln? Das Geld landet ja nicht direkt auf seinem Konto, sondern wird (vermutlich) Branchenüblich einmal im Monat/Quartal ausgezahlt. Die Werbenetzwerke haben jederzeit die Möglichkeit, die Auslieferung der Reklame ihrerseits zu unterbinden.
Er hätte stattdessen ein Update einreichen können, dass die Werbeanzeigen verändert und/oder andere Werbepartner verwendet (das 1.2 Update hat, wenn ich das richtig verstanden habe, u.a. dafür gesorgt dass ein Banner weniger pro Durchlauf angezeigt wird). Auch ein Wechsel auf ein iAP-Modell hätte kurzfristig sicher verdammt viel Geld einspielen können. Nicht zu vergessen: Der Verkauf der Marke, des Codes und der App selbst hätte ihn von heute auf morgen zum Multimillionär gemacht. Wie gesagt, die Store-Position ist deutlich mehr wert, als 50k$/Tag. Stattdessen hat er auf Twitter ausdrücklich derlei Angebote abgelehnt.
TL;DR: Selbst wenn er keinen einzigen Cent mit der bisherigen Werbung verdient hätte, ja selbst wenn die Werbenetzwerke ihn verklagen würden – ginge es um Geld, gäbe es 10000 Möglichkeiten aus Flappy Bird sehr sehr viel Kapital zu schlagen. Die Entfernung aus dem Appstore wäre die dümmste davon.