Bitte Ladegerät anschließen.
Deus Ex: Mankind Divided
Schere, Stein, Papier
Schere, Stein, Papier
Bitte Ladegerät anschließen.
Man möchte es fast schon einen Klassiker des Party-Smalltalks nennen. Die altkluge Galileo-MAZ des unverbindlichen Kifferplauschs: Abseitige Phobien. “Cenosillicaphobie! Die Angst vor leeren Gläsern! Was, noch nie gehört, Alter?” bricht es dann euphorisch aus den Leuten heraus, während man von einem nach Anerkennung suchenden Blick gestreift wird und Aiman Abdallah seiner gespielten Ungläubigkeit mit einer rhetorischen Pause Nachdruck verleihen würde. Deus Ex: Mankind Divided hat dagegen eine Phobie in mir geweckt, die noch keine medizinische Klassifizierung erfahren hat und dementsprechend auch noch nie die letzten ulkigen Sendeminuten eines populär-wissenschaftlichen TV-Formats füllen musste: die Angst vor einem leeren Akku.
Ohne geladenen Akku bin ich in dem Nachfolger des 2011 erschienen Quasi-Reboots der “Deus Ex”-Reihe lediglich einer von vielen. Kaum Mächtiger als die in gescripteten Loops gefangenen NPCs, die in dem futuristischen Prag von Mankind Divided an jeder Straßenecke kauern und mich mit den immergleichen Phrasen abstrafen. Ein bisschen wie im echten Leben, nur dass ich hier eben nicht zwanghaft meinen Smartphone-Akku im Auge behalten muss, sondern die Energiequelle meiner Augmentationen. Diese bionischen Prothesen gelten gewissermaßen als das Novelty-Feature der Serie, über das sich relativ glaubhaft und organisch unterschiedliche Spielstile entwickeln lassen. Zum Zeitpunkt der Handlung von Mankind Divided möchte man allerdings nicht unbedingt in der augmentierten Haut jener hochgezüchteten Robo-Homo-sapiens stecken, was wiederum auf eine tragende Wendung im Vorgänger Human Revolution zurückzuführen ist. Die Spoiler-Warnung sei hiermit ausgesprochen.
Aufgrund eines technischen Störsignals bricht im Verlauf von Human Revolution eine Welle der Gewalt aus der augmentierten Bevölkerung hervor, die gegen den Willen der unfreiwilligen Täter unzählige Tote hinterlässt. Mit dem Auftakt von Mankind Divided werden die gesellschaftlichen Folgen dieser Katastrophe nachgezeichnet, welche sich in einer aggressiven Form der Segregation gegen die mechanisierte Bevölkerung äußern. Ein Szenario, in dessen politisch aufgeladener Atmosphäre sich die Marketingabteilung von Square Enix dazu hinreißen ließ, mit der Catch-Phrase “Mechanical Apartheid” zu werben und so eine Kontroverse zu provozieren. Völlig zurecht, wie spätestens mit dem Abspulen der Credits klar wird. Denn am Ende – so viel darf wohl verraten werden – ärgert man sich nicht nur über die völlig verharmlosende Anwendung des Apartheid-Begriffes im Dienste der Vermarktung eines fetzigen Sci-Fi-Rollenspiels, sondern auch über das eigentliche Desinteresse mit dem dieser Thematik dann in der Praxis begegnet wird.
“Treat people like animals long enough they’ll start acting like animals.”
In Mankind Divided werden von Anfang an stereotype Extreme bemüht, um das heikle Klima möglichst anschaulich zu illustrieren. Prügelnde Polizisten, in Ghettos eingepferchte Minderheiten und jede Menge Schikane. Diese Parabel scheitert dabei schon an ihrer eigenen Logik. Denn während die tatsächlichen Opfer der Apartheid zu keiner Zeit die Wahl hatten, sich über ihren gesellschaftlichen Status hinwegzusetzen oder eben nicht, muss sich die augmentierte Bevölkerung in Deus Ex alleine der Logik halber über weite Strecken aus einer privilegierten Oberschicht zusammensetzen, die trotz des bekannten Risikos ganz bewusst den transhumanistischen Pfad eingeschlagen hat.
Es dauert nicht lange, bis die Logikbrüche in der Grundprämisse von Mankind Divided samt der darauf aufbauenden Erzählstränge in den Hintergrund treten, um die Aufmerksamkeit auf den altbekannten Fetisch der Reihe zu lenken: Verschwörungen. Überraschenderweise fängt das Spiel genau dann an, wirklich unterhaltsam zu werden. Die ersten eigenen Augmentationen sind installiert, man bekommt ein Gefühl für seine Fähigkeiten und lernt das eingängige Level-Design zu schätzen. Vor allem letzteres zeigt sich hier einmal mehr als gewaltige Stärke. Denn obwohl man nie lange suchen muss, um eine alternative Route in den bewachten Sperrbereichen zu erschließen, fühlt sich noch immer jede gehackte Tür und jeder erkundete Lüftungsschacht wie ein verdammt smarter Zug an. Das lädt nach wie vor dazu ein, gänzlich pazifistisch durch die le corbusier’schen Architekturwunder zu schleichen, obgleich gerne betont wird, dass auch das direkte Gegenteil möglich wäre.
“Sometimes, you just have to let go… and embrace what you’ve become.”
Das Fortschrittssystem unterstützt diesen freien Ansatz, indem es mich sowohl für offensives Vorgehen als auch nach diskreten Aktionen mit Erfahrungspunkten belohnt, die ich wiederum in die meinem Spielstil entsprechenden Augmentationen investieren kann. Die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem ausgedehnten Level-Design spielt sich mit ein wenig Routine schnell wie die futuristische Variante von Schere, Stein, Papier: Hacking-Erfahrung schlägt blockierte Sicherheitstüren, Tarnfähigkeiten stechen lästige Kamera-Präsenz aus und Kampf-Augmentationen lassen mich bei direkter Feindkonfrontation die Oberhand gewinnen. Deus Ex: Mankind Divided kettet diese Hürden so clever hintereinander weg, dass die Lösung immer zum Greifen nahe scheint, was der Motivation auf lange Sicht äußerst gut tut.
Mankind Divided zeigt im Gegensatz zu vielen anderen Titeln einen starken Willen, sich auch ein wenig tiefgängiger mit den selbst beschworenen Aspekten des Transhumanismus’ auseinanderzusetzen. So gerate ich im Verlauf des Spiels an eine Sekte, in deren Darstellung sich der gesamte Technik-Fimmel des Settings kumuliert und schließlich kippt. Der Fortschrittsglaube wird wortwörtlich zum fanatischen Kult und die Assoziationsmaschine beginnt trotz dieser nur wenig subtilen Metapher immerhin ein wenig zu arbeiten. Dass das Spiel trotz solch greller Allegorien immer noch erstaunlich schwammig in seiner eigenen Aussage bleibt, ist dabei fast schon wieder eine Leistung für sich. So kommt man am Ende nicht um die Erkenntnis herum, dass dieses Spiel einerseits voller Widersprüche steckt, andererseits aber auch verblüffend souverän über jene hinwegzutäuschen weiß. Dass sich mit der stimmigen audiovisuellen Gestaltung und der zwanglosen Gameplay-Philosophie am Ende auch keine Logiklücken stopfen lassen, können Spielerinnen und Spieler immerhin mit einer denkbar einfachen Augmentation ausblenden: der rosaroten Brille. Dann klappt’s auch mit dem vollen Akku.