Blast from the Past: Captain Comic

Captain Comic

Selten musste ich für einen Artikel so weit ausholen wie für diesen, selten so tief in meinen Erinnerungen wühlen, selten so angestrengt versuchen, verschiedene Ereignisse meiner Kindheit in die richtige Reihenfolge zu bringen. Es muss Ende der 80er Jahre gewesen sein, als ich das erste Mal mit einem Videospiel in Berührung kam. Es passierte nicht etwa bei einem Freund oder Schulhofkollegen, nein – es geschah ausgerechnet im Österreich-Urlaub mit meinen Eltern, bei dem selbige mir vermutlich eher die Natur, die Berge, Bäume und Seen, ganz sicher aber nicht die Faszination einer Nintendo-Konsole naherbringen wollten. Der Zufall wollte es jedoch, dass wir bei den gastfreundlichen Vermietern unserer Ferienwohnung zum Abendessen eingeladen waren. Die hatten Kinder. Und die Kinder hatten ein NES. Darauf lief Super Mario Bros. Es wirkt wie ein dummes Klischee, aber das erste Videospiel, das ich je zu Gesicht bekommen habe, war tatsächlich Super Mario Bros. Ich durfte leider nie besonders lange spielen und als wir die Heimreise antraten, fragte ich mich voller ausufernder Fantasie, was dieses verrückte Telespiel (so nannte ich das damals tatsächlich) wohl gewesen sein mochte.

Captain Comic

Im Rahmen meiner Möglichkeiten stellte ich nach der Rückkehr Nachforschungen an. Ich frage Freunde und Nachbarn, ob sie wüssten, wovon ich sprach. Der Nachbarjunge Jürgen (Name von der Redaktion geändert) ahnte schließlich, was ich meinte. Sein Vater hatte einen 386er-PC, damals gar nicht so übel. Er lud mich zu sich ein und als wir vor dem Computer saßen und heimlich Cola tranken, wartete ich gebannt darauf, dass das versprochene Spiel von der 5,25-Zoll-Diskette lud. Meine anschließende Verwunderung hätte kaum größer sein können: Es war Tetris. „Wer bist du denn da?“, fragte ich verwirrt. „Hä?“, antwortete Jürgen. Er verstand nicht, dass ich nur einen Typ Videospiel wirklich verinnerlicht hatte, nämlich jenen, in dem der Spieler eine Figur verkörpert: Super Mario! „Na, du musst doch irgendwer sein!“, bohrte ich enttäuscht weiter. Der Nachmittag neigte sich traurig seinem Ende. Wenige Wochen später sollte ich jedoch die Antworten auf all meine verzweifelten Fragen erhalten.

Für ein etwa zehn Jahre altes Kind hatte Jürgen seltsam intensiv über meine Worte nachgedacht und seinen Vater dazu befragt. Der förderte eine weitere 5,25-Zoll-Diskette zu Tage, diesmal mit einem anderen Spiel. Jürgen zeigte es mir mit jener Portion Coolness, die ich nicht mehr aufbringen konnte als ich es sah. Monate nach meinem Österreich-Urlaub sah ich die Form von Spiel wieder, die mir so vertraut war. Das Sidescroller-Jump’n’Run, wie ich heute weiß. Genauer: Captain Comic. Was ich damals nicht wusste: Captain Comic war tatsächlich ein spielerischer Quantensprung auf dem PC. Zwei Jahre vor Commander Keen bewies das Spiel im Jahr 1988, dass es möglich war, dynamisch scrollende Levels auch auf dem PC zu verwirklichen. In dieser Hinsicht ging es sogar noch weiter als Super Mario Bros. Der namensgebende komische Kapitän mit seinem seltsamen Weltraumhelm konnte nicht nur nach rechts, sondern auch nach links gehen.

Captain Comic

Überhaupt hat der Charakter eine bizarre Ähnlichkeit mit Super Mario. Die Tatsache, dass er einen Weltraumhelm trägt, hindert ihn etwa nicht daran, ansonsten lediglich eine blaue Latzhose über roten Klamotten zu tragen. Interessanterweise hören die Ähnlichkeiten nach dem Charakterdesign aber auch schon auf. Captain Comic hüpft durch eine Welt in EGA-Grafik, in der er hinter Türen neue Welten entdecken kann, er kann aber auch jederzeit zurückgehen. Heute weiß ich: Captain Comic ist nicht linear. Mehr noch: Es hat Anflüge von Metroid. Bestimmte Abgründe lassen sich nur überspringen, wenn der Spieler vorher eine neue Sprungfähigkeit einsammelt, in bestimmten Abschnitten sieht nur derjenige überhaupt etwas, der zuvor die Lampe eingesammelt hat. An einer anderen Stelle ist zwangsläufig eine Teleport-Fähigkeit nötig – die liegt aber wiederum auf einer speziellen Taste. Bis Jürgen und ich das herausfanden, dauerte es Monate.

Je mehr ich über Captain Comic nachdenke, desto mehr bin ich überzeugt davon, dass es sich dabei um einen unterschätzten Meilenstein der PC-Spiele-Geschichte handelt. Konsolen waren damals schon weiter, selbst Amiga-Besitzer konnten sich noch glücklicher schätzen als jene, die mit einem 386er auskommen mussten. Aber in seinem Revier, auf dem PC, war Captain Comic ein Pionier. Entwickler Michael Denio, dessen Name allzu aufdringlich permanent auf dem Bildschirm prangt, hat selbst nach dem kommerziellen Misserfolg nicht den Glauben an sein Spiel verloren und einen überhasteten zweiten Teil produziert. Danach stieg er aus der Branche aus. Schade.

Captain Comic

Jürgen und ich hatten irgendwann Commander Keen und Jill of the Jungle. Wir haben beide Titel ab und zu gespielt – zurückgekehrt sind wir komischerweise immer wieder zu Captain Comic. Bis wir herausgefunden hatten, wie es funktioniert. Bis wir irgendwann tatsächlich den letzten Bildschirm gesehen haben. Und dann haben wir es wieder getan. Und wieder. Heute bin ich fast ein bisschen traurig, dass ich die ursprüngliche Faszination, die ich einst für Spiele wie Captain Comic hegte, verloren habe. Ich weiß aber, worauf sie gründete: Entdeckergeist. Was mich als Kind bei Super Mario so faszinierte, war die schiere Neugier, was sich hinter dem nächsten Block verstecken würde, welche Gegner wohl im nächsten Level warten würden. Es waren die ersten Fragen, die ich mir als Videospieler stellte. Die Antworten konnte ich mir selbst erst viel später geben. Bis es soweit war, spielte ich Captain Comic. Ein Spiel, das für mich trotz allem für immer viel mehr als eine Ersatzbefriedigung sein wird.


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend. Wir freuen uns über einen regen Erinnerungsaustausch in den Kommentaren.