Shanghai Major 2016: The drama that keeps on giving

Letzten Sonntag fand – nach mitteleuropäischer Zeit selbst für mich als Enthusiasten viel zu früh – das Finale des Shanghai Majors statt, eines der wichtigsten Dota 2-Turniere. Die Majors wurden vom Entwickler Valve ins Leben gerufen, um ein wenig Stabilität in die Profiszene zu bringen. Noch bis vor wenigen Monaten konzentrierten sich alle Teams nur auf deren jährlich stattfindendes Hausturnier The International mit den immer verrückter werdenden Preisgeldern. Dieser Fokus darauf, nur ein einziges Mal im Jahr erfolgreich sein zu müssen, um für immer ausgedient zu haben, war nicht nur unbefriedigend für die Zuschauer, sondern auch für die Spieler selbst: Zum Beispiel zog das ehemalige Top-Team Natus Vincere 2015 nicht gerade mit großartigen Spielen Aufmerksamkeit auf sich, wohl aber damit, an vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils einen Spieler in ihrem Team auszuwechseln. Durch das Format mit drei jährlich in aller Welt stattfindenden Majors verlangt Valve jetzt von allen Teams, ihre Spieler nur noch zu bestimmten Zeitpunkten zu wechseln, wie das in vielen anderen Sportarten auch die Regel ist. Im November fand schon das Frankfurt Major statt und wurde von allen Seiten gut aufgefasst. Das Shanghai Major wirklich gewonnen hat übrigens das europäische Team Secret. Im Gedächtnis bleiben wird das Turnier aber über die nächsten Monate mit völlig anderen Dingen.

Ich könnte jetzt über pieliedies fantastischen Lion reden, oder über alles was w33 jemals gespielt hat, oder über die langjährige Freundschaft zwischen den Kapitänen Puppey und KuroKy, die das Ergebnis irgendwie etwas bitter macht. Das alles ist aber völlig belanglos, denn in diesem Turnier interessierte sich absolut niemand für irgendwelche Spiele. In dieser Katastrophe von Veranstaltung hangelte sich die Community von Drama zu Drama, bis Dota selbst irgendwann komplett in den Hintergrund trat. Der Auftakt war schon großartig: Bis kurz vorher wusste niemand so richtig, ob die Eröffnungsfeier überhaupt stattfinden würde. Ansehen konnte man sie dann tatsächlich mit einer halben Stunde Verspätung, aber nur auf Russisch oder Chinesisch, denn der englischsprachige Stream war eher rudimentär vorhanden. Das aber machte absolut nichts, denn nicht mal die Spieler saßen bei der Vorstellung der Teams in ihren Logen, wodurch alles ein bisschen traurig wirkte. Und danach ging es sogar noch steil bergab.

Am zweiten Tag wurde James „2GD” Harding, der Moderator der englischen Diskussionsrunde, während der Übertragung gefeuert. Gleichzeitig mit ihm musste auch die komplette Produktionsfirma das Turnier verlassen, so dass es danach einen Tag lang gar keine über die Spiele hinausgehende Übertragung gab, bis Ersatz gefunden wurde. Schon nach einigen Stunden wurde der Druck auf Valve, sich dazu zu äußern, so groß, dass Gabe Newell selbst von seinem bestätigten Redditaccount aus den Grund offen nannte: James ist einfach ein Arsch. Und ganz übel nehmen kann man ihm diese Einstellung nicht, war doch eine der ersten Sachen, die Harding sagte, ein unbequemer Witz über die chinesische Pornozensur und mit dem übermäßigen Gebrauch von Four-letter words macht man sich auch nicht nur Freunde. James Harding jedenfalls bemühte sich daraufhin um noch mehr Drama und verfasste ein 17-seitiges Statement zu den Vorwürfen gegen ihn.

Auch wenn sich die Produktion danach mit einem neuen Team wieder fing, brachen die traurig-amüsanten Meldungen nicht ab: Das Keyboard eines Spielers verschwindet, ein Manager geht irgendwo in der Arena verloren und findet nicht mehr heraus, Kommentatoren wissen nicht wie sie zum Hotel zurück kommen sollen, eine Organisatorin beschwert sich darüber zu verhungern, der VIP-Raum bekommt Stühle. Nicht mal jetzt, nach dem Turnier, brechen die Horrormeldungen ab: Während die Spieler auf der Aftershow-Party waren, wurden ihre Trainingsräume wegen eines Kommunikationsfehlers zwischen Veranstalter und Hotel komplett leergeräumt und sowohl Teamequipment als auch private Gegenstände einfach in Kisten auf den Flur gestellt. Mäuse und Tastaturen, Laptops, sogar die Autoschlüssel für einen Maserati sind aktuell verschollen.

Spieler, Teams und Kommentatoren sind mit dem kompletten Ablauf des Turniers unzufrieden, weil alles chaotisch und stressig war. Die Zuschauer sind unzufrieden, weil die Übertragung manchmal nicht einfach nur technisch schlecht und wenig unterhaltsam, sondern manchmal sogar nicht vorhanden war. Der lauteste Teil der Community, das Subreddit /r/dota2, ist noch dazu unzufrieden mit dem Rauswurf von James Harding: Er ist mit seinem derben und oft grenzwertigen Humor sehr beliebt und wer Rapejokes schlecht findet versteht einfach keinen Spaß. Man wolle ja nicht so langweilig und seriös werden wie die anderen Sportarten im Fernsehen. Das beginnen die meisten Leute mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zum Glück etwas differenzierter zu betrachten (es wäre mir wirklich peinlich meiner Mutter Dota zu zeigen, wenn James moderiert), der Unmut ist aber so laut dass sogar das ewig stille Valve sich zu einer offiziellen Stellungnahme verpflichtet sah: Für das nächste Major in Manila im Juni will man sich vorher mehr Gedanken um die Organisation machen und sich mehr einbringen. Ich schaue gespannt zu.

Jeden, der nicht viel mit Dota 2 am Hut hat, kann ich aber beruhigen: Das Turnier ist nur deshalb so bemerkenswert schrecklich, weil es eben die Ausnahme von der Regel ist. Interessiert man sich nicht sonderlich für ein Lehrstück in schlechter Kommunikation und Eventorganisation oder richtig gutes Drama, kann ich auch noch zwei Spielehighlights empfehlen: Das Upper-Bracket-Finale zwischen Team Liquid und Team Secret (Spiel 1, Spiel 2, Spiel 3) und das Upper-Bracket-Halbfinale zwischen Team Secret und Evil Geniuses (Spiel 1, Spiel 2, Spiel 3) waren fantastische Spiele, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätten als die Organisation.