Tomb Raider vs. God of War: Ascension

Ich habe in den letzten Wochen zwei moderne Actiontitel gespielt. Beide sind neue Teile bekannter Serien, bieten auf der technischen Seite alles, was das Herz begehrt, sind spielerisch über jeden Zweifel erhaben, und zeigen mehr Gewalt, als dem Betrachter manchmal lieb ist. Außerdem werden in beiden Fällen die Vorgeschichten der schon seit vielen Jahren bekannten Charaktere erzählt. Trotzdem unterscheidet sich das neuste Abenteuer von Lara Croft im Reboot von Tomb Raider und die Reisen von Kratos im nun schon dritten Prequel der God of War Serie in einem ganz entscheidenden Punkt: Das eine Spiel ist ehrlich und das andere eine Mogelpackung.

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Im nun auch schon fünften Tomb Raider von Crystal Dynamics macht sich die junge Lara Croft und eine Bande klischeebehafteter Figuren auf den Weg in das Bermuda Dreieck 2. Dort geraten sie logischerweise in einen Sturm und stranden auf einer mystischen Insel mit einem dunklen Geheimnis. Die erste Spielstunde gaukelt einem Tomb Raider vor, es würde es ernst meinen. Lara wird von ihren Expeditionskollegen getrennt und muss sich alleine in einer feindseligen Umgebung zurechtfinden. Noch am Strand wird sie gefangen genommen, entflieht jedoch ihrem Häscher und muss sich schließlich mit einem Bogen bewaffnet auf Nahrungssuche machen.

Selbst wenn man die Vorberichterstattung und das Werbematerial zu diesem Reboot nicht kennt, das von einer emotionalen Entstehungsgeschichte des ikonenhaften Charakters der Lara Croft berichtet, erhält man als unbedarfter Spieler zunächst das Gefühl, keiner klassischen Heldengeschichte beizuwohnen. Lara ist geschwächt und nicht die große Abenteurerin, die wir seit 1996 kennen. Schon der erste Kampf gegen zwei Wölfe wird zu einer kleinen Herausforderung und als es das erste Mal gegen menschliche Gegner ins Feld geht, ist Lara an den Händen gefesselt und muss jedem Feindkontakt aus dem Weg gehen.

An diesem Punkt von Tomb Raider hat man etwa fünf Prozent des gesamten Spiels gesehen. Welch strapaziösen Aufgaben einen wohl noch erwarten werden, wenn Lara auf keine Kampferfahrung zurückgreifen kann und sich nur mit ihrem angelesenen Wissen und den ureigenen Instinkten durchschlagen muss? Keine zehn Sekunden nach dem spannenden Versteckspiel mit einer Übermacht an ebenfalls auf der Insel gestrandeten Ex-Soldaten bekam ich die nüchterne Antwort auf diese spannende Frage: Man schießt ganz vielen Menschen ins Gesicht.

Laras erster Mord wird noch als brutaler Nahkampf mit moralischer Wucht präsentiert, doch danach sind alle Tore zu einem grenzenlosen Gemetzel geöffnet. Einmal mit einer Pistole bewaffnet ruft sie den Gegnern zwar noch verzweifelt entgegen: "Wartet doch, wir müssen nicht kämpfen!?", doch dann landet das Zielkreuz auf dem nächsten grimmigen Mann und der Abzug wird gedrückt. Wieder und immer wieder.

Die Verwandlung vom Mädchen zur Frau dauert wenige Spielminuten und ebenso schnell wird aus dem Abenteuerspiel eine Schießbude mit Actioneinlagen. Keine schlechte Schießbude mit durchaus spektakulären Actioneinlagen, lasst euch das gesagt sein. Doch jeder, der in den letzten Jahren einen der Uncharted-Teile gespielt hat, wird nur milde lächeln können, denn dessen Thron im Genre der Achterbahn-Actionspiele-mit-Rumhüpfen wird damit nur ganz leicht angekratzt.

Anstatt sich an der Konkurrenz abzumühen, hätte Crystal Dynamics etwas mehr den Kern der Spielserie beackern und sich dem Erkunden von Gräbern und dem Ausrauben selbiger widmen dürfen. Dieser Aspekt wird nur in optionalen Nebenaufgaben aufgegriffen und erscheint fast wie ein schlechter Scherz. Sieben winzige Höhlen mit sieben kleinen Rätseln darf der geneigte Spieler aufsuchen, um sich vom Erlegen der 434 Menschen zu erholen. Auch die vielen zusätzlichen Sammelobjekte auf der Insel sind kein echter Ersatz für eine wohldurchdachte Grabkammer mit tödlichen Fallen und klugen Rätseln.

Konträr zur durchaus ernsten Stimmung bleibt die gesamte Geschichte um die verfluchte Insel und ihr verschollenes Volk eine Meisterleistung an Oberflächlichkeit. Alle Figuren passen in eine klar beschriftete Schublade von der älteren Vaterfigur, über den Brille tragenden Nerd zum verräterischen Historiker. Während Laras Charakterentwicklung wenigstens minimal ist, bleibt die ihrer Begleiter schlicht aus.

Damit ist Tomb Raider ein kompetentes Actionspiel mit tollen Schauwerten, wird aber weder dem Anspruch für die Entstehungsgeschichte der wichtigsten weiblichen Videospielheldin der Welt gerecht noch besinnt es sich auf die eigenen Wurzeln und damit ein Alleinstellungsmerkmal in der tristen und lauten Welt der AAA-Spektakel-Spiele.

Hatte ich also Spaß mit Tomb Raider? Sicherlich. Fühlte ich mich trotzdem ein wenig hinters Licht geführt? Auf jeden Fall. Bleibt noch die Frage, wie God of War: Ascension in diesen Artikel passt? Das ist ganz einfach und auch schnell erzählt.

httpvh://youtu.be/VJMK8oFY1rA

Der nun schon siebte God of War-Teil ist ein grundehrliches Spiel. Kratos ist ein wütender Krieger, der vom Kriegsgott Ares Hilfe erbat. Als Bezahlung für diese Hilfe steht Kratos als Soldat für immer in Ares' Diensten und tötet im Wahn seine eigenen Familie. Als ihm diese Tat bewusst wird, will er sich vom Kriegsgott lossagen, doch dieser schickt drei Furien los, um Kratos zu fangen und seine Schuld zu begleichen. An diesem Punkt beginnt Ascension und liefert genau das, was man von einem God of War-Spiel erwartet.

Es geht auf eine Reise durch die Sagenwelt der Antike, viele, viele Monster werden sehr, sehr brutal zur Strecke gebracht, und am Ende bezahlen die Furien für ihre Treue zu Ares. Da gibt es keinen doppelten Boden, keine Überraschungen und keinen Willen, irgendetwas anderes zu sein als ein Testosteron versprühendes Großereignis aus dem bekannten Baukasten der erfolgreichen Serie. Das mag an einigen Stellen langweilig sein, es ist aber auch ehrlich.

Diese Ehrlichkeit in Verbindung mit meiner persönlichen Zuneigung zur griechischen Mythologie im Allgemeinen und ihrer grotesk überzeichneten und bombastischen Darstellung in der God of War-Reihe im Speziellen erzeugt beim Spielen von Ascension eine fast ungetrübte Freude. Bei Tomb Raider herrscht dagegen eine Dissonanz zwischen Anspruch und Umsetzung, die aus dem eigentlich viel wichtigeren, weil ambitionierteren, Videospiel ein disharmonisches Gesamtwerk macht.

Tomb Raider und God of War: Ascension zeigen leider, dass das Medium Videospiel mit seinen millionenschweren Großprojekten noch immer auf dem ersten Viertel der Wegstrecke zur Verschmelzung von Botschaft und Interaktion steckengeblieben ist. Männliche Machtfantasien mit einem glatzköpfigen Hünen lassen sich befriedigen, aber der Leidensweg eines schlauen Mädchens zur großen Heldin funktioniert noch nicht so gut. Das haben auch die Entwickler von Crystal Dynamics zugegeben und durften sich trotz millionenfacher Verkäufe in den ersten Wochen nach Veröffentlichung vom eigenen Publisher Square-Enix einen Rüffel für verfehlte Erwartungen abholen. Willkommen in der verdrehten Welt der großen Videospielindustrie.

Was Tomb Raider hätte werden können, beschreibt Volker Bonacker auf videogametourism.at. Die Kollegen von Insert Moin sprachen ebenfalls ausführlich über Tomb Raider und God of War: Ascension.