Das Ende der Bescheidenheit: Wie Spiele ihren Wert verlieren

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Es gab eine Zeit, in der habe ich selbst mittelmäßige Spiele vielfach durchgespielt. Nicht unbedingt, weil ich ihnen immer wieder eine neue Chance geben wollte, sondern eher aus Mangel an Alternativen. Es dauerte meist mehrere Monate, bis ich in den Genuss eines neuen Spieles gelangte, was zum Einen an dem nur spärlich vorhandenem Eigenkapital lag, zum Anderen aber auch an dem Umstand, auf dem Dorf keine wirkliche Erwerbsmöglichkeit für digitale Freizeitfreuden vorzufinden. Heute ist das anders. Ich lebe in einer großen Stadt und habe zwar nach wie vor nicht besonders viel Geld, aber doch genug, um mir von Zeit zu Zeit etwas gönnen zu können. Nur spielen Wohnort und Moneten bei meinem Spielekaufverhalten seit einiger Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle, da ich längst nicht mehr die Wärme meines kuschligen Wohnzimmers verlassen muss und für den Preis eines Schokoriegels direkt eine Handvoll bisweilen sehr hochwertige Titel auf die Festplatte geliefert bekomme. Als PC-Spieler fühle ich mich dank etlicher Spielebundles und Steam-Sales wie im digitalen Schlaraffenland, wo liebevolle Indie-Titel nur darauf warten von mir gepflückt zu werden und Super Meat Boy knusprig brutzelnd an einem Dönerspieß seine Runden dreht. Doch so verführerisch lecker das alles am Anfang war, so übersättigt fühle ich mich mittlerweile.

Als Mitte 2010 das erste Humble Bundle das Licht der Welt erblickte, war noch überhaupt nicht abzusehen, wie sehr ein solch riskantes Verkaufsmodell einmal Schule machen sollte. Sechs Indie-Titel auf einen Streich, kopierschutzbefreit und neben Windows auch für Mac- und Linuxnutzer gleichermaßen zugänglich, für einen Preis, den man selbst bestimmen durfte. Man musste schon sehr an das Gute im Menschen glauben, um bei einem solch waghalsigen Ansatz mit einem erfolgreichen Auskommen zu rechnen. Doch die namensgebende Bescheidenheit könnte man nach dutzenden Folgebundles, wöchentlichen Zusatzangeboten, einer eigenständigen, regulären Vertriebsplattform für Indie-Spiele und mehrfach erzielten Millionenumsätzen auch getrost ablegen. Was, wenn man ehrlich ist, spätestens mit dem THQ-Bundle vor einem Jahr auch passierte.

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Ein wenig verlor man bei der Wahl dieses Branchenriesen jedenfalls die eigenen Ideale und Ziele aus den Augen, welche die Grundpfeiler des Humble-Konzepts darstellten. Nicht nur war das hier wirklich nicht mehr indie, es wich durch die Steam- und Windowspflicht seiner Titel zudem weit von der Ursprungsidee der Zugänglichkeit und Offenheit ab. Hier ging es nicht mehr darum, Indie-Entwicklern durch die Zweitverwertung ihrer älteren Titel finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen, es ging um die Sanierung eines ehemaligen Weltkonzerns, der so noch einmal ein paar Milliönchen als Abschiedsgeschenk für seine Aktionäre einheimsen konnte, bevor er endgültig von der Bildfläche verschwand. Die Krönung dieser fehlgeleiteten Ausbreitung des ursprünglichen Vorsatzes folgte dieses Jahr schließlich mit dem Origin-Bundle, in dem sich die undergroundigen Kellerentwickler von der bis dato unbekannten Spieleschmiede Electronic Arts als Wohltäter präsentieren durften. Schließlich wollten sie gar keine Beteiligung an den Einnahmen, die anders als sonst üblich nicht nur zum Teil, sondern komplett wohltätigen Zwecken zu Gute kamen. Es ging ihnen vermutlich eher um die Verbreitung ihres hauseigenen Spieleclients und die zu erwartenden DLC-Verkäufe, die ja mittlerweile kennzeichnend für die enthaltenen Spielereihen wie Die Sims und Battlefield sind.

Die Inklusion von großen Publishern hat außerdem einen weiteren Nebeneffekt, der sowohl positive wie auch negative Ausprägungen aufweist. Natürlich freut man sich in erster Linie als Spieler darüber, für einen wahrhaftigen Spottpreis an eine Vielzahl großer Spieleproduktionen zu gelangen, für die man noch wenige Tage vorher einen dreistelligen Betrag hätte hinblättern müssen. Doch durch diese Art des Verramschens von AAA-Material verkennt man nicht nur den Wert der eigenen Produkte, man entwertet in besonderem Maße auch den Wert kleinerer Titel, wie eben die der Indie-Entwickler, für deren Wohl das Humble Bundle einst ins Leben gerufen wurde. World of Goo ist ein niedliches, kleines Spiel, aber was ist es noch wert, wenn man für sechs große Titel von EA gerade einmal ein paar Cent löhnen soll? Da müsste man mir ja fast noch etwas draufzahlen, damit ich das spiele!

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Doch auch aus Spielersicht ist es nicht unbedingt nur von Vorteil, solch einen Preisverfall bei Spielen zu haben, der nicht allein an den periodisch auftretenden Bundles festgemacht werden kann, sondern auch durch massive Preisnachlässe bei Steam oder Origin selbst geschürt wird. Nicht nur kommt es zu einer Überflutung mit hochkarätigen Titeln, von denen man sich auf Konsolen normalerweise vielleicht einen im Monat kaufen würde, die niedrige Preise führen zu allem Überfluss auch noch zu einer abschätzigeren Betrachtung des Produkts. Getreu dem Motto, was nichts kostet, ist auch nichts wert, bleibt die Hälfte der im Paket geschnürten Spiele jungfräulich unberührt in der Steam-Bibliothek zurück und gerät durch den ständigen Nachschub an Billigangeboten zunehmend in Vergessenheit. Und wenn man sich dann doch einmal erbarmt und einen Blick auf eines der so erworbenen Spiele wirft, ist dieser meist flüchtig und nur von mildem Interesse. Zu wenig Zeit ist schließlich übrig, um sich bei dem erdrückenden Überangebot ausgiebiger mit einem Titel zu befassen.

Die Entwertung von Spielen ist also deutlich vielschichtiger, als das rotstiftige Preisschild, welches an ihnen prangt. Der Preisdruck, der durch das Humble Bundle, dessen Trittbrettfahrern und den unzähligen Verkaufsaktionen bei Downloadportalen geschaffen wird, führt praktisch zu einem Mitmachzwang bei aufstrebenden Entwicklern. Faire Preise werden, ähnlich wie es auch bei nahezu jedem anderen Kreativjob in der Medienbranche oder beim Musikstreamingdienst Spotify geschieht, unter dem Deckmantel der Exposure, also dem Verbreiten der eigenen Arbeit, enorm gedrückt. Die Logik dahinter: Wenn viele Leute sehen, was man für eine astreine Arbeit abliefert, zahlen diese in Zukunft auch total gerne dafür. Nur jetzt eben noch nicht. Es ist ein pervertiertes und nur in seltenen Fällen funktionierendes System, das eine angemessene Würdigung kreativen Schaffens vor sich her schiebt und im Falle von Indie-Spielen Preise jenseits von zehn Euro praktisch als Wucher erscheinen lässt. Das sind Langzeitfolgen nicht nur für die Teilnehmer dieser Aktionen, sondern für die Gesamtheit der unabhängigen Entwickler.

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“If a gamer buys a game he or she doesn’t want just because it’s on sale, they’re being trained to make bad purchases, and they’re also learning that games aren’t valuable. We all know gamers who spend more every month on games than they want to, just because there were too many games that were discounted too deeply. That’s not good for anyone.” – Guillaume Rambourg (gog.com)

Nun ist es natürlich auch ein wenig verallgemeinernd, wenn ich sage, dass Spieler ein unter Wert verkauftes Spiel nicht so zu würdigen wissen, wie es bei einem Vollpreistitel der Fall wäre. Nicht nur, weil ich anscheinend den Wert vieler Spiele in ihrer Preisauszeichnung nicht wiedererkennen kann und somit dem heiligen freien Markt widerspreche, der ja eigentlich alles so prima mit sich selbst aushandelt. Allen voran vernachlässige ich damit nämlich die Möglichkeit, dass sich der ein oder andere vielleicht gerade durch derlei Preistreiberei an Spiele herantraut, bei denen er vorher unsicher war, ob sie ihm gefallen könnten. Ändern tut dies meiner Ansicht nach jedoch wenig daran, dass die Preisspirale, die in den vergangenen Jahren zu beobachten war, insbesondere kleinere Entwickler zunehmend mit sich nach unten ziehen wird. Immer häufiger finden sich Titel bereits wenige Monate nach Veröffentlichung in Bundles wieder, wie zuletzt Sanctum 2, was einer verfrüht wirkenden Aufgabe des Einzelverkaufs gleichkommt, da Spiele massiv an Wert verlieren, nachdem sie einmal in einem Humble Bundle enthalten waren. Zudem führt solch ein Gebaren zwangsläufig dazu, dass sich potenzielle Interessenten beim nächsten Mal möglicherweise genauer überlegen, ob sie ein Spiel direkt zum Vollpreis kaufen oder lieber ein paar Wochen warten, um es letztlich für einen Bruchteil dessen zu ergaunern. Spielefutter hat man schließlich bis dahin zur Genüge.

Am Ende stellt sich wie so oft die Frage nach der Henne und dem Ei. Haben schlechte Verkaufszahlen zu den heutigen Auswüchsen des Bundle-Konzeptes und den regelmäßigen Preisnachlässen seitens der großen Digitaldistributoren geführt oder ist es genau umgekehrt? Wiegen die kurzfristigen Einnahmen durch Bundle-Verkäufe eine mögliche langfristige Stigmatisierung der eigenen Marke als Billigheimer auf? Es ist wahrscheinlich zudem nur eine Frage der Zeit, bis auch auf Konsolen ein ähnlicher Preiskampf beginnen wird. Playstation Plus ist auf jeden Fall ein recht eindeutiger Hinweis darauf, dass auch hier der Trend zur Spielüberflutung für eine Handvoll Euros geht. Auch wenn der gängige Sofagamer wahrscheinlich dennoch weiterhin eher dazu bereit sein wird, für die Ausübung seines schönen Hobbys etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

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Zumindest bei mir selbst habe ich auf jeden Fall gewisse Abnutzungserscheinungen bei der Freude über Spieleschnäppchen und deren Wertschätzung in den letzten Monaten feststellen müssen. Ich mag mehr als 300 Titel bei Steam registriert haben, wünsche mir aber nichts sehnlicher, als wieder der Junge zu sein, der jeden Winkel von Secret of Evermore erkundete, weil es sonst für eine ganze Weile auf seinem Fernseher einfach nichts zu erkunden gab. Weniger ist eben manchmal tatsächlich mehr. Mit Ausnahme von Geld, versteht sich.