Blast from the Past: Paradroid
Im Sommer ’88 ging es abwärts mit mir. Ich war neun, und anstatt mit Vater und Onkel im Kino Crocodile Dundee 2 (1. Februar, 22:15 Uhr auf SAT.1) zu schauen, lügte ich ihnen frech und rückblickend erschreckend offensichtlich ins Gesicht, dass ich diesen Film ob der Grausamkeiten der Hauptfigur gegenüber Tieren nicht schauen wolle, allein aus dem Grund, meine erste Begegnung mit dem Medium Videospiel um zweieinhalb Stunden zu verlängern. Nach diesem Tag war ich ein anderer Mensch: Nicht nur zitierte ich so oft es nur irgend passte “Das nennst du ein Messer? DAS ist ein Messer!“, ohne je die entsprechende Szene gesehen zu haben, ich hatte auch die große Konstante meines Lebens gefunden: Paul Hogan. Ach nee, Videospiele.
In diesem Sommer lernte ich Paradroid kennen, und es zeigte mir auf, wie wenig ich über Spiele wusste. Unter anderem, dass man nicht immer nur Tiere steuerte (meine Protagonistenerfahrungen beschränkten sich zu diesem Zeitpunkt auf Frösche und Ameisen), aber auch: Scrolling. Grafische Abstraktion. Schießen! Und Vieles, für das ich damals noch kein Vokabular hatte. Mit Paradroid begann meine Faszination für das Medium. Und meine Pareidolie. Für mich sah die eigene Figur nämlich immer wie ein Gesicht aus.
Paradroid, ey. Allein der Titel ist schon so gut, dass Radiohead zwölf Jahre später eine Single danach benannten (genau, “Karma Police”). Auf ein Schiff voller Rebellen gebeamt, ist es die Aufgabe, JEDEN EINZELNEN VON IHNEN ZU VERNICHTEN. Oh, aber man ist natürlich der Gute, weswegen alle -gonisten Roboter sind und der zelebrierte Botozid wehrloser Nurihrenjobmacher damit irgendwie okay ist. Das Mitleid mit den größtenteils wehrlosen, gegnerischen Einheiten schwindet jedoch mit jedem eigenen Ableben, denn nie feierte ein Spiel des Spielers Bildschirmtod so derbe: Nach einer Sekunde Bildrauschen lacht euch der Oberboss aus und ihr dürft euer Kürzel lediglich für den “Lowest Score of the Day” eintragen. Und ihr dachtet, in Dark Souls sterben wäre kacke.
So achtwegeschießt man sich durch grafisch schlichte, enge Korridore, gefüllt mit Robotern, die allesamt als schwarze Kreise mit Nummer drin dargestellt sind – was allerdings die zwei Vorteile hat, dass das Spiel optisch recht gut gealtert und die Stärke des Gegners anhand der Zahl klar erkennbar ist. Zudem zeigt eine Art Spineffekt, wie beschädigt die Bots sind – Oncharacterhealthanzeige lange vor Dead Space.
Rückblickend ist es interessant zu sehen, wie geruhsam Paradroid im Vergleich zu beispielsweise Geometry Wars oder selbst Robotron 2084 ist: Wie bereits erwähnt, schießen die meisten Roboter sowieso nicht, mehr als grob einen Schuss pro Sekunde kriegt man selbst auch nicht auf die Kette und selten sieht man mehr als drei oder vier Feinde gleichzeitig. Aber all dies verschafft dem Ganzen eine Intimität, in der jeder Schuss, jeder Gegner zählt.
Roboterlaserkrieg wäre für sich gesehen schon knorke genug, aber was das Spiel tatsächlich abhebt, ist die Spezialfähigkeit des Droiden, die ich bisher aus unbekannten Gründen verschwieg. Statt rohem Weglasern kann man die Gegner nämlich auch übernehmen, und zwar mithilfe des besten nie kopierten Minispiels überhaupt. Ich erspare euch jetzt einfach mal 1.000 Worte:
Die Superschlauen unter euch wissen jetzt schon, was zu tun ist. Den anderen würde ich es gern erklären, aber als ich das schriftlich tat, wurden daraus zwei Absätze, und ey, keiner will zwei Absätze trockene Minigamespielbeschreibung lesen, oder?
Mir war damals nicht bewusst, dass ich hier meine erste Begegnung mit richtig gutem Spieldesign hatte, und war beim erneuten Spielen erstaunt, wieviele kleine coole Details da drin stecken. Trotz Topdownansicht sieht man nur die Roboter, die sich im Sichtfeld der eigenen Figur bewegen. Die Wirtskörper verlieren ständig Energie, und je mächtiger sie sind, desto schneller, somit sind alle gleichzeitig Feind und Ressource. Heilen führt zum Punktabzug. Mir wurde bewusst, dass meine große Liebe zu Ingamecomputerterminalinformationsabrufung mit diesem Spiel begann – und was für ein cooles und in die Spielwelt passendes Feature, dass man umso mehr Informationen abrufen kann, desto höher der Rang des momentanen Wirts ist. Und es hatte verdammte Popkulturreferenzen, bevor ich überhaupt wusste, was Popkulturreferenzen sind:
Und wenn man halb zerstört mit einem hochrangigen Wirt im Übernahmemodus einen Raum voller Kampfmaschinen stürmt, nur um gegen den einzigen Putzbot im Raum zu stoßen und dadurch in dessen leichtzerstörbare Haut zu schlüpfen, weiß man dieses kalkulierte Chaos, diesen steten Wechsel zwischen behutsamen Rumschleichen, glückseligem Gemetzel und panischen Fluchten zu schätzen. Oder zu hassen. Hauptsache emotionale Reaktion.
Wie sich herausstellte, hatte Paradroid Elemente, die noch heute meine Lieblingsspiele auszeichnen: Eine offene Welt, das Gefühl der Isolation, der Tod als konstante und endgültige Gefahr, erlernbares Gegnerverhalten – wäre ich im Marketing, schrieb ich “Paradroid ist Iron-Man-Dark Souls ohne Loot und Rollenspielelemente, wenn man in Dark Souls das Ding aus ‘Das Ding aus einer anderen Welt’ spielte”. Und deshalb wollten sie mich nicht im Marketing.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie gelandene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.
Hendrik Thiel wurde 1979 geboren und stirbt Anfang 2017 vor Freude, als er erfährt, dass er den extra neu eingeführten Oscar als coolster Dude auf der ganzen Welt gewonnen hat. Hoffentlich hoffentlich hoffentlich.