Banished: The Hunger Games

Was braucht der Mensch zum Überleben? Ein Dach über dem Kopf, Feuerholz und ausreichend Nahrung – daran hat sich im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert. Doch was braucht er, um glücklich zu sein? Auf diese Frage gibt es keine universelle und epochenübergreifende Antwort. Im Indie-Aufbaustrategiespiel Banished ist das Überleben schon schwer genug. Wenn der Überlebenskampf noch Energie für die Suche nach dem Glück übriglässt, dann erschöpft sich diese im Glauben und im Alkohol. Banished ist eine Lehrstunde über die Vorzüge zivilisatorischen Fortschritts – und nichts für Mittelalterromantiker.

Banished

Wann und wo das Setting von Banished zu verorten ist, bleibt unklar. Architektur, Gesellschaftsordnung und Soundtrack wirken entschieden mittelalterlich; Geologie, Tierwelt und Blockhütten könnten allerdings ein Indiz für ein nordamerikanisches Szenario sein. Die farbenfrohe Tracht der Verbannten schreit bisweilen “westeuropäische Fußgängerzone, ausgehendes 20. Jahrhundert“. Für die Geschichte spielt das aber auch keine Rolle. Die Ausgangssituation ist eindeutig präkapitalistisch und schnell beschrieben: Eine 15-köpfige Gruppe von Menschen, die titelgebenden Verbannten mit merkwürdigen – prozedural generierten? – Namen wie Jencarleton, Parke oder Richaroland, lassen sich in einem unbewohnten Landstrich nieder, um sich eine neue Existenz aufzubauen.

Was folgt, ist ein freudloser, grausamer Kampf ums Überleben: Die wenigen Arbeitskräften müssen ausreichend Nahrungsmittelvorräte und Feuerholz für den bevorstehenden Winter beschaffen. Mit jedem Kind, das geboren wird, wächst der Bedarf an Ressourcen, die Familien raffen und bunkern wie verrückt Vorräte in ihren Hütten. Wo sich gerade noch Fische, Pilze und Feuerholz im Lagerhaus türmten, herrscht plötzlich gähnende Leere – und wer beim Plündern zu langsam war, stirbt als erster den Hungertod.

Banished

Schnell zeigt sich, dass egoistisches Vorrätehamstern nur kurzfristig existenzsichernd ist. Jeder Erwachsene, den Hunger oder Kälte dahinrafft, hinterlässt einen unbesetzten Arbeitsplatz in einer Funktion, die für das Überleben aller entscheidend ist – als Jägerin, Farmer, Holzhacker, Kräuterdoktorin. Gerade zu Beginn des Spiels ist Arbeitskraft ein rares Gut. Kinder müssen selbst in dieser voraufklärerischen Zeit erst das zehnte Lebensjahr vollendet haben, bevor sie der Gesellschaft als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Wer seiner Siedlung eine Schule geschenkt hat, muss sogar damit leben, dass es noch länger dauert, weil die Kinder zunächst einige Jahre die Schulbank drücken. Das steigert zwar langfristig ihre Produktivität, führt aber gerade in den ersten Jahren des Spiels schnell dazu, dass das Dorf binnen kurzer Zeit ausstirbt. Die grenzwertige Botschaft lautet hier: Kinderarbeit sollte erst dann durch allgemeine Schulpflicht bekämpft werden, wenn sich Wirtschaftskreislauf und Arbeitsmarkt eingespielt haben.

Über viele Jahreszeitenwechsel hinweg bleibt Banished ein extrem fordernder Balanceakt. Nimmt das Dorf eine Gruppe Nomaden auf, die um Asyl bitten, kann das bedeuten, dass auf einen Schlag dringend benötigte Arbeitskräfte die überalterte Dorfgesellschaft bereichern. Oder, dass die mühevoll aufgebaute Produktionskette durch die zusätzlichen hungrigen Mäuler aus dem Gleichgewicht gerät und alle verhungern. Ressourcenabbau und nachgelagerte Produktion von Kleidung oder Werkzeugen müssen gut aufeinander abgestimmt sein, damit nie akuter Mangel auftritt. Und nur wer es schafft, einen ordentlichen Überschuss an produzierten Waren zu erzielen, kann diesen beim fliegenden Händler gegen neue Samen für Obstbäume oder Gemüse, gegen Kühe, Schafe und Hühner eintauschen. Und selbst wenn sich die Siedlung irgendwann dennoch aus eigener Kraft soweit stabilisiert hat, dass für jeden gestorbenen Dorfältesten eine gut ausgebildete Nachwuchskraft einspringt und Vorräte an Nahrung, Holz, Kleidung und Werkzeug die Lagerhäuser füllen, kann jederzeit eine von vielen Katastrophen alles zunichte machen: Schädlinge bedrohen die Ernte, Seuchen raffen Mensch und Tier dahin, Tornados und Brände legen in Schutt und Asche, was über Jahre mühsam aufgebaut wurde.

Banished

So zeigt mir Banished in seiner Aneinanderreihung von Unglück an Unglück vor allem eins: Es gibt keinen Gott. Und doch fällt typischerweise gerade dort, wo das Elend besonders groß (man könnte also sagen: Gott besonders wenig engagiert) ist, der Zulauf in die Gotteshäuser am stärksten aus. Es wurmt mich, dass meine Siedler am glücklichsten sind, wenn ich ihnen neben der Taverne auch eine Kapelle baue – unrealistisch ist das aber nicht. Deshalb freut es mich zugleich, dass Banished ein so ehrliches Bild einer ursprünglichen, unaufgeklärten Gesellschaft zeichnet. Hier gibt es keine Sicherheit, kein zufriedenes Zurücklehnen, keine Mittelalterromantik. Banished ist fordernd und ungerecht wie das Leben selbst.

Zugleich ist es ein wunderbares Beispiel dafür, wie Indie-Entwickler ein etabliertes Genre beleben und weiterentwickeln können: Banished ist als Spiel schwerer und grausamer, als Narrativ melancholischer als klassische Genrevertreter. Es ist wie eine Dogma-Version der Siedler: brutal, ungefiltert, ohne Zuckerguss und Augenzwinkern. Ein kleines Meisterwerk.