Blast from the Past: SSX Tricky

SSX Tricky

Es gab eine Phase, da war ich wie besessen – und zwar lange vor World of Warcraft. Mein Studium war erst seit kurzem vorüber und ich hatte mich noch nicht ganz von meinen ersten finanziellen Abenteuern erholt: Einem Volontariat und der Tätigkeit als freie Autorin. Trotzdem hob ich Geld vom Sparbuch ab und erwarb bei Amazon für 888 D-Mark eine Playstation 2. Zwar hatte ich im Zuge des Volontariats schon mit der Konsole gespielt und mein damaliger Freund hatte so ein Ding in seiner WG, ich wollte aber unbedingt eine eigene. Scheiß auf die Kohle! Denn in der WG war ich SSX Tricky verfallen und das, obwohl ich nie ein großer Fan von Sport-Spielen war.

SSX Tricky wurde von EA Ende 2001, nach dem Überraschungserfolg von SSX im Vorjahr, schnell hinterher geschoben. Und ich fand es absolut grandios. Ein Gesamtkunstwerk beinahe. Dabei war das Spiel so wunderbar simpel strukturiert: Es gab im Grunde nur einen relevanten Modus, den “World Circuit”, den man als Race oder Show-off bestreiten konnte – fertig. Also entweder am schnellsten unten sein oder die irrste Punktzahl mit Tricks generieren. Letzteres war wie ein Rausch, so fühlte es sich für mich jedenfalls an. Untermalt von arschcooler Musik, drosch man aberwitzig-unrealistische Pisten runter, schredderte durch Eistunnel voller Rails, schoss in einem Turm mit dem Windstrom nach oben, möbelte durch Hochhausschluchten oder endlose Wälder voller Halfpipes und Kicker. Und wenn man genug Punkte für den Megatrick sammelte, gellte Run DMCs „It’s Tricky“-Remix aus den Boxen: “Tricky, tricky, tricky, they say I’m overrated!

Die gesamte Musik war großartig ausgewählt. Nicht an jeden Song erinnere ich mich im Einzelnen, nur daran, dass alle 10 Minuten “Jerk It Out” von den Caesars lief – für mich auf immer und ewig ein SSX Tricky-Flashback.

Die Jungs aus der WG meines Freundes begannen irgendwann, sich morgens den Wecker zu stellen, um noch vor den anderen an der Playstation zu sitzen. Und das zahlte sich aus: Bald konnten sie mit einem Sprung an der Wand entlang Mega-Tricks reißen. Eigentlich brauchte man dafür schon einen Kicker oder eine Rampe, um genügen Höhe und damit Zeit für die Trickserie zu haben – sie nicht. Ich war längst nicht so gut, allerdings auch nicht schlecht und hatte fast alle Strecken mit Goldwertung abgeschlossen, mit Ausnahme von Alaska und Hawai. Besonders auf der puren Eisstrecke Alaskas war ich chancenlos und egal wie verkrampft ich mich mit schweißnassen Fingern den Controller umklammerte, ich rasselte an zu vielen Rails und Jumps vorbei, um genügend Trickpunkte zu sammeln.

Es kam die Weihnachtszeit, in der man lange Abende (oder ganze Tage) entspannt im heimischen Wohnzimmer vor der Konsole sitzen kann. Ich spiele und spielte. An einem Tag verbrachte ich acht Stunden vor der Playstation, lediglich unterbrochen durch das Kochen einer neuen Kanne Tee, dem Präparieren von Fingerfood und dem gelegentlichen Sprint auf die Toilette. Am Weihnachtsabend selbst klemmte ich mir die PS2 unter den Arm und während mein Vater und mein Bruder in der Küche kochten und meine Mutter auf der Couch entspannte, spielte ich; milde ignoriert vom Rest der Familie. Ich habe sogar den Krampf hinter mich gebracht, die PS2 online zu bringen: Dafür hatte ich extra ein Flachband-Ethernetkabel besorgt – 30 Meter lang – um es unter zwei Türen hindurch ins Wohnzimmer, hinter der Couch entlang, um die Ecke herum in die Konsole zu stöpseln. Die ganz große Online-Karriere habe ich natürlich nicht gemacht, aber ich musste dieses Onlinespiele-Multiplayer-Ding einfach ausprobieren.

Auf meiner allerersten E3, ich glaube 2003, besuchte ich dann auch den Stand der SSX-Macher. Dort gab es, statt Wasser und Softdrinks, Heineken-Bier in Dosen. Und ich traf dort Steve Rechtschaffner, der von den vielen ehrfürchtigen Liebesbekundungen offenbar etwas mitgenommenen war. Der Kanadier ist wohl der Hauptgrund für die unnachahmliche Coolness von SSX. Er war selbst Snowboarder, hatte 1991 den ersten Boardercross-Event ins Leben gerufen und produzierte, bevor er bei EA anheuerte, ähnliche Snowboardevents fürs Fernsehen.

Die letzten beiden Strecken habe ich niemals geschafft. Ich fuhr zwar irgendwann in die Medaillen-Ränge, aber für Gold reichte es nie. Auf Youtube finden sich heute natürlich auch unzählige SSX Tricky-Videos. Ich habe mir Videos von Hawaii und Alaska kürzlich mal angesehen und dachte, oh Mann, soooo schwierig sieht das gar nicht aus. Aber ich möchte einfach daran glauben, dass ich in diesem Spiel ziemlich gut war und mich nur die mächtigsten beiden Strecken nicht vollends triumphieren ließen.


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie gelandene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.

Valentina Hirsch spielt seit Tetris auf dem Gameboy und verfasste ihre ersten Hausarbeiten noch auf dem Amiga 500, als sie begann, irgendwas mit Büchern zu studieren. Heute schreibt sie in Selbstausbeutung und nur zum Spaß auf dem eigenen Weblog (oder hier, bei Superlevel). Geld gibt’s für die Arbeit beim Spartenprogramm des ZDF – zuletzt für das Videospiel- und Netzkultur-Magazin Pixelmacher.