E3 2015: Zurück in der Zukunft
Hallo, ich melde mich live von der E3 und das hier sind mein Hotel, mein Mittagessen und meine Lesebrille, mit der ich aussehe wie Woody Allen als Erstklässler. Seit ein paar Tagen ist eigentlich alles vorbei, aber ich bin noch geblieben, um beim Aufräumen zu helfen. Ist ganz schön was liegengeblieben, doch alle anderen haben sich mal wieder schleunigst aus dem Staub gemacht, weil sie so derbe im Moment leben und keine Zeit für die Ruhe nach dem Sturm haben. YOLO-Journalismus eben. Ungeachtet dessen folgen hier nun ein paar Eindrücke, die jemand anderes zurückgelassen hat. Auf manchen ist sogar noch Pfand drauf!
“If we do not reach our funding goal, Shenmue 3 will not go forward.” (Yu Suzuki)
Zunächst habe ich mich natürlich sehr für alle Dreamcast- und PS2-Besitzer gefreut, dass mit Shenmue und The Last Guardian auch die ältere Konsolengeneration wieder mit hochkarätigem Nachschub versorgt wird. Als dann auch noch der langerwartete Nachfolger zu Final Fantasy VI angekündigt wurde, fiel mir vor überbordender Vorfreude glatt mein Tamagotchi in die Crystal Pepsi. Diese E3 stand offenkundig ganz im Zeichen der heiß erwarteten Ankunft von Marty McFly, der rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft im Oktober exklusiv für den Atari 2600 erscheinen soll. Zurück in einer Zukunft, in der die Let’s-Play-Kiddies lieber auf überlangen Holzbrettern statt auf Hoverboards fahren.
Wenn im selben Zeitfenster in Fallout 4 die Atombombe hochgeht, wird erstmals eine Generation googlen müssen, was das ist und wieso die Menschen einst so viel Angst davor hatten. Der nukleare Exitus ist in den meisten Köpfen längst so weit weg wie das Verständnis dafür, dass Drohnen nicht nur für die Befestigung der eigenen GoPro genutzt werden können, aber Fallout geht halt auch nach 18 Jahren immer noch total klar. Selbst mobil mit Mikrotransaktionen. Und nachdem Schäferhunde bereits vor zwei Jahren US-amerikanischen Elitesoldaten den Arsch retteten, haben sie nun anscheinend sogar den atomaren Winter überlebt. In Vault 111 ist der gute, alte Stockinger derweil wahrscheinlich verhungert, weil er mit dem Wurstsemmelschmieren einfach nicht mehr hinterhergekommen ist.
“War. War never changes.”
Immerhin Microsoft zeigte sich bei all der erwähnten Rückwärtsgewandtheit visionär und baut in seine aktuelle Konsole zusätzlich die alte ein. Microsoft hört nämlich auf das Feedback seiner innovationssüchtigen Fans, die nicht nur für die Abschaffung des Always-On-Konzepts, die Obsoleszenz von Kinect und das Beiseiteschieben der ganzen TV-Funktionen eintraten, sondern denen nun auch noch mit der geforderten Abwärtskompatibilität der letzte fehlende Transformationsschritt hin zum alten 360er-Brotkasten gewährt wird. Und irgendwo nippt Phil Spencer traurig an seiner New Coke und fragt sich, was er nur falsch gemacht hat.
Aber HALT STOPP, da war ja noch was! Ein Tisch mit virtuellen Bauklötzchen! Das sah tatsächlich ziemlich erstaunlich aus und könnte eine feine Alternative zur traditionellen VR seitens Oculus und Morpheus werden, wenn denn nur ein Bruchteil von dem auch Realität wird, was einem die Präsentation vorgaukelte. Aber auch die Konkurrenz lässt nun schon ziemlich lange mit finalen Ergebnissen auf sich warten und wenn man abermals auf das Feedback der Fans Acht gibt, kehrt eher das alte Windows-Startmenü auf die Xbox One zurück, bevor diese sich einmal irgendetwas Neues trauen darf.
Mit jeder weiteren Gamesmesse wird so deutlich, wie unflexibel die ganze Branche geworden ist. Sicher fährt man nur, wenn man auf Bewährtes setzt. Kaum ein großer Titel, der keine Verlaufsnummer im Namen trägt. Ein immer gleicher Zyklus aus Rendertrailern, überambitionierten Versprechungen und den vergessenen Ernüchterungen des Vorjahres, nicht zuletzt auf Seiten einer erschreckend unkritischen und immer selbstbezogener agierenden Spielepresse, die statt ernsthafter Berichterstattung lieber den Eventcharakter und eine überzogene Selbstdarstellung nach außen trägt. Aber was soll sie einem auch anderes erzählen, wenn von den meisten Titeln nicht mehr als bearbeitete Kurzfilmchen existieren? Wenn es schon als Innovation gilt, alteingesessene Spielkonzepte in Strickbedarfsoptik zu präsentieren, muss man eben improvisieren.
“At Xbox our mission is simple: to put you the gamer at the centre of everything we do.” (Phil Spencer)
Es fällt schwer, irgendwem einen konkreten Vorwurf für diese festgefahrene Situation zu machen, zu unklar ist mittlerweile deren Ursprung. Ob nun die Publisher mit dem Auswringen der selben, alten Softwarelappen oder die berichtende Zunft mit dem Abfeiern der immer gleichen PR-Schminke für ein abgestumpftes Publikum gesorgt haben oder ob ein von vornherein konservatives Denken auf dessen Seite ein solches Gebaren gefördert hat, lässt sich kaum mehr nachvollziehen. Entscheidender ist eh, ob sich irgendwann eine Bereitschaft dazu einstellt, diese Komfortzone aus gegenseitiger Mutlosigkeit und reiner Selbsterhaltung wieder zu verlassen. Endlich Präsentationen zu halten, die nicht nur der Besänftigung der Aktionäre dienen, sondern realistische Erwartungen und Risiken offenlegen. Und wer weiß, wenn Spiele nicht mehr wie das neue iPhone angekündigt werden, könnte auch manch ein Magazin den nötigen Schub erhalten, sich endgültig vom reinen Produktjournalismus zu verabschieden.
Am Ende wird es, wie in jedem Jahr zuvor, wieder Enttäuschungen geben, aber auch Titel, die dem selbstgeschaffenen Erwartungsdruck tatsächlich gerecht werden. Bis dahin steht in vielen Fällen längst die nächste E3 an und die Erinnerung an all das Brimborium in diesem Jahr ist längst verblasst. Marty McFlys Ankunft verschiebt sich indes um drei Wochen nach hinten auf den 10. November 2015. Dies soll der Tag sein, an dem er abermals in die 50er-Jahre zurückkehren wird, um zu erleben, wie eine Atombombe verhindert, dass seine Eltern sich ineinander verlieben.