Blast from the Past: Zany Golf
Im Minigolf gibt es weiche Bälle, schnelle Bälle, Turbobälle, harte Bälle, leichte Bälle, schwere Bälle. Bälle für den Weitschuss, Bälle für die Bahn mit Rampen, Bälle für die Tunnels, Bälle für die Bahn mit Kurven, Bälle fürs letzte Einlochen an der Bahn 18 und Bälle für den ganzen anderen Scheiß. Jede Situation auf der Bahn, und sei sie noch so verzwickt, verliert ihren Schrecken, wenn man nur den richtigen Ball zur Hand hat. Ja, wenn!
Die Vorläufer des großartigen Slackersports Minigolf sind bereits im 16. Jahrhundert entstanden. Damals wurden in Schottland Löcher gegraben, um für das auch heute noch bekannte, stinklangweilige Upperclassetetpeteteguccimuschigolf der Bernhard Langers und Tiger Woods das Putten zu üben. In den USA entstand Jahrhunderte später das sogenannte „Clock Golf“, bei dem der Ball im Uhrzeigersinn auf mehreren kleinen Bahnen eingelocht wurde. In den 20er Jahren bildete sich in den Vereinigten Staaten dann langsam eine Art Kleingolfspiel heraus, bei dem durch Scheunentore, Märchenschlösser und Windmühlen gespielt wurde.
In dieser Tradition steht in gewisser Weise auch Zany Golf, und bei Bahn Nr. 1 muss man den Ball tatsächlich noch durch eine Windmühle spielen. Es ist die einzige Bahn, auf der es einigermaßen normal zugeht, denn alle andern Bahnen sind ein riesengroßes Fuck You in Richtung spießiger Minigolfpuristen. Schon auf Bahn Nr. 2 versperrt ein auf– und abhüpfender Cheesburger das Loch. Bahn Nr. 3 ist dann ein Flippertisch, spätere Bahnen beinhalten unter anderem Windräder, die man durch wildes Herumzucken an der Maus zum Drehen bringt. Und dann, irgendwann kommt sie, die letzte Bahn mit dem Namen „Energy“.
Spätestens hier nun wäre ein Ballwechsel angesagt, denn für „Energy“ benötigt man Spezialwerkzeug. Ein durchschnittlicher Minigolfprofi besitzt gerne mal so um die 200 Minigolfbälle und ziemlich sicher ist auch er mit dabei: Der Birdie D01. Sprunghöhe: 20 cm, Härte: 42 Shore, Gewicht: 49 Gramm. Ich habe Zany Golf 1990 auf einem 286er PC gespielt. Der Birdie D01 wurde erst in den Nuller Jahren entwickelt, aber der Ball bei Zany Golf verhält sich trotzdem wie das virtuelles Abbild. Der Birdie D01 ist bekanntlich ein guter Allrounder. Solide, zuverlässig. Der Carsten Ramelow unter den Minigolfbällen. Man kann mit ihm einfache Bahnen problemlos meistern, der Ball rollt in der Regel dort hin, wo man ihn haben möchte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn man nichts anderes dabei hat, ist so ein Birdie D01 wirklich nicht die schlechteste Wahl. Zudem man ihn ja durch kleine Tricks auch ein bisschen beeinflussen kann in seinen Eigenschaften. Man kann ihn zum Beispiel kühlen, um ihn schneller zu machen oder erhitzen, damit er besser springt. Dazu verwendet man entweder einen 1.000 Euro teuren Heizkoffer, im Notfall reicht es aber auch, sich einfach für ca. 30 Minuten auf den Birdie D01 draufzusetzen.
In Zany Golf kann man sich nicht auf den Ball setzen. Und vor allem: Es gibt eben nur einen Ball! Das Problem: Für „Energy“ hätte ich einen 3D Pingvin 4 gebraucht, keinen schnöden Birdie D01! Sich mit einem Birdie D01 an „Energy“ heranzuwagen ist ungefähr so, als würde man mit einer rostigen Brechstange eine Hirn-OP durchführen. Ganz anders der 3D Pingvin 4: Dieser Ball ist recht schwer, er eignet sich aber gerade deswegen hervorragend für Brücken und Pyramiden und ist dann eine gute Wahl, wenn man auf kleinen Raum mit viel Präzision agieren muss.
Als die Zany Golf-Bahn „Energy“ das erste Mal in mein Leben tritt, bin ich zwölf Jahre alt. Es ist Sommer, das Schuljahr neigt sich dem Ende zu, im Pfarrraum der Kirche soll eine Party stattfinden. Meine allererste Party soll das werden. Ich stelle mir vor, wie ich im Holzfällerhemd bald lässig an der Bar lehne, Spezi trinke und zu Roxette mit den Mädchen Schieber tanze. Aber vorher will ich noch diese Bahn meistern. Ich habe mir einen solides Polster von acht Bällen herausgespielt.
Ich bin an dem Tag nicht mehr auf die Party gegangen, sondern habe verbissen versucht, meinen Golfball an elektrischen Ladungen vorbeizuschieben, irgendwelche Computerknöpfe auf der Bahn anzutippen und mich um falsche Golflöcher herumzumogeln. Ich schaffte es nicht. Nicht an diesem Tag und auch nicht am nächsten. Und so zogen die Jahre ins Land: Deutschland wurde Fußballweltmeister, Kohl abgewählt, ich machte Abitur, setze das ein oder andere Studium in den Sand, gründete obskure Computerspielbookazines. Die Globalisierung kam und das Internet und der Krieg gegen den Terror und dann kam die Krise der Moderne und dann die Postmoderne und dann die Postpostmodere und immer so weiter. Die Welt begann sich schneller zu drehen, wurde komplizierter, doch auf eine Konstante konnte sich die Menschheit verlassen: Ich versuche mich an dieser strunzdummen Scheißdrecks-Aushilfsamöbenbahn „Energy“ aus Zany Golf – und scheiterte jedesmal kläglich. Per DOS-Box habe ich seitdem Zany Golf auf diversen Rechnern emuliert, unter anderem auf drei verschiedene Laptops. Ich wollte „Energy“ am Flughafen von Barcelona bezwingen, habe an den isländischen Westfjorden mit ihr gerungen und in der S1 auf dem Weg vom Moosach nach Freising. Ohne Erfolg. Trotzdem ist Zany Golf ein tolles Spiel. Aber ohne den 3D Pingvin ist Minigolf einfach nicht mein Sport.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie gelandene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.
Christian Schiffer ist Herausgeber der WASD, einem Bookazine über Computerspiele. Er hatte mal Stabheuschrecken. Eine hieß „Corega“, die andere „Tabs“. Beide sind leider mittlerweile gestorben. Auch Minigolfen war er lange nicht mehr. Sonst ist aber alles ok.