Year Walking ist ein altes schwedisches Ritual zur Vorhersage der Zukunft. Der Teilnehmer zieht sich an Neujahr für 24 Stunden in eine abgedunkelten Hütte im Wald zurück, isst nichts, trinkt nichts und starrt sinnierend vor sich hin. Zur Geisterstunde wandert er hinaus in die Natur auf der Suche nach einer neuen Perspektive für sein Leben und trifft dabei schwimmende Dämonenpferde und ertränkte Babys. Für mich klang das wie ein normaler Tag im Superlevel-Büro, weswegen mir das iOS-Spiel Year Walk im Voraus wenig Angst einjagen konnte.

Meine Überheblichkeit kam mich 20 Minuten später teuer zu stehen, als ich mit pochendem Herzen in einer alten Windmühle stand und mich von irgendetwas beobachtet fühlte. Year Walk ist ein atmosphärischer Rätselspiel mit wenig guten Rätseln und viel beklemmender Atmosphäre. Gesteuert wird mit kurzen Wischern nach links und rechts sowie oben und unten, um sich auf verschiedenen Ebenen des verschneiten Waldes fortzubewegen. Im ersten Moment empfand ich dies als gute Lösung, aber auf Dauer waren die immer gleichen Bewegungen doch etwas anstrengend, denn gute 90% des Spiels bestehen aus dem puren Herumstreunern im Unterholz.

Die wenigen Rätsel dienen eher der Vorstellung verschiedener schwedischer Sagenfiguren und weniger der Aktivierung von Gehirnzellen. Wer in Year Walk also ein gutes Spiel sucht, der sollte darum lieber einen großen Bogen machen. Wer allerdings ein düsteres Erlebnis mit doppeltem Boden wertschätzt, der ist genau richtig. Denn passend zum kostenpflichtigen Spiel gibt es eine kostenlose Companion-App. Darin werden die Hintergründe des Year Walking und der mysteriösen Gestalten des Waldes genauer erläutert. Wer das Spiel beendet, erhält außerdem Informationen zu einem geheimen Tagebuch, das sich innerhalb des Extraprogramms versteckt.

“In the old days man tried to catch a glimpse of the future in the strangest of ways.”

Mit dem zusätzlichen Tagebuch wird das Hauptspiel um einige Elemente bereichert, die bei richtigem Einsatz das echte Ende der Geschichte freischalten. Diese Meta-Ebene lässt Zeit und Raum verschmelzen und dürfte Spieler noch lange nach dem Beiseitelegen des Tablets beschäftigen. Die Stärke von Year Walk entfaltet sich damit erst sehr spät, dann aber umso intensiver.