Sudo apt-get install steam
Hände hoch: Wer von Euch benutzt schon Linux? Abseits des Markts für Server und eingebettete Systeme hat sich das freie Betriebssystem nie durchsetzen können – auch wenn die Community zu Beginn jedes Jahres fest daran glaubt, dass nun endlich der lang ersehnte Durchbruch kommen wird. Denn die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen: Mit einer Linuxdistribution bekommt der Nutzer ein kostenloses Betriebssystem, das sich nach seinen Wünschen gestalten lässt, sogar bis auf die Systemebene. Die traurige Wahrheit ist aber, dass die meisten Nutzer sich nicht für ihr Betriebssystem interessieren. Auf dem beim Elektrogroßmarkt gekauften Notebook oder PC ist eine Windows-Version vorinstalliert, die man so lange benutzt, bis neue Hardware angeschafft wird. Doch der lang ersehnte Durchbruch könnte nun endlich bevorstehen, denn Steam wird bald auch für Linux verfügbar sein.
Das Windows-8-Desaster
Mit Windows 8 wollte Microsoft den Mut zeigen, alte Zöpfe endlich abzuschneiden. Zentrum des Betriebssystems ist nicht mehr der Desktop, sondern ein Dashboard mit farbigen Kacheln. Die Marke Windows soll sowohl auf Tablets und Smartphones als auch auf PCs ein einheitliches Design besitzen. Im Zuge der Angleichung zwischen den mobilen Versionen von Windows und den stationären findet sich in Windows 8 auch ein App Store. Die Restriktionen, die Microsoft den Entwicklern von Programmen und Spielen für den App Store auferlegt, sorgen jedoch für Unmut. Gabe Newell formulierte es im Sommer so:
“Windows 8 is a catastrophe for everyone in the PC space.”
Nach Newell droht der Store die Gewinnmargen zahlreicher Anbieter zu reduzieren – besonders Steam sieht sich von Konkurrenz unter Druck gesetzt. Microsoft kehrt dem PC als offener Plattform zusehends den Rücken und baut sein System zum walled garden um, ganz so wie es der Konkurrent Apple vorgemacht hat und damit zur wertvollsten Marke der Welt geworden ist. Zur Absicherung setzt Valve deshalb nun auf Linux, wie es Entwickler Drew Bliss vor wenigen Wochen auf dem Ubuntu Developer Summit noch einmal bestätigt hat.
Mehr als nur ein Betriebssystem
Für Linux-Enthusiasten ist ihr Betriebssystem mehr als nur ein Betriebssystem oder gar ein Hobby. Ihre PCs sind eine Erweiterung ihrer selbst. Während Windows-Nutzer höchstens ihren Desktophintergrund ändern, toben in der Linux-Community erbitterte Glaubenskriege um die beste Benutzeroberfläche, von der besten Distribution ganz zu schweigen. Diese Individualität hat natürlich ihren Preis. Für Firmen, die ihre Software auch für Linux verfügbar machen wollen, stellt sich der Markt als undurchsichtiger Dschungel aus allen möglichen Kombinationen der verschiedensten Komponenten dar. Willkommen in der Support-Hölle. Durch die hohe Fragmentierung ist es bislang beispielsweise noch nicht einmal gelungen, sich auf einen Standard für Softwarepakete zu einigen: Alle Debian-basierten Systeme (darunter auch Ubuntu) nutzen .deb-Dateien, während Fedora und Opensuse auf .rpm-Dateien setzen.
Diese babylonische Distributionsverwirrung hat natürlich auch den Spielemarkt beeinflusst. Zwar gab es auch in den letzten Jahren eine große Vielfalt an Linux-Titeln, doch beschränkte sich diese größtenteils auf Klone erfolgreicher Klassiker. Eine ähnliche Entwicklung wie bei Windows, dass das Medium immer wieder das bestehende System an seine Grenzen bringt, grafisches und spielerisches Neuland erschließt und dabei von der Hardwareindustrie unterstützt wird, fehlte hier lange.
We’re not in Kansas anymore.
Aber diese Zeiten neigen sich glücklicherweise ihrem Ende zu. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Ubuntu hat sich in den letzten Jahren zum De-Facto-Standard entwickelt. Die Bemühungen von Canonical, der hinter Ubuntu stehenden Firma, Linux benutzerfreundlicher zu machen, tragen endlich Früchte. Mit der Unity-Oberfläche (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Engine) konnten die Entwickler nun auch ästhetisch zur Konkurrenz von Microsoft und Apple aufschließen und den “dritten Weg” bei Betriebssystemen deutlich attraktiver und einzigartiger gestalten. Die Popularität von Ubuntu macht für Linux ein Geschäftsmodell möglich, das so vor Jahren noch nicht umsetzbar gewesen wäre: “Ubuntu first”
So wird Valve zum Start von Steam für Linux nur Ubuntu unterstützen, andere Distributionen müssen sich ihre Pakete selbst zusammenstricken. Für Drew Bliss von Valve war die Wahl von Ubuntu eine einfache:
“We chose Ubuntu to start because of its broad user-base, strong community, and a strong company backing it in Canonical. Ubuntu was a simple choice to make.”
Um Linux aber wirklich High-End-tauglich zu machen, benötigt Valve allerdings mehr als nur die Hilfe des Ubuntu-Teams. In der Vergangenheit war die Verfügbarkeit von proprietären 3D-Treibern immer der Flaschenhals aller Linux-Distributionen. Es ist ein klassisches Henne-und-Ei-Problem, auf das man in der Linux-Welt so oft stößt: AMD und Nvidia sehen die Entwicklung hochwertiger Linuxtreiber wegen der geringen Verbreitung nicht als Priorität an. Die geringe Verbreitung lässt sich aber unter anderem direkt auf die schlechte 3D-Unterstützung zurückführen.
Am 6. November, also zeitgleich mit dem Erscheinen der Betaversion von Steam for Linux, gab Nvidia eine Treiberversion heraus, die, man höre und staune, die Performance unter Linux um bis zu 50 % steigert. Auch mit Intel-Treibern gelang Valve-Entwicklern im Sommer schon ein beachtlicher Leistungssprung.
Systeme, vereinigt euch
Zurück zu Unity, dieses Mal zur Engine. Neben Steam ist nun auch die Unity-Engine für Linux verfügbar, ein Schritt der enorme Konsequenzen für den Linux-Markt nach sich ziehen wird, in den letzten Wochen doch in der Berichterstattung fast untergegangen ist. Denn in der Vergangenheit waren es oft die fehlenden Entwicklungswerkzeuge, die Middleware, die eine effiziente Spieleentwicklung für Linux verhindert haben. In der neuen Unity-Version ist es nun möglich, mit einem Klick eine lauffähige Version für Windows, Mac OS und Linux zu erstellen. Vor allen Dingen die Welle an Kickstarter-Spielen, die 2013 hereinbrechen wird, nutzt die leistungsstarke und preiswerte Engine, um auf allen Plattformen gleichermaßen vertreten zu sein. Und genau bei Kickstarter schließt sich der Kreis: Denn was nützt eine Linux-kompatible Engine, wenn Publisher nicht das finanzielle Wagnis eingehen wollen, für Linux Spiele zu entwickeln?
Kickstarter hat das Machtgefüge zwischen Hersteller und Konsument gehörig durcheinander geworfen. Immer wieder hat die kleine aber laute Linux-Community bei spannenden Projekten Linux-Support gefordert – und viele haben auf sie gehört. Neben Wasteland 2 und Project Eternity wird auch Planetary Annihilation über eine Linuxversion verfügen. Entscheidenden Beitrag zur Sichtweise, dass sich Linux-Support auch finanziell auszahlen kann, hat das Humble Bundle geleistet. Sieht man sich hier die Statistiken an, so sind es immer die Linux-Nutzer, die bereit sind, deutlich mehr für ihre Spiele zu bezahlen.
Greed is good?
Doch nicht alle Mitglieder der Community sind von der zunehmenden kommerziellen Erschließung ihrer Plattform begeistert. Für viele bedeutet “freies Betriebssystem” mehr als nur kostenlos. Das Verwenden von freier Opensource-Software ist für sie nicht eine finanzielle Entscheidung, sondern eine philosophisch-moralische. Richard Stallmann, Hohepriester des GNU-Projekts und Gründer der Free Software Foundation, sieht zwar auch klare Vorteile von proprietären Spielen für Linux, bangt aber um den moralischen Kern des Betriebssystems. Was klingt wie eine Predigt, bringt tatsächlich Befürchtungen gewisser Teile der Community zum Ausdruck:
“But if we suppose that it is impossible to develop some kind of free game — what would follow then? There’s no good in writing it as a nonfree game. To have freedom in your computing, rejecting nonfree software is necessary, pure and simple. Therefore, you as a freedom-lover won’t use the nonfree game if it exists, so you won’t lose anything if it does not exist.”
Amen.
Ob Linux zum starken Gaming-System heranwachsen kann, ist derzeit noch nicht abzusehen – die Zeichen stehen jedoch besser als jemals zuvor. Mit dem Dreiklang aus Steam, Unity und Crowd-Funding ist von der Produktion bis zum Vertrieb der Weg geebnet. Eins ist jedoch sicher: Es wird ein spannendes Jahr 2013 für die Linux-Community, auch falls der Durchbruch ausbleiben sollte.