Angry Video Game Nerd: The Movie

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“I have to save the fans.”

Es ist ein seltsames Erlebnis, diesen Film mit den Eindrücken der letzten Wochen im Hinterkopf anzusehen. Seit 2004 spielt James Rolfe nun schon den Angry Video Game Nerd, die überzeichnete Figur eines wutschnaubenden Klischee-Gamers, der sich immer wieder in Flucharien über vornehmlich ältere Spiele verliert. Ihren vorläufigen Abschluss findet die Reihe nun mit dem abendfüllenden Leinwandepos Angry Video Game Nerd: The Movie, das zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem ich eigentlich die Nase voll von zornigen Videospielern habe. Doch auch wenn dieser Ausbruch ins Filmische oberflächlich betrachtet als ziemlich misslungen bezeichnet werden muss, markiert er einen würdigen Abgesang auf eine Serie, die vom Zeitgeist wahrscheinlich nicht nur einge- sondern längst überholt wurde. Nicht zuletzt, weil seine Wut nicht blind, sondern auf Versöhnung aus ist.

Dient in den meisten Filmen die Hintergrundgeschichte als tragendes Element, so bildet sie in Angry Video Game Nerd: The Movie eher den Rahmen für eine Vielzahl an popkulturellen Zitaten und Selbstreferenzen. Diese sind zu weiten Teilen am Abenteuerkino der späten 80er Jahre und an den zahlreichen erinnernswerten Momenten der eigenen YouTube-Historie angelehnt, was einen Zugang für ein Publikum ohne Vorkenntnisse erheblich erschwert, aber nicht zwingend verhindert. Der Film bietet immerhin eine kurze Einführung in das bisherige Schaffen und Wirken seines einzig wahren Hauptdarstellers, der über die gesamte Länge nur als “Nerd” adressiert wird. Dieser verhilft trotz eindringlicher Warnungen und Hasstiraden in seinen Videos selbst den jämmerlichsten Videospielauswüchsen zu nachträglichem kommerziellen Erfolg, da seine Fans offenbar das Leiden während des Spielens nachempfinden wollen. Um aus diesem Umstand Profit zu schlagen, plant die Entwicklungsfirma mit dem äußerst subtilen Namen “Cockburn Industries” für das vermeintlich schlechteste Spiel aller Zeiten einen noch mieseren Nachfolger herauszubringen, um diesen vom Nerd besprechen zu lassen. Doch bereits dessen Vorgänger lehnte dieser ungeachtet des immensen Fan-Interesses jahrelang ab, um seine Anhänger und sich selbst vor dessen Grausamkeit zu schützen.

“Even my dreams are low budget.”

Die Rede ist natürlich von E.T., der schrottigen Schnellversoftung zu Spielbergs Kinohit für den Atari 2600. Ein Spiel, das wie kein zweites das Gesicht des 1983er Videospielmarkteinbruchs verkörpert und dessen fast mythologisches Begräbnis in der Wüste New Mexicos nicht nur den Plot vorantreibt, sondern ihn auch zunehmend ausfranst. Das Vorhaben, die dort vermuteten Spielemedien wieder auszubuddeln, wird begleitet von paranoiden Militärs, Area-51-Aliens, einem gigantischen Robo-Monster, abstrusen Verschwörungstheorien, ständigen Schauplatzwechseln, unnötigen Nebencharakteren und Cameo-Auftritten. Zusammen füllt dieses unharmonische Potpourri den bis zum Bersten vollgestopften Zitatekoffer, der irgendwann so schwer wird, dass ich ihn am liebsten einfach zurücklassen würde. All diese Referenzen sind zwar liebevoll verpackt und ein hervorragender Fanservice, doch tun sie in ihrer übertriebenen Fülle dem Format Film, das oftmals eine gewisse Stringenz und Reduktion erfordert, schlichtweg nicht gut. Jede Figur abseits des Nerds dient nur als Klebstoff für die Verbindung einzelner Abschnitte und der zumeist uninspirierten Gags, eine Entwicklung der Charaktere ist praktisch nicht existent. Die schauspielerischen Leistungen aller Beteiligten fallen dementsprechend überschaubar aus. Letztlich zeigt aber auch die technische Umsetzung des Films, dass die Erzählung einer mitreißenden Story und eine elaborierte Charakterzeichnung nicht das Hauptaugenmerk bei der Produktion gewesen sind.

Kameraeinstellungen, Schnitt und Effekte machen in jedem Fall deutlich, in welcher filmischen Ecke sich Rolfe zu Hause fühlt. Er ist kein Dilettant, sondern setzt die bisweilen stümperhaft inszenierten Actionsequenzen bewusst ein, um beispielsweise dem von ihm verehrten japanischen Monsterkino seiner Kindertage Tribut zu zollen. Da fliegen dann schon mal Matchbox-Autos eine Klippe hinunter und Großstädten aus Pappmaché wird mit Lasern Feuer unterm Kartonhintern gemacht, obwohl das gesammelte Budget sicherlich auch für das ein oder andere digital unterstützte Feuerwerk gereicht hätte. Doch auch wenn derlei herrlich naive Einzelszenen für sich stehend ganz amüsant sein mögen, ergeben sie in kollektiver Aneinanderreihung einen ermüdenden Flickenteppich, der mehr wie eine Greatest-Hits-Kompilation der persönlichen Vorlieben des Autors gleicht, als einem homogenen Gesamtkunstwerk. Man sollte es Rolfe nachsehen, dass er so viele der Ideen, die sich über die Jahre angesammelt haben, auch in irgendeiner Weise umsetzen wollte, jedoch weist das Ergebnis ein gehöriges Maß an verzichtbarem Füllmaterial auf. Ärgerlich, aber verständlich, schließlich kommt einem wahrhaftigen Nerd-Enthusiasten das Rausschneiden eines albernen Catfights dem Verlust des rechten Armes gleich.

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“I can’t even be pissed off and have it mean anything anymore.”

Letztlich konnte ich solch einem bewusst produzierten Trash aber auch noch nie etwas abgewinnen, obgleich ich unfreiwillig Schlechtgemachtes durchaus unterhaltsam finde. Angry Video Game Nerd: The Movie mag mir deshalb als ganzheitlicher Film zwar nicht gefallen, doch kann man ihn durchaus als gelungene Hommage an das Kino und die Videospiele gar nicht allzu lang vergangener Tage bezeichnen. Denn was den Nerd von Anfang an von so manch anderem fluchenden Gamer unterschieden hat, ist die sich hinter jeder Rektalabsonderungsanalogie versteckende Liebe zum Medium und der Respekt vor seinen Schöpferinnen und Schöpfern. Sein Blut gerät durch schlampige Programmierung und unlogisches Design in Wallung, doch Hetze gegen die dafür verantwortlichen Personen sucht man in all seinen Videos vergebens. Wohl nicht zuletzt deshalb taucht mit Howard Scott Warshaw auch ausgerechnet der Mann an der mutmaßlichen Ausgrabungsstätte im Film auf, der innerhalb von nur fünf Wochen im Alleingang E.T. programmiert hat. Gemeinsam mit den zahlreich versammelten Anhängern des Nerds wird er zum großen Finale Zeuge der langersehnten Besprechung seines berüchtigten Klassikers. Ein kathartischer Moment, für die Beteiligten und für all diejenigen, die durch die Ereignisse der letzten Wochen den Glauben daran verloren haben, dass auch den unwirschesten Wutanfällen die Befreiung folgt.