Hearthstoned: Im Rausch der Belanglosigkeit

Aus Konsumentensicht unterscheide ich bei Spielen zwischen »Fast Food«, »Hausmannskost« und »Haute cuisine«. Zu Fast Food zählen Spiele, die man zwischen Tür und Angel verschlingen kann und die für wenige Augenblicke eine gewisse Befriedigung verschaffen, wie es z.B. bei zahlreichen Browser- oder Mobile Games der Fall ist. Hausmannskost ist schon etwas anspruchsvoller und sättigender, hat etwas Vertrautes und integriert sich unaufdringlich in den Alltag, kann aber auch schon mal schwer im Magen liegen. Bei Haute cuisine hingegen geht es nicht darum, sich den Bauch vollzuschlagen, sondern den Konsum in vollen Zügen zu genießen. Das spiegelt sich dann z.B. in audiovisueller Ästhetik, Komplexität und Narration wider. Viele Spiele sind nicht nur einer dieser Kategorien zugehörig, sondern zwei oder in Ausnahmefällen sogar allen drei. Hearthstone ist ein Cheeseburger. Und Erbsensuppe mit Speck. Und Hummer mit Wassermelone, Curryöl und tasmanischem Bergpfeffer. Der Haken bei der Sache: Es stellt sich kein Sättigungsgefühl ein.

KÄSE!

Es gibt nur wenige Spiele, die meine Neugier wecken, geschweige denn mich über einen längeren Zeiträum zu begeistern wissen. Zelda XY? Nicht mein Ding. Von Watch_Dogs wandte ich mich nach einer Viertelstunde desinteressiert ab. Skyrim? Langweilig. Call of Battlefield? Nein, danke. Ich kann die Faszination für Baldur’s Gate, Mario Kart, GTA und Konsorten-Manager 2014 durchaus nachvollziehen — ich teile sie nur nicht, beziehungsweise lediglich für einen kurzen Moment. Besonders skeptisch werde ich bei Online-Multiplayer-Titeln, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass ich ein ziemlich ungeduldiger und zugleich mittelmäßiger Spieler bin, der keinen Reiz darin sieht, sich mit Fremden zu duellieren. Ich will nicht Wikis lesen und Skills feilen müssen, um mich auf kompetitiver Ebene gegen gesichtslose AOL-Chatnamen zu behaupten. Demnach verkörpert das Online-Sammelkartenspiel Hearthstone so ziemlich alles, was ich an Spielen nicht mag. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und behaupte: Hearthstone ist pure Zeitverschwendung. … Egal, eine Runde noch.

Hearthstone

»Am Anfang jeder Partie wählt der Spieler für sich aus neun verschiedenen Charakterklassen ein Kartendeck: Magier, Priester, Krieger, Hexenmeister, Schamane, Druide, Jäger, Paladin oder Schurke. Jede Klasse besitzt bereits ein vorgefertigtes Deck, das sich aus 30 einfachen Basiskarten zusammensetzt. Auch die Zusammenstellung eigener Kartendecks ist möglich. Neue und stärkere Karten kann der Spieler gewinnen, herstellen oder gegen Bezahlung beim Anbieter Blizzard erwerben.«
(Quelle: Wikipedia)


Jede Charakter-Klasse beginnt mit zehn Basiskarten, zehn weitere Basiskarten lassen sich im Spiel gegen den Computer relativ schnell freischalten. Daraus lässt sich dann ein Deck erstellen, mit dem man auch gegen menschliche Kontrahenten antreten darf. Durch Siege und eintönige Quests (“gewinne 2x mit dem Schurken“) lassen sich mühselig ein paar Goldstücke verdienen, die dann wiederum in Kartenkäufe und Arena-Zugang investiert werden können. Bei Karten unterscheidet man zwischen Basiskarten sowie normalen, seltenen, epischen und legendären Exemplaren. Die Einstufung basiert auf Stärke und Seltenheit. Spielkarten können auch via In-App-Käufen zwischen 2,69 Euro (10 Stück) bis 44,99 Euro (200 Stück) erworben werden. Der Zugang zur Arena kostet 1,79 Euro und hält für drei Leben an. Je länger man in der Arena besteht, desto größer fällt die Belohnung in Form von weiteren Karten und virtueller Währung aus.

Wie bei Sammelkarten üblich, hat man keinen Einfluss darauf, welche Exemplare sich in den Packungen befinden. Mich persönlich erinnert der Kauf- und Auspack-Vorgang im Spiel an Loskäufe auf dem Jahrmarkt oder an einen Einarmigen Banditen, dessen Geblinke und Gedudel meine kindliche Naivität zum Vorschein bringt.

Als meine Faszination für Hearthstone langsam aufflammte, sagte ich mir, ich würde maximal 20 Euro ausgeben wollen. Daraus wurden bis jetzt 50 Euro und spätestens mit Erscheinen der kostenpflichtigen Solo-Kampagne Fluch von Naxxramas werde ich erneut den PayPal-Account zücken. Nun kann man natürlich einwenden, dass vollwertige Spiele ebenso viel kosten und das stimmt selbstverständlich, aber dafür erhält man dann auch ein verhältnismäßig kalkulierbares, in sich abgeschlossenes Produkt — mit deutlich geringerer Gefahr, im Sammelwahn die Übersicht zu verlieren.

»Free to play« oder »pay to win«?

Gute Frage. In meinem näheren Umfeld war das ein maßgeblicher Kritikpunkt, aber die Frage lässt sich nicht mit ja oder nein beantworten, da verschiedene, individuelle Faktoren einfließen. Ein Gelegenheitsspieler, der keine Lust auf Recherche zur Deck-Optimierung hat und In-App-Käufe prinzipiell ablehnt, wird womöglich aufgrund der Niederlagenquote recht schnell das Interesse an Hearthstone verlieren. Aber selbst wenn besagter Spieler es sich anders überlegt und doch ein paar Einkäufe tätigt, garantiert das noch lange keine Siege. Ein noch so teures Deck wird rasch wertlos, wenn man nicht damit umzugehen weiß.

Vielspieler haben die Möglichkeit, ohne Käufe ein verhältnismäßig starkes Deck aufzubauen, doch je tiefer man sich in Hearthstone vorwagt, desto schwerer werden die Gegner. Und ab einem gewissen Punkt stößt man an eine unüberwindbare Barriere, sofern man kein Ausnahmetalent ist, das überdurchschnittlich viel Zeit und Ehrgeiz aufbringt. Spätestens hier hilft dann nur noch der Kauf von Karten und eine gehörige Portion Glück, schließlich werden je Packung fünf zufällige Karten erworben. Die Glückskomponente ist auch im eigentlichen Spielablauf nicht zu unterschätzen. Als Spieler kann ich Partien strategisch planen, doch die beste Planung scheitert kläglich, wenn die Reihenfolge bei der Kartenvergabe einen Strich durch die Rechnung macht. Nur zwei schnelle Klicks und ich könnte die nächste Runde mit stärkeren Karten und einem besseren Deck bestreiten – und meinen Kontostand um ein paar weitere Euro reduzieren.

Hearthstone

Mit Spatzen auf Kanonen schießen

Ich mag die Spielweise von Kevin, der mich regelmäßig in Grund und Boden stampft, obwohl meine Kartensammlung deutlich umfangreicher ist. Hier schlägt ganz klar Skill das Portemonnaie. Kevin hat noch keine Karten für Echtgeld gekauft, er sagt aber auch, inzwischen an der zuvor erwähnten Barriere zu scheitern. In solch einem Moment akzeptiert man einfach den Stillstand, investiert noch mehr Zeit in Experimente oder greift zur Kreditkarte, um effektivere Strategien zu ermöglichen. Ich würde das schon als »pay to win« bezeichnen, auch wenn es Spieler geben mag, denen es gelingt, dieses Konzept zu unterwandern.

Der Weg ist der Weg

Es heißt ja so schön, der Weg sei das Ziel und in vielen Fällen trifft das auch zu. Dennoch sind Ziele und Abschlüsse wichtig, um sich neuen Aufgaben widmen zu können und zu wollen. Ziele bei Hearthstone, wie z.B. eine vollständige Kartensammlung oder 500 Siege mit einer Charakterklasse, sind zwar theoretisch vorhanden, aber in der Praxis kaum erreichbar. Besonders nicht für Gelegenheitsspieler, zu denen ich mich üblicherweise auch stets zählte. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mir neue Gelegenheiten schaffe, Hearthstone guten Gewissens spielen zu können. Ein Stündchen vor dem Schlafen? Ach, das kann doch nicht schaden. In der Zeit würde ich sonst durchs Fernsehprogramm zappen oder Hand an mich legen. Oder ich drehe eine Extrarunde auf dem Heimtrainer, um parallel mit dem iPad vor der Nase Extrarunden auf dem Spielfeld zu verbringen. Letzteres ist sicher nur bedingt gesund, da Hearthstone sich viel tiefer in den Alltag integriert, als es für mich üblich ist. Im Gegenzug bekomme ich aber nichts von Wert — keine cineastische Inszenierung, die sich in meine Netzhaut brennt, keine kreative Erzählweise, die meinen Geist beflügelt. Nur lauter bunte Karten, die keinen Weg weisen und die verpuffen, sobald ich vor Wut meine Hardware aus dem Fenster schmeiße oder Blizzard beschließt, die Server abzustellen.

Hearthstone

Ich hasse das alles. Ich hasse das Kalkül der Entwickler in Bezug auf Glücksspiel, Sammeltrieb, Psychologie und Kommerz. Und ich hasse es, trotz dieser Reflexion den Absatz möglichst schnell beenden zu wollen, um erneut mein Kartendeck zu optimieren. Kevin sagt nämlich, ich solle mehr Riesen ins Spiel bringen. Und Alexstrasza.
Wie ihr seht, bin ich hin- und hergerissen. Die Sogwirkung von Hearthstone zu kritisieren, ist aber ungefähr so, als würde man der Schokolade ihren Zuckergehalt vorwerfen — und sich anschließend mit ihr vollstopfen. Diese verdammte Schokolade. … Egal, eine Tafel noch.