Baldur's Gate II: Würfelsummenanzeige-Edition
Und dann startest du Baldur’s Gate II – Enhanced Edition und du hörst diese Musik und du bist wieder 14 oder 17 und du erkennst jeden einzelnen Takt der Melodie und die Stelle, an der sich die elektronische Harfe zu den elektronischen Streichern gesellt, summst du leise mit.
Und dann ist es 0 Uhr und 24 Minuten und du starrst immer noch auf ein Feld voller Zahlen und du klickst mechanisch auf den Knopf, der mit „würfeln“ beschriftet ist. Und jedes Mal verändern sich die Zahlen und jedes Mal bist du für eine Viertelsekunde enttäuscht, dass ihre Gesamtsumme unter 90 liegt. Und da ist wieder diese Stelle, an der sich die elektronische Harfe zu den elektronischen Streichern gesellt und du summst sie leise mit und dir wird schlagartig bewusst, warum du diese Melodie so genau kennst und wie du mit 14 oder 17 nachts auf den gleichen Knopf klicktest wieder und wieder und wieder und würfeln und würfeln und würfeln und nie addierte sich die Gesamtsumme zu einem Ergebnis, das jenseits der 89 lag.
Und du wirst müde und überlegst, ob eine 88 in diesem Fall vielleicht doch genügt und ob ein Weisheitswert von mehr als 10 bei einem Dieb überhaupt einen merklichen Effekt hat und dann fällt dir auf, dass es die Anzeige der Würfelsumme damals noch gar nicht gab und du die Ergebnisse wohl im Kopf überschlagen hattest. Nie lagen sie jenseits der 89. Und jetzt weißt du, warum es „Enhanced Edition“ heißt: Weil es jetzt dieses Anzeigefeld für die Würfelsumme bei Schritt fünf der achtschrittigen Charaktererstellung gibt.
Und dann fängst noch einmal von vorne an, weil Du nun doch einen Magier spielen möchtest. Und du freust dich über die Würfelsummenanzeige und dass die verschlungenen Rahmungen der Menüs nun deutlich schärfer aussehen als damals. Doch sie sind unsauber an den Kanten, als ob jemand die falsche Version der Photoshop-Datei verwendet hätte. StatsMenuFinal.psd statt StatsMenuFinal-FIXED.psd.
Und du fragst dich, ob „Enhanced Edition“ überhaupt der richtige Denkansatz ist, wenn man ein Spiel überarbeitet, das schon immer zu viel von allem war – zu viele Klassen und zu viele Waffen und zu viele Figuren und zu viele Goblins und zu viele normale Pfeile und zu viele Geheimnisse und zu viele Bugs und zu viele Regeln und zu viele Geringe Heiltränke – und ob eine „Reduced Edition“ in diesem Fall nicht vielversprechender wäre. Eine Edition, die den notwendigen Abstand vom Wahnsinn des D&D-Regelwerkes nimmt und von der furchtbaren Wegfindung der Infinity-Engine und von jenem schrecklichen Satz, der sich, gleich der Titelmelodie, für alle Zeit in dein Hirn gebrannt hat: „You must gather your party before venturing forth!“
Aber nein, denkst du. Du willst das Baldur’s Gate II von damals, das von seiner Vielfalt zehrte und von seinen Figuren und seinen Geheimnissen und seinen magischen Waffen und du willst nicht dieses rundgelutschte profillose Zeug, das in den Konsolen und Telefonen die 14- oder 17-Jährigen von heute langweilt. Und wenn das bedeutet, dass das neue alte Baldur’s Gate II etwas einfacher zu installieren ist und auf neuen Monitoren besser aussieht und ein paar zusätzliche Charaktere enthält und eine Extra-Gladiatoren-Arena-Kampagne, dann ist das sicherlich zu verschmerzen. Ja, du willst Baldur’s Gate II und derweil summst du andächtig die Titelmelodie und klickst auf den Knopf, der beharrlich Zahlen zwischen 75 und 89 generiert.
Und dann du hörst auf mit der Würfelei, als du überlegst, ob du nicht vielleicht doch einen Dieb spielen willst. Und du erkennst eine Alternative und lädst eine Datei namens „heftichhhh“ aus dem Verzeichnis BG2SAVES, auf das zuletzt am 2. September 2001 zugegriffen wurde. Und du wunderst Dich über die Namenswahl deiner Hauptfigur, die dir vermutlich clever erschien, als Du 14 oder 17 warst.
Und dann ist da dein alter Spielstand neben dem neuen Quicksave-Knopf den du begeistert drückst und der das Spiel schnell speichert. Und du begrüßt die alten Charaktere, die immer noch herausragend gut geschrieben sind, mit einem herausragend schlecht platzierten Feuerball und du bist skeptisch ob der neuen Charaktere, die sich jedoch wacker in das alte Spiel einfügen. Und Du durchstöberst die Leichen der alten Goblins nach 18 unnützen Pfeilen, die du dank der neuen Loot-Sortierungs-Leiste jetzt schneller ignorieren kannst. Und du ärgerst dich über die neue schreckliche Wegfindung die die alte schreckliche Wegfindung ist und über das neue unübersichtliche Inventarsystem, das das alte unübersichtliche Inventarsystem ist.
Und während du nun doch einen neuen Druiden neuen Assassinen neuen Hexer neuen Paladin erstellst, bleibt fraglich, ob Menschen im Alter von 14 oder 17, die gefälligere Steuerungen und gradlinigere Regelwerke gewohnt sind, an Dragon Age 2 oder Mass Effect nicht deutlich mehr Freude hätten, als an jenem Meisterwerk einer längst vergangenen Zeit. Und ob all die anderen, die damals 14 und 17 waren, nicht mit ihren alten CDs, dem Widescreen-Mod und Dungeon-Be-Gone genau so verklärt und verzückt auf den Knopf drücken können, der suboptimale Zahlen generiert.