Blast from the Past: Battletoads
Als ich 1994 mit meiner Mutter nach Hamburg-Harburg fuhr, um neue Vorhänge zu kaufen, wohnten wir noch im dörflichen Speckgürtel der Stadt, so dass selbst jener südliche Schandfleck dieser ansonsten so prachtvollen Weltstadt einen ähnlich überwältigenden Eindruck wie Disneyland bei mir hinterließ. Hier gab es alles, was es bei uns im Kaff nicht gab: eine Fußgängerzone, jede Menge Spielzeuggeschäfte, McDonald’s, Obdachlose und ein Karstadt. Letzteres war damals noch in zwei Häuser aufgeteilt. Eines bot alles Mögliche feil, das andere beherbergte lediglich Vorhänge und Spielkram, inklusive einer paradiesisch anmutenden Videospielabteilung.
Warum Vorhänge und Videospiele eine Abteilung teilen mussten, darüber möchte ich lieber nicht spekulieren — nennen wir es einfach göttliche Fügung, denn nur durch diesen bizarren Umstand gelangte ich an einen Grabbeltisch, übersät mit einer Fülle an reduzierten NES-Titeln. Und da lag es: Battletoads, nur 15 Taler (oder wie auch immer man das Geld vor dem Euro nannte)! Da ich kurze Zeit zuvor bei einem Freund war, dessen Eltern ihn anscheinend mehr liebten, weil sie ihm bereits ein Super Nintendo geschenkt hatten, kannte ich das großartige Turtles in Time und dachte, in blinder Hoffnung versunken, den Bildern der Battletoads-Pappe ein total ähnliches Spielprinzip entnehmen zu können. Kämpfende Schildkröten, nur ohne Schild. Super! Aber Pustekuchen!
Zwar besaß ich das NES zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre, jedoch war Battletoads das erste Spiel, welches ich meiner Mutter zusätzlich zu den bereits dem System beigelegten Titeln (Super Mario, Tetris und World Cup) aus dem Kreuz leiern konnte. Nichts gegen Tetris, aber zwei Jahre Klötzchen stapeln war dann doch auch mal genug, das sah selbst Muddi ein. Da wir recht spät wieder zu Hause waren, durfte ich abends nicht mehr spielen, so dass ich mich am nächsten Tag bereits um 4 Uhr morgens ins Wohnzimmer schlich, um mich durch die vermeintlichen Gegnerhorden zu prügeln. Als 10-jähriger war ich noch nicht so wirklich tiefgehend an der Story interessiert, darum werde ich auch gar nicht großartig versuchen, hier den absurden Plot detailliert wiederzugeben. Nur so viel: Von den drei nach Hautkrankheiten benannten Kröten (Rash, Zitz und Pimple) wird eine mitsamt irgendeiner Prinzessin von einer dunklen Königin entführt, so dass die verbleibenden zwei Amphibien sich von einem Weltraumvogel instruiert zu deren Rettung begeben. Die Story wurde also offensichtlich zu einer ähnlich unangemessenen Uhrzeit verfasst, zu der auch meine erste Spielsitzung stattfand. Dann mal rein ins Getümmel!
Es fing ganz harmlos und vielversprechend an. Der Vogel setzte mich mit seinem Raumschiff auf einem kargen Planeten ab, wo ich vereinzelt auftauchende, beflügelte Schweine und aus Höhlen staksende Igelmenschen mit spaßigen Finishern aus dem Bildschirm prügelte. Alles nicht ganz so geschmeidig und farbenfroh wie die Turtles in Time, aber dafür etwas witziger, weil meine Kröte bei einem Kopfstoß Widderhörner auspackte und bei einem kräftigen Tritt auf einmal einen riesigen Stiefel trug. Am Ende des Levels sah ich meine Spielfigur aus der Sicht eines riesigen Kampfroboters und schmiss mit liegengebliebenen Objekten das Glas des Fernsehers ein. Es sah zumindest so aus, war aber in Wirklichkeit nur die Windschutzscheibe des Roboters, da ist mir noch einmal eine Menge Ärger erspart geblieben. Gegen 7 Uhr kam meine Mutter schließlich von mehreren Wutschreien geweckt ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher aus und schickte mich zurück ins Bett.
Battletoads ist kein Spiel für übermüdete Kinder, so viel war mir nun klar. Ebenso, dass ich nach wie vor ins Nachbardorf musste, um Turtles in Time zu spielen, weil Battletoads über das erste Level hinaus sämtliche Ähnlichkeiten mit den 16bit-Schildkröten verlor. Was danach folgte, wurde für die nächsten Wochen meine ganz persönliche Hölle, denn auch im wachen Zustand zeigte sich rasch, dass dieses Spiel nicht gemacht wurde, um von mir bezwungen zu werden. Der anfängliche Spaß wich der bloßen Borniertheit, irgendwie vorankommen zu müssen, egal wie viele Versuche es brauchte. Und wenn ich scheiterte, war das ja gar nicht so schlimm, dann sah ich den ersten Level eben noch einmal, wo man für wenige Minuten zumindest so etwas Ähnliches wie Spielspaß empfinden konnte. Es gab kein Zurück mehr. Nicht zu Mario, nicht zu Tetris und nicht zu World Cup. Es gab nur noch Battletoads und das Auswendiglernen von Spielabschnitten, die sich alle anfühlten, als spiele man plötzlich etwas völlig anderes.
Zu der Klopperei des Spielanfangs gesellten sich im Verlaufe quälender Stunden das Seilschwingen in Höhlen, ein Speedboothürdenlauf, ein Unterwasserparcour, eine Schneeballschlacht, ein Vorläufer des populären Handyspiels Snake und ein in Pseudo-3D gehaltenes Turmerklimmen. Kein Stein passte auf den anderen und alles war wie ein Spiel für sich selbst, was dem enormen Schwierigkeitsgrad zusätzliche Schärfe verlieh. Bisweilen so viel, dass mir die Tränen kamen. In diesen Wochen habe ich vermutlich mehr über Frusttoleranz und Durchhaltevermögen gelernt, als ich je darüber wissen wollte. Und irgendwo, tief in meiner verklärten Erinnerung, ist dieser unerschütterliche Glaube daran, dass ich am Ende auch das letzte Hindernis überwunden habe und für meine Ausdauer belohnt wurde. Es mag ein Irrglaube sein, aber es ist die einzige Möglichkeit für mich, all die Leiden während des Spielens im Nachhinein rechtfertigen zu können.
Irgendwann in der Zeit war mein SNES-Freund ausnahmsweise bei mir zu Hause und weil es regnete, waren wir nicht wie üblich draußen zum Fußballspielen, sondern probierten mein tolles neues Spiel zu zweit aus. Ich freute mich sehr darauf, denn gemeinsam geht ja bekanntlich alles viel leichter von der Hand. Wir spielten etwa eine halbe Stunde, bis ich meinen Freund versehentlich zum wiederholten Male aus dem Sichtbereich des Fernsehers beförderte, weil Battletoads als Tollkirsche auf der vergifteten Sahnehaube auch noch den Mitspieler zum Gegenspieler machte und die ausgepackten Widderhörner auch befreundete Kröten trafen. Er kam danach nicht mehr oft zu Besuch.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend. Wir freuen uns über einen regen Erinnerungsaustausch in den Kommentaren.