IM855: America’s Army und Militainment-Diskussion
Daniel hat Johannes von der GameStar und Rainer (@vdgmtourism) vom Blog Videogametourism.at zu Gast. Zu Beginn unterhalten sie sich über America’s Army: Proving Grounds, den neuen Ableger der vom US-Militär finanzierten Shooter-Serie. Weil der aber als eher fader und uninspirierter Multiplayer-Shooter daherkommt, diskutieren sie im Anschluss über das Militainment als Teil unsere Pop- und Unterhaltungskultur.
Ausgehend von der Frage, ob man ein von der Armee bezahltes Spiel überhaupt als losgelöstes Unterhaltungsprodukt ohne Agenda betrachten kann, geht es darum, warum Militarismus-Themen nicht ausschließlich, aber auch in der Gamesbranche so besonders populär sind.
Rainer vertritt auf seinem Blog im Artikel “Militärisch-popindustrieller Komplex” die Ansicht “Militainment rules!” Zu oft werden Kriegsthemen in Spielen unkritisch und verharmlosend dargestellt. Auch deshalb fordert der Spiegel: “Heutige Militär-Shooter hätten es verdient, durch die Presse öfters skandalisiert zu werden, um so eine öffentliche Diskussion über den Inhalt der Spiele in Gang zu bringen.”
Autor des ursprünglich auch in der WASD erschienen Artikels ist Michael Schulze von Glaßer, der auch sich in seinem Blog Michi.Blogsport.de viel mit dem Thema Militainment in Games beschäftigt. Hier finden sich auch weiterführenden Informationen zu den im Cast erwähnten Büchern.
16 Kommentare zu “IM855: America’s Army und Militainment-Diskussion”
Ein Trackback zu “IM855: America’s Army und Militainment-Diskussion”
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Zum Thema Spiele von der Bundeswehr: Das gab es doch alles schon. 1993. Von wegen Europa ist da anders. Ich hatte auf dem Amiga eins. Das gab es als Public Domain (heute Freeware / Free 2 Play) auf einer Diskette z. B. auf der CeBit und so…
Zum Thema “Von wegen Europa ist da anders”: Was ich im Cast auch anspreche ist, dass das Militärbudget der USA auf diese Planeten so wahnwitzig einzigartig hoch ist, dass da der Rest der Welt völlig andere Voraussetzungen hat. Danke für das Finden des Bundeswehrspiels -- kannte ich nicht -, aber da werden und wurden um so viel kleinere Brötchen gebacken, dass man nur schwer Vergleiche anstellen kann.
Kleiner Reality-Check hier: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_military_expenditures
Ich hab sogar einen Link der Dos-Version gefunden:
http://www.youtube.com/watch?v=RVVhUWzXs-E
Das hab’ ich damals auch von der CeBit mitgenommen. Ich fand das richtig gut, nur doof das man nichts abschießen konnte ^^ … später hab’ ich Zivildienst gemacht.
http://gamesculture.biz/
Freut mich total, wenn solche Themen aufgegriffen werden. Danke, Leute, grade auch weil die Frage nach Normalität am Ende so schön auf den Punkt kommt.
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Was mir immer auffällt: Ich weiß über Krieg und Kriegsgerät NUR aus den Medien – Filme, Nachrichten, Videospiele, Literatur. Die Frage ob ich Fiktion und Realität auseinander halten kann ist sowieso schon schwierig (Konstruktivismus, ole!), noch schwieriger wenn ich auch die Realität nur medial erfahre, etwa durch Nachrichten oder Zeitungsberichte.
Ein Beispiel: Für mich klingt Battlefield “echt”. Mein einziger Referenzrahmen sind aber wackelige Fernsehberichte aus Gaza, mit Gewehrfeuer im Hintergrund. Das einzige was ich über Nachtsichtgeräte, Panzer und M16-Maschinengewehre weiß, habe ich aus Call of Duty und Battlefield, die mir erzählen dass es extrem effektive Gerätschaften sind die auch 5 Mann in die Lage versetzen, eine ganze Ölraffinerie einzunehmen.
Ist vermutlich übertrieben… aber wie stark? Wenn ich im Bundestag sitze und über einen Kriegseinsatz abstimmen soll (oder eine Partei wähle die dies für mich tut), wie gut kann ich einschätzen ob das in Ordnung ist, was dort an Planungen und Budgetforderungen eingereicht wird. Wie stark prägen mich die Bilder von Supersoldaten mit Hightech-Knarren? (und wie sehr ist ein Maschinengewehr für mein Hirn ein Machtsymbol, statt eines von Hilflosigkeit, Mord und Unterdrückung?).
Rainer hat schon recht, dass die 2WK-Shooter da teilweise vorsichtiger mit der Thematik umgegangen sind.
1.) Geil, Helicopter Mission! Das hab ich einst beim Kumpel gespielt, kann mich dunkel an eine Seerettungsmission erinnern. Wahrscheinlich war’s uns aber auch zu actionarm und wir hätten lieber ein Desert Strike gehabt.
2.) Die Rüstungsausgaben sind ja echt ein Realitätscheck… Heftig. Aber man sieht an der Wikipedia-Tabelle auch, dass die US-Ausgaben trotzden vergleichweise wenig Anteil am BIP haben -- so viel zur nominellen Wirtschaftsleistung der USA.
3.) @Ben: Woher könnte man denn sonst von Krieg(-sgerät) erfahren? Bin ja froh, dass es nicht durch eigene Erfahrungen passiert :-).
Wie Krieg “wirklich” ist bzw. wie realitätsnähe mediale Umsetzungen ist aber echt schwer zu sagen. Über zu krachige und feurige Explosionen oder zu leise Schalldämpfer sind wir ja längst hinaus; aktuellere Kriegsspiele sind ja dermaßen abgehoben mit größtmöglichen Zerstörungsspektakeln und High-Tech-Soldaten-Übermenschen.
An letzterem störe ich mich in “Militainment”-Produkten mit am meisten. Dass ich gesichtslose und natürlich böse geborene Schurken zu Hunderten umniete, kann mich schon gar nicht mehr stören (da wurden wie gesagt die Maßstäbe längst verschoben). Aber wenn dann noch explizit Ideologie hinzukommt und/oder das Hohelied auf überlegene Supersoldaten (also meist aus USA und gleichzeitig die Spielercharaktere) angestimmt wird, kriege ich das Kotzen.
Deswegen finde ich auch Serien wie die im Podcast erwähnte CSI so ätzend. Weniger weil hier munter jegliche (persönliche?) Rechtsnormen gebrochen werden, sondern weil dauernd das Bild der unfehlbar-unbesiegbaren Staatsorgane präsentiert wird. “Versucht erst gar nix Böses, weil wir kriegen euch ehe und dann behandeln wir euch wie Dreck.”
Zu Bens Überlegung, wie ein Parlamentarier realistisch Krieg und Kampfeinsätze einschätzen können soll: Ich bin froh, darüber nicht entscheiden zu müssen. Im Zweifel würde ich aber immer sagen, dass übertrieben wird. Wenn mich also ein General davon überzeugen will, dass der Einsatz “chirurgisch” abaufen, die KSK alle Bonusziele erfüllen und die Drone am Ende “wie in Call of Duty” nur dem Taliban auf den Kopf fallen wird, glaube ich es pauschal nicht. Andererseits hab ich auch Hacking und Internet-Spionage in Medien immer übertrieben gefunden (was es immer noch oft ist, aber der NSA-Skandal hat da doch einiges verschoben).
Sind die WW2-Shooter sorgfältiger vorgegangen, weil dieser reale Krieg noch massiv mit Kriegsverbrechen etc. belastet ist?
Überraschenderweise wurden übrigens die Landserheftchen vor kurzem eingestellt. Jahrzehnte nach dem erstmaligem Erscheinen ist irgendwem aufgefallen, dass das doch ein bisschen komisch ist:
http://meedia.de/print/bauer-stellt-den-landser-ein/2013/09/13.html
Ich finde Rainer ist unnötig von seiner kritischen Position zur Wirkung von Computerspielen im Verlauf des Gesprächs etwas abgerückt. Natürlich wirken Medien und sind nicht nur eine Reflexion von äußerem Geschehen. Nur ist ihre Wirkung deutlich komplexer als etwas das flache Schema, das Dargestellte wird im eigenen Leben wiederholt.
Die Idee der Normalisierung von problematischen Handlungen und Haltungen durch Wiederholung in Medien ist durchaus plausibel. Aber selbst wenn man diesen Mechanismus bezweifelt, finde ich Kritik an einem Medium, das sich über den Status Quo nicht hinausbewegen will, weil das doch die Realität abbildet, von den Spielern gefordert wird oder welche Gründe auch immer man vorschiebt, völlig berechtigt.
Und schließlich, die Vorstellung von der Abbildung von Realität finde ich tatsächlich problematisch. Dem wirklichen Geschehen nahe zu kommen ist selbst in einer Dokumentation schwierig. Meistens bieten Medien eine oder mehrere Perspektiven, oft nur Zerrbilder an. Ihr seid in der Diskussion ja auch in diese Richtung gegangen. Wenn die Filme, Bücher oder Serien wirklich Realität abbilden würden, müssten sie überwiegend ereignisarmen Alltag erzählen.
Hi André,
stimmt, gegen Ende hin verschiebe ich meine Kritik auf das Ästhetische. Das hat mehrere Gründe, vor allem aber den, dass das Desensibilisierungsargument hier immer höchst komplex zu argumentieren ist -- es ist eben nicht das leider hier immer wieder kommende, von mir nur in Bruchteilen geteilte Argument all der besorgten Müttervereine, dass Spiele angeblich gegenüber realer Gewalt abstumpfen. Mein Punkt wäre ja eher der gewesen, dass Militainment gegenüber der Nicht-Selbstverständlichkeit militärischer Belange in zivilen Gesellschaften abstumpft, quasi das Militärische ins Zivile hineinträgt und unso so vertraut macht, dass wir es als Selbstverständlichkeit unhinterfragt lassen.
Dieses Fass wollte ich hier -- auch aus Gründen des zu vermeidenden Endlosmonologs -- gar nicht aufmachen und bin deshalb im mäandernden Gespräch ganz von dieser Tangente weggegangen.
Kurz zusammengefasst: Wer einen Hammer hat, sieht überall nur Nägel, wer im Entertainment das Militärische ständig vor Augen hat, steht seinem selbstverständlichen Einsatz bzw (noch wichtiger den endlos nötigen Investitionen des Gemeinwesens in dieses Fass ohne Boden) positiv oder zumindest neutral gegenüber.
Teil des Problems ist aus meiner Sicht, dass -- vom Einzelfall abstrahiert -- ein Medium meistens erst konvergent wirkt. Niemand konsumiert nur ein einzelnes Medium bzw. ist nur den Auswirkungen von einem einzelnen Medium ausgesetzt.
Nehmen wir das Beispiel des verbreiteten Gegnertypus “gesichtsloser Dschihadist”. Der kommt natürlich nicht nur im Spielen vor, sondern auch bei Fox News, Homeland und in Tom Clancy-Romanen. (3/4 davon finden auch im deutschsprachigen Raum statt.) Diese Normalisierung des islamischen Terroristen als Hauptfeind spiegelt aber von Anomalien wie dem 2001er Anschlag abgesehen eher nicht die Realität in den USA wieder, wo heimischer Terrorismus von der Zahl der Anschläge her die Statistik anführt, wenn ich mich recht entsinne.
Insofern ist es in der Tat komplizierter, aber die Spielewelt in der Überzeugung zu belassen, jedweder Verantwortung für gesellschaftliche Mitgestaltung enthoben zu sein, fände ich eine Vernachlässigung von “Kritikerpflichten”.
Word.
Zu den “Kritikerpflichten”: Dass diese grad in unserem Medium meist noch sehr, nun ja, produktnah definiert werden, wird sich hoffentlich mit der zunehmenden Nachfrage nach und dem deshalb erfolgenden Angebot von differenzierterem Schreiben/Sprechen über Spiele auf anderen als reinen Testseiten von selbst regeln.
33:38 … ein magischer Moment :)
Sehr interessante Folge, hat mir sehr gut gefallen, kompetente Diskusionsrunde
TOP
Prima Podcast und war doch auch ohne meine Teilnahme sehr spannend und interssant! ;-)
America’s Army ist laut US-Armee ihr effektivsten Rekrutierungswerkzeug (wird zumindest in dem Buch “Zivile Landschaften aus Krieg und Unterhaltung – Eine Betrachtung des Computerspiels ‚America’s Army‘” zitiert). Die Bundeswehr hält meiner Meinung nach vor allem die “Ballerspiel”-Diskussion -- also das negative Image von Videospielen/Shootern -- davon ab eigene große Werbe-Spiele zu veröffentlichen. Einen Überblick über die bisherigen Mini-Spiele der Bundeswehr gibt’s hier:
http://www.militainment.info/2011/12/07/bundeswehr-spiele/
Allerdings kommt die Bundeswehr seit einigen Jahren ja immer öfter in Spielen als Akteur vor (ARMA II Operation Arrowhead; Medal of Honor -- Warfighter…). Die Spiele werden zwar nicht offiziell unterstützt aber es sie stören die Bundeswehr und das BMVg auch nicht -- ist halt eine gute, kostenlose Werbung für die Bundeswehr und so lange die Spiele von westlichen Produzenten für den westlichen Markt entwickelt werden, kommt westliches Militär dabei ja auch meistens gut weg.
Zu Spec Ops: The Line möchte ich anmerken, dass es durchaus gewollt sein kann, dass eine so große Kluft zwischen den Ballersequenzen und den Story/ bzw. Zwischensequenzen besteht: Auf den Ladebildschirmen erklärt das Spiel (zwischen Hinweisen zur Steuerung und zynischen Fragen wie: ‘Do you feel like a hero yet?’) kurz (und rudimentär) das Prinzip der kognitiven Dissonanz:
‘Cognitive dissonance is the uneasy feeling of holding two conflicting ideas at the same time’.
Natürlich ist die Theorie der kognitven Dissonanz ein wenig komplizierter und wird in der psychologischen Forschung für gewöhnlich auf andere GEbiete angewendet, aber sie funktioniert auf Spec Ops: The Line bezogen dennoch sehr gut:
Der Spaß, den der Spieler beim Ballern in den (bewusst sehr klassischen) Shootersequenzen hat, verträgt sich nicht mit der bedrückenden Story, die den Spieler für die Greueltaten, die er (virtuell) verübt verantwortlich macht.
Gerade dieses Spannungsfeld macht das Spiel meiner Meinung nach so stark.
Abgesehen davon möchte ich mich allgemein für diese sehr schöne Podcast-Reihe bedanken.
Sich morgens auf dem Weg zur Bahn von intelligenten Leuten mit sympathischen Stimmen über Computerspiele vollabern zu lassen ist definitiv ein guter Start in den Tag.