Risen 3: Titan Lords – Schlägereien, Schnaps und Schießgewehre
Je nach Weltanschauung hat der Begriff der Seele eine unterschiedliche Bedeutung. Verbreitet ist jedoch die Vorstellung, die Seele sei unsterblich, vom Körper unabhängig und könne ihn verlassen. Genau das geschieht auch dem namenlosen Helden in Risen 3: Titan Lords, der nunmehr zweiten Fortsetzung des inoffiziellen Gothic-Nachfolgers. Eine Schatzgräbertour entlang der Krabbenküste treibt den Helden mit seiner Schwester Patty in eine Höhle auf einer scheinbar verlassenen Insel – dort findet er jedoch weder Gold noch Silber, sondern einen dämonischen Schattenlord, der nichts besseres zu tun hat, als ihm die Seele aus dem Leib zu saugen. Wenige Wochen später wird der dankenswerterweise trotz Südseeklima gänzlich unverweste Körper des Protagonisten via Voodoo-Zauber zurück unter die Lebenden befördert. Die Seele fehlt aber nach wie vor – fortan ist es demnach die Aufgabe des Spielers, sie zu finden.
Wie schon seine Vorgänger ist auch Risen 3 ein Action-Rollenspiel. Auf verschiedenen karibischen Inseln werden Gegner in Echtzeit bekämpft. Eine Attacke mit dem Schwert lässt sich mit einem simplen Linksklick auslösen, weitere Klicks im richtigen Moment führen zu Kombos. Das Timing ist wichtig – bloßes Herumklicken führt selten zum Erfolg. Zudem stehen Fernkampfwaffen zur Verfügung, wobei die Gegner hier manuell aufs Korn genommen werden müssen. Das Kampfsystem ist brauchbar, jedoch ein wenig eintönig, zumal sich so gut wie jede Situation durch geschicktes Ausweichen lösen lässt. Das liegt unter anderem daran, dass der Held unverwundbar ist, während er eine Rolle zur Seite macht. Gut daran ist eigentlich nur, dass der spielerische Schwerpunkt von Risen 3 nicht auf den Kämpfen liegt.
Ein klassisches Stufenmodell gibt es dabei wie schon im Vorgänger nicht, stattdessen können sämtliche Punkte direkt auf Attribute wie Fingerfertigkeit, Magie, Fern- oder Nahkampf verteilt werden. Das sorgt für ein stetiges Fortschrittsgefühl, ganz wie in den Gothic-Spielen. Die Lernkurve ist groß: Am Anfang ist ein wildes Dschungeltier noch ein Problem, am Ende werden auch Dämonen zu Fallobst.
Viel wichtiger als das Umhauen von Gegnern ist die Erkundung der Spielwelt. Im Gegensatz zum Vorgänger, bei dem die Reihenfolge, in der die Settings besucht werden mussten, mehr oder weniger vorgegeben war, kann sich der Spieler jetzt nach dem Prolog frei bewegen. Per Schiff lässt sich etwa die Insel der Diebe bereisen, auf der kleine brabbelnde Kobolde leben. Alternativ geht es zur Insel Kila, auf der Eingeborene sich mit Voodoo-Ritualen beschäftigen. Auf weiteren Inseln warten Magier oder Dämonenjäger, wobei jedes Eiland einen eigenen Charme hat, der trotz veralteter Grafik durchaus seine Wirkung entfaltet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Einzelteile der Spielwelt bedeutsam sind: Wenn irgendwo eine Truhe herumsteht, befindet sich darin meistens auch etwas Wertvolles oder ein Gegenstand, der eine neue Quest auslöst. Wer einfach nur eine halbe Stunde durch die Landschaft streift, hat gute Chancen, mit einem prall gefüllten Tagebuch und unzähligen neuen Aufgaben zurückzukehren.
Als ich zum ersten Mal Risen 3 spielte, entschied ich mich mich etwa, zu Beginn an der Insel Takarigua anzulegen, in der Hoffnung, dort jemanden zu finden, der mir bei der Suche nach der verlorenen Seele des namenlosen Helden helfen kann. Am Strand traf ich den Leuchtturmwärter Jack, der unbedingt wissen will, was in der Hauptstadt der Insel vor sich geht. Er hat aber auch ein persönliches Problem: Er wurde von Soldaten aus seinem Leuchtturm vertrieben und ist seither obdachlos. Am Leuchtturm angekommen hausen dort tatsächlich die beiden Soldaten Holtby und Tanner, wobei sich im Turm Holtbys Tagebuch findet. Ich erfahre, dass er ein Dieb ist, außerdem, wo er das Diebesgut versteckt hält, das ich nun wiederum seinem Besitzer zurückgeben kann, der mir dafür gleich ein paar neue Fähigkeiten beibringen will. In Risen 3 reiht sich Quest an Quest. Ereignislose Streifzüge durch die Landschaft gibt es so gut wie nie.
In der Welt leben zudem verschiedene Fraktionen. Während des Spielverlaufs kann sich der Held wahlweise den Wächtern, den Voodoo-Piraten oder den Dämonenjägern anschließen – eine Entscheidung, die den Spielverlauf teils drastisch ändert. Dumm nur: Während sich der Spieler recht einfach in der Welt von Risen 3 verlieren kann, gerät die eigentliche Aufgabe, nämlich das Wiederfinden der eigenen Seele, mehr und mehr in den Hintergrund. In Traumsequenzen erinnern die Entwickler von Piranha Bytes immer wieder daran, worum es eigentlich geht. Das merkt aber nur, wer sich freiwillig ins Bett legt und weil sich Wunden auch durch ausreichende Nahrungsaufnahme und Schnaps heilen lassen, ist das nicht nötig.
Trotzdem: Wie schon seine Vorgänger hat mich auch Risen 3 wieder gepackt. Ich genieße es, durch diese zwar nicht gigantisch große, aber doch dichte Welt zu laufen. Überall entdecke ich kleine Höhlen und Schätze, und schrullige Figuren, denen ich in klassischer Gothic-Manier Schläge androhen kann: „Ich hau dir aufs Maul!“ Risen 3 ist ein Abenteuer für Entdecker, die sich an einer etwas unterentwickelten Geschichte und dem doch sehr simplen Kampfsystem nicht stören und Spaß daran haben, sich in der Spielwelt zu verlieren – seelenloser Protagonist hin oder her.