Vernagelte Türen: Der Fall Zoe Quinn

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“No matter how disgustingly wretched people are to me, I still love my craft and I’m not done exploring it yet.” (Zoe Quinn)

Im Prinzip ist es doch völlig egal, was tatsächlich passierte. Wichtig ist nur, dass man sich auf eine Seite schlägt, unabhängig vom eigenen Kenntnisstand der Sachlage. Dass dies die Prämisse jedweder Diskussionskultur im Internet ist, musste nun auch die US-amerikanische Game-Designerin Zoe Quinn erfahren, nachdem ein angeblicher Ex-Freund in einem Blog-Post ihre mutmaßlichen privaten Verfehlungen mit Anschuldigungen beruflicher Vorteilnahme und Manipulation verwoben hat. Sex für gute Kritiken und mediale Aufmerksamkeit, so der Vorwurf, dem eine große eingeschworene Pimmelgemeinde nur zu gerne beipflichtet, um daraus einen Skandal zu spinnen, der in Wahrheit an einem völlig anderen Ort begraben liegt. Aber wer tauscht schon gerne seine Mistgabel gegen eine Schaufel?

Nun könnte ich hier den üblichen Veitstanz über Arschlochgamer und die vergiftete Videospielkultur abhalten, doch würde ich damit nur weit offenstehende Türen einrennen. Sexistische, belästigende und denunzierende Kommentare sind längst Bestandteil des Alltags vieler weiblicher Branchenmitglieder, seien es nun Entwicklerinnen, Journalistinnen oder auch einfach nur Spielerinnen. Machogehabe und Misogynie gehören offenbar zum Gamingdiskurs wie Robin zu Batman. Ohne ist es besser, aber man hat sich halt daran gewöhnt. Was nun aber auf Zoe Quinn einprasselt, zeigt eine ganz andere Dimension dieses Themas auf, die nicht mehr allein in einem reinen Videospielkontext verortet werden kann. Wenn eine Frau nicht mehr nur bewusst entmutigt wird, sich mit Spielen zu befassen, sondern die möglichst umfassende Zerstörung ihrer Glaubwürdigkeit, Privatsphäre und Würde das Ziel ist, dann ist das ein gesamtgesellschaftliches Armutszeugnis.


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Es ist dabei völlig irrsinnig, das machohafte und exkludierende Verhalten vieler männlicher Spieler auf das technisierte Medium zurückführen zu wollen, hinter dem sie sich so gern verstecken. Es gibt keine Arschlochgamer, es gibt schlichtweg Arschlöcher, die nebenbei auch gerne einen Controller in die Hand nehmen. Quinn ist in einem Land aufgewachsen, das sich einst den Traum unbegrenzter Möglichkeiten auf die Fahne schrieb, sie aber damit gar nicht im Sinn hatte. Genauso wenig wie Afroamerikaner, die einfach nur wählen wollen oder einen Präsidenten, dessen Legitimität jahrelang allein aufgrund eines möglicherweise im Ausland liegenden Geburtsorts angezweifelt wurde. Das alles kann man wieder mit Sexismus und Rassismus abwatschen, doch man sollte dabei nicht vergessen, dass Missgunst und die Angst vor Statusverlust auch vor weißen Männern nicht Halt machen und Hautfarben oder Geschlechtern übergeordnet sind.

Phil Fish zum Beispiel hat mittlerweile seinen Twitteraccount gelöscht, nachdem vorgeblich seine Webseite gehackt und seine privaten Daten veröffentlicht wurden. Ob dem Fez-Entwickler diese Behandlung zuteilwurde, weil er Zoe Quinn in den Tagen des auf sie einstürzenden Hasses zur Seite sprang, ist reine Spekulation. Schließlich ist er, obwohl weiß und männlich, seit jeher ein gern gesehenes Ziel für Onlinemobbing gewesen. Weil niemand gerne sieht, wie jemand mit einer solch aneckenden Attitüde erfolgreich ist. Erfolg muss rein sein, dem Einhalten bestimmter Regeln und Verhaltensvorschriften entspringen. Wer daraus ausbricht, wird zerbrochen. Und wem keine Verfehlung nachgewiesen werden kann, dem werden diese eben unterstellt. Quinns Geschichte könnte in diesem Sinne noch über Jahre hinweg ein Mahnmal dessen sein, wie komplex und tiefgreifend eine solche Neidkultur und der aus ihr resultierende Hass im Internet verwurzelt sind.

Die Anschuldigungen gegen Quinn sind zahlreich und undurchsichtig. Es geht um intime Beziehungen zu Journalisten und Spieleentwicklern oder auch um angeblich selbst inszenierte Attacken auf ihre Person. Die Beweislage ist dünn und bezieht sich stets auf kontextarme Äußerungen, verdächtige Dateinamen und konstruierte Verknüpfungen von verschiedenen Tweets und Forenbeiträgen. Wichtig und greifbar ist indes nur, was nach der Veröffentlichung dieser Scheininformationen passiert ist. Das bigotte Moralisieren ihres vermeintlichen Sexuallebens, die Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen, das sind die deutlich relevanteren Wahrheiten, mit denen man sich beschäftigen muss. Wer einen gehörnten Ex-Freund als glaubwürdige Informationsquelle für brisante Enthüllungen heranzieht, der ist nicht an den tatsächlichen Hintergründen interessiert. Wer ihr begünstigende Rezensionen eines Spiels aufgrund ihrer Beischlafpartner unterstellt, sollte nicht die moralische Integrität der Entwicklerin infrage stellen, sondern die des involvierten Journalisten (der im Übrigen gar keine Rezension zum Spiel veröffentlicht hat). Oder gleich die des ganzen Systems, das durch die viel zu kuschelige Nähe von Publishern und Journaille korrumpiert wird. Don’t hate the player, hate the game, wie wir harten Straßenjungs vom Lidl-Parkplatz in solchen Fällen zu sagen pflegen.

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“Thanks, videogames.” (Phil Fish)

Es ist schon erstaunlich, zu welch einer Energieleistung Menschen fähig sind, wenn es darum geht, eine andere Person fertig zu machen. Die Gamesbranche ist dabei lediglich ein Spiegel einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und erscheint nur deshalb so krass, weil der Diskurs nach wie vor von aufbegehrenden jungen Männern diktiert wird, deren Rebellion der Konservierung eines isolierenden Ist-Zustands gilt. Mit Wut und entgegnendem Hass auf diese vokale Minderheit zu reagieren wirkt im ersten Moment sicher angemessen und verständlich, doch kann das kaum der Königsweg aus dieser unfassbar deprimierenden Geschichte sein. Man wirft ja auch nicht mit Grillanzünder auf brennende Häuser. Was man machen kann und machen sollte, ist sich Quinns Spiel herunterzuladen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, der offenbar die wenigsten Schreihälse nachgegangen sind, obwohl dieser Titel womöglich mehr über die Entwicklerin verrät als irgendein Ex-Freund. Aber wer dieser Tage über Zoe Quinn redet, redet nun einmal nicht über Depression Quest. Genauso wenig, wie es bei Phil Fish jemals wirklich um Fez gegangen ist. Man weist jenen Menschen die Tür, die sie für andere öffnen wollten. Das ist der eigentliche Skandal. This is videogames.