Dieser Artikel wird einen Mehrspielermodus enthalten.
Erwartungen zu enttäuschen kann ein lukratives Geschäftsmodell sein. Denn auch wenn sich laut Großflächenplakatierung alle elf Minuten ein Single neu verliebt, muss das nicht zwangsweise in eine andere Person sein. Viel geläufiger ist das Verliebtsein in eine Vorstellung davon, wie jemand anderes wohl sein mag und wie das Leben mit dem vermeintlichen Seelenverwandten aussehen könnte. Es ist eine Sehnsucht nach dem Unmöglichen, der Wahrwerdung einer Wunschvorstellung, dem Gerechtwerden eines vagen Versprechens, das in unseren Köpfen so viel konkreter klingt, als es letztendlich ist. Und so ist es keine Überraschung, dass die elf Minuten von No Man’s Sky bereits wenige Tage nach dessen Veröffentlichung wieder vorüber zu sein scheinen und die unerfüllte Hoffnung ihren Status zurück auf Single setzt.
Sean Murray zeigt, wie groß die Zahl 18 Quintillionen ist.
So wie Dating-Seiten nicht wirklich wollen, dass man die große Liebe findet, so lebt auch die Spieleindustrie davon, stets neue Zuversicht zu streuen und zu zerstreuen. Und so wie die Sehnsucht nach der perfekten Beziehung, ist auch das Streben nach der ultimativen Spielerfahrung gegenüber Lerneffekten immun. Schuld daran sind am Ende die anderen. Die mit ihren vollmundigen Versprechungen, die mit ihren geschönten Trailern und Feature-Schwindeleien. Und so ist es ja auch. Leere Versprechen und dreiste Lügen sind seit jeher Teil der Vermarktungskette von Videospielen. Weil sie Teil von Werbung im Allgemeinen sind. Watch Dogs ist keineswegs so wertvoll wie ein kleines Steak und Aliens: Colonial Marines schmilzt sehr wohl bereits in der Handfläche und nicht erst im Mund. Aber wenn man ehrlich zu sich selbst ist und nur einen Augenblick in Ruhe darüber nachdenkt, weiß man das, bevor man überhaupt seinen Zahlungswunsch bestätigt hat. Die Selbstlüge ist ein unweigerlicher Bestandteil einer jeden Pre-Order-Kampagne.
Was fehlt, ist ein Gegensprecher. Ein Mittelmedium, das zwischen all der Schönfärberei und diesem unablässigen Hang zum Selbstbetrug steht. Klassische Pressearbeit, sollte man meinen. Doch wenn deren desillusionierende Wirkung schon in Kernbereichen wie Politik, Wirtschaft und Kanye West zunehmend schwindet, weil das geringe öffentliche Interesse den notwendigen Aufwand nicht refinanziert, wie soll sich ausgerechnet der Spielejournalismus diesen Luxus erlauben?
Aus einer Powerpoint-Präsentation zum Thema Brand Awareness.
Was eine Art Notbremse für manch einen entgleisten Hypetrain hätte sein können, hat zwischen Top-10-Klickstrecke und “Pokémon Go”-Halbnachrichten keinen Platz mehr. Statt mit einer angebrachten Skepsis zu berichten, werden Pressemitteilungen von Publishern Wort für Wort unhinterfragt wiedergegeben. Entwicklerinterviews folgen der Promologik eines “Wetten dass..?”-Auftritts von Iris Berben, die am Ende ja doch wieder nicht ihr Geheimnis verraten wird, wie sie es schafft, mit 89 Jahren noch so sexy auszusehen.
Kritische Nachfragen sind spätestens seit der RPS-Gesprächskatastrophe mit der Zwinkersmileyvorlage Peter Molyneux nicht mehr so richtig hip, mit der Konsequenz, dass “No Man’s Sky”-Entwickler Sean Murray über sein Spiel herumfabulieren kann, wie er lustig ist. Mehrspieler? Ja, klar! Unendliche Abwechslung? Ja, klar! Darf ich den Crunch-Time-Bart mal streicheln? JA KLARRRRR!!! Wenn man im Bewerbungsgespräch danach gefragt wird, ob man mit Excel klar kommt, dann bestätigt man das eben möglichst überzeugend, auch wenn man dabei vielleicht zunächst an den Sänger von Guns’n’Roses denkt.
Wer einmal lügt, dem glaubt man auch ein zweites Mal.
Woran es fehlt, ist Fachkenntnis. Jemand, der über Spiele berichtet und zeitgleich eine realistische Vorstellung von Spieleentwicklung hat. Jemand, der nicht nur fragt, was ein Spiel kann, sondern wie das überhaupt umgesetzt werden soll. Wenn die Zahl der an der Entwicklung von No Man’s Sky beteiligten Personen noch geringer ist als die der aktiven Community von Battleborn, sollte eine relativierende Einschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten eines solch kleinen Teams oberste Priorität haben. Die moderaten Klickzahlen für derlei unaufgeregte Sachlichkeit will aber sicher niemand den Werbekunden vermitteln müssen. Wer bestehen will, sucht sein Heil im Extrem. Und da wir hier nach wie vor primär über Produktjournalismus reden, lautet die Marschroute Mund wässrig machen, bis die Wertungszahl den Sabber wieder aufwischt.
Vorfreude ist ja schließlich immer noch die schönste Freude. Sie ist rein und unbelastet, aber auch schrecklich hungrig. Deshalb nähren wir sie so gern mit all den Halbwahrheiten und unglaublichen Versprechungen, die uns die Marketing-Abteilungen dieser Welt auftischen. Und da eine fehlende, distanzierte Einordnung dieser hanebüchenen Aussagen dieselben nachträglich legitimiert, bleibt im Nachhinein einer Veröffentlichung nichts als Enttäuschung und blinde Wut zurück. Aber auch diese Phase dauert Gott sei Dank selten länger als elf Minuten.