Juwel der Woche: 221b.sh

Ein Flash-Game ist normalerweise recht beschränkt in seinen Möglichkeiten und kommt nur selten an den Umfang und die Qualität eines Vollpreistitels heran. Dennoch werden die Browserspiele immer komplexer und aufwändiger. Bisweilen formieren sich gar ganze Teams, um dem Ottonormalsurfer ein imposantes Abenteuer zu bieten, für dass dieser weder einen Cent bezahlen noch seinen Rechner aufrüsten muss. Ein besonderes Schmankerl in diesem Segment ist 221b.sh, dass mehr oder weniger als Werbung für den aktuellen Sherlock-Holmes-Film mit Robert Downey Jr. und Jude Law zu verstehen ist.

Davon einmal abgesehen, dass ich die Domain klasse finde, bietet das Spiel noch weitere Features, die einem immer wieder den berühmten “Aha!”-Effekt nicht nur ins Hirn treiben, sondern auch eindrucksvoll vor Augen führen. Durch den Einsatz neuerer Techniken wie Photosynth und einem intelligenten Chat-Bot von Existor.com sowie dem qualitativ sehr hochwertigen Sound- und Atmosphärengebilde, fühlt man sich stets mittendrin, statt nur dabei.

Via Facebook-Connect entfällt eine langwierige Anmeldeprozedur. Innerhalb weniger Sekunden hat man seinen Facebook-Account mit dem Spiel verknüpft und kann sofort mit den Ermittlungen beginnen. Da jeder Holmes seinen Watson braucht, gibt einem das Programm die Möglichkeit, diese Rolle einem Freund bei Facebook zuzuordnen. Dies ist aber kein Muss, man kann beide Charaktere auch selbst spielen.

221b.sh ist in einzelne Kapitel unterteilt. Während es im Prolog lediglich gilt, einen Juwelenraub im Britischen Museum aufzuklären, hat man es im darauf folgenden ersten Kapitel bereits mit Mord an einer Nonne zu tun. Sherlock-Holmes-Kenner wissen natürlich, dass als erstes sämtliche Hinweise auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden müssen. Der Tatort wird inspiziert, Aussagen werden verglichen, Beweise gesammelt und Schlussfolgerungen gezogen. Dabei kann jeder noch so kleine und unbedeutende Aspekt ein wichtiges Puzzleteil sein, um letztlich den Täter deduktiv überführen zu können.

Nach einem einführenden Video muss man zunächst sämtliche Beweise sichten (Zeitungsartikel, Polizeiberichte, Zeugenaussagen, etc.). Dazu gehört auch die Untersuchung des Tatortes. Da dies am besten in 3D gelingt, bedient sich das Spiel der bereits erwähnten Photosynth-Methode, die von Microsoft entwickelt wurde und die Browsererweiterung Silverlight benötigt. Durch geschicktes Drehen, Wenden und Zoomen der Perspektive lassen sich weitere Beweise sicher stellen, die später in Interviews von großer Bedeutung sein können.

Dank einer intelligenten Bot-Engine, die auch bei unserem WPSuperCommentBot zum Einsatz kam, hat man bei dem Verhör eines Zeugen das Gefühl, sich mit einer echten Person zu unterhalten. Eingesetzt werden hier statistische Analysen und Fuzzylogik, damit das Programm aus einer Reihe von möglichen Fragestellungen die jeweils passende Antwort abliefert. Eingesetzt wird dieses Prinzip zum Beispiel auch im Bereich der Spracherkennung. Aber zurück zum Spiel: Es ist von großer Wichtigkeit, zunächst einmal das Vertrauen seines Gegenüber zu gewinnen beziehungsweise diesem den Wind aus seinen Segeln zu nehmen. Wurde eine Frage gut gestellt, wird man vom Programm automatisch mit Worten wie “A well placed question!” oder “Good witness control!” weiter motiviert. Hat man seinen Zeugen in der Hand, muss sofort eine Schlüsselfrage folgen, sonst ist der Fortschritt im Nu wieder verloren: “You waste my time!”.

Das Spiel wird obendrein noch gespickt mit kleinen Minigames. Dabei steuert man Holmes meist durch ein verwinkeltes Labyrinth und muss einen Verdächtigen verfolgen, den Augen der Wachleute entgehen, Fußspuren “einsammeln” (siehe Screenshot) oder Schlösser knacken. Häufig spielt dabei die Zeit eine wichtige Rolle. Jeder Erfolg wird mit Punkten (Reputation) belohnt, die man wiederum gegen den einen oder anderen Hinweis eintauschen kann, falls man einmal nicht weiter kommt.

Sämtliche Indizien ergeben am Ende ein großes Ganzes und müssen auf der Deduktionsoberfläche korrekt zusammengesetzt werden. Es wird ein Lückentext vorgegeben, dessen freie Plätze durch passende Wortgruppen gefüllt werden müssen. Je mehr Beweise gesammelt wurden, desto mehr Lückenfüller hat man zur Auswahl. Bevor die Korrektheit der Behauptung überprüft wird, muss man eine beliebige Anzahl gesammelter Reputation Points einsetzen, die bei Erfolg verdoppelt werden. Ist die Lösung falsch sind die Punkte verloren.

221b.sh ist kein Spiel für zwischendurch, sondern eher etwas für den entspannten Sonntagnachmittag, wenn eh nichts im Fernsehen läuft. Gute Englischkenntnisse sowie Geduld und Spucke sind erforderlich, um die Fälle erfolgreich lösen zu können. Teilweise ist das Entziffern der vielen Texte aufgrund der handgeschriebenen Schriftarten etwas mühselig. Das fällt aber dank der aufwändigen Inszenierung und des absolut stimmigen Gesamtbildes als negativer Aspekt kaum ins Gewicht.

So, und jetzt widme ich mich wieder dem Verschwinden von Lady Jennifer Shurston, sonst wird seine Lordschaft noch sauer, weil es nicht voran geht. Happy Kombiniering!