Alphalevel: Secrets of Rætikon

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Manchmal komme ich mir ganz schön blöd vor. Wenn ich in einem Museum vor einer Installation aus Autoreifen, kaputten Röhrenfernsehern und ungekochter Penne stehe, sich mir aber der sozialkritische Hintergrund dieses Werkes einer tierfleisch- und olympiafeindlichen Künstlerin partout nicht erschließen will. Oder beim Schauen von Dressurreiten. Blöd fühle ich mich aber auch, wenn ich Secrets of Rætikon spiele, welches zwar ab sofort in einer Early Access-Version auf Steam verfügbar ist, aber seine Geheimnisse weiterhin vor mir verbirgt.

Schon vor Spielstart musste ich nachschlagen, wer oder was nun ein Rætikon ist. Gut, als nicht allzu helles Nordlicht muss ich wahrscheinlich auch gar nicht wissen, dass es sich hierbei um eine Gebirgsgruppe der Ostalpen handelt, bin aber direkt positiv ob des erfrischend jungfräulichen Settings überrascht. Benghazi kenne ich dank zahlreicher Militärshooter schließlich schon wie die eigene Westentasche, ohne jemals dagewesen zu sein. Oder Westen getragen zu haben. Zwar mag man vielleicht bei den Alpen zunächst an die heile Welt von Heidi oder der lila Kuh denken, jedoch schreckt Secrets of Rætikon, ähnlich wie vor ihm bereits das frechdachsige Shelter, nicht davor zurück, die Unbarmherzigkeit der rauen Natur abzubilden. Die einheimischen Tierarten, wie etwa Hasen, Füchse und Fledermäuse, verhalten sich der Nahrungskette entsprechend, verschiedene Vogelarten verteidigen ihr Habitat und bereiten meinem eigenen gefiederten Freund bei der Erkundung der mythischen Berglandschaft erhebliche Schwierigkeiten. Da wird gepickt und gezerrt, bis einer blutend zu Boden sinkt. Zudem bedrohen stachelige Büsche und erschreckend häufig ins Ziel treffende Blitzeinschläge die körperliche Unversehrtheit meines Piepmatzes, dem dadurch ein ums andere Mal die Flügel gestutzt werden. Ob man die Wahrscheinlichkeit vom Blitz getroffen zu werden auch auf die Gewinnchancen im Lotto übertragen kann, lässt das Spiel jedoch im Unklaren, da trotz intensiver Suche keine Annahmestelle ausfindig zu machen war.

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Damit ich mich dennoch erneut all diesen Gefahren aussetze, haben die österreichischen Entwickler von Broken Rules eine um antike Maschinen und Statuen herum gebaute, geheimnisumwobene Geschichte gestrickt, deren Entschlüsselung das primäre Ziel des Spiels darstellt. Hierzu sammele ich überall in der Welt verteilte leuchtende Dreiecke, welche die uralten Maschinen wieder in Gang bringen. So erschließen sich mir neue Wege, oder noch besser, es fällt eine Art glockentöniger Runenstein heraus, dessen Klingeln mir unmittelbar den letzten Nerv raubt. Die Beschaffung dieser Steine ist relativ unproblematisch. Viel komplizierter gerät es oftmals, die Dinger bis zu dem am Startpunkt stehenden Riesenapparat zurück zu schleppen, in den insgesamt sieben Runen eingesetzt werden müssen. Neben den bekannten Gefahren, diebischen Elstern und Bäumen, die einem die Klunker mit ihren Ästen immer wieder aus den Klauen schlagen, bin ich vor allem von völliger Orientierungslosigkeit geplagt, die sich erst nach einiger Zeit legt. Eine Karte oder gar Wegweiser gibt es nicht, so dass mir nur das Einprägen der einzelnen Abschnitte der offen gestalteten Spielwelt bleibt, was wahrlich nicht zu meinen Stärken gehört. Den Winden zu folgen erwies sich jedenfalls nur partiell als gute Idee, da ich wie ein Flieger ohne Landeerlaubnis oftmals schlichtweg im Kreis um das eigentliche Ziel flog.

Zusätzlich kann man im Gebirge versteckte Übersetzungsrunen für die in Stein gemeißelten Schriftzeichen entdecken, denen man allerorts begegnet. So soll zusätzliches Licht in die im Dunkeln liegende Herkunft der riesigen, mechanischen Gebilde gebracht werden, auch wenn manche Nachricht auch entschlüsselt nicht unbedingt weniger kryptisch wirkt. Die ganze Zeit beschleicht mich, nicht zuletzt bedingt durch all diese mysteriösen Inschriften, das Gefühl, dass man mir mit diesem Spiel etwas total Wichtiges sagen will. Mit zermürbendem Backtracking, einem bis zur finalen Veröffentlichung fehlendem Ende und der Tatsache, dass ich nach knapp zweieinhalb Stunden alle Leben und somit auch meinen gesamten Spielfortschritt verlor, fehlt mir derzeit jedoch die Muße, mich abermals den anderen Tieren zum Fraße vorzuwerfen, nur um vielleicht doch noch die herbeigesehnte Erleuchtung zu finden. Secrets of Rætikon gleicht somit in seiner aktuellen Fassung eher der halbgaren Bachelorarbeit eines Designstudenten, hat aber zweifelsohne das Potenzial, zu einer Einser-Masterarbeit mit Bienchen zu reifen, wenn sich zu der ohne Frage hübschen Fassade ein würdiges Ende und die ein oder andere Gameplay-Verbesserung gesellen. Sollte es das Spiel letztlich doch noch schaffen, dass sogar ich hinter die Intention der ganzen bedeutungsschwangeren Symbolik steige, verzichte ich von mir aus auch auf die Implementierung eines Lotto-Kiosks.