Drama & Dusseligkeit: Dark Dreams Don’t Die

David Young hatte alles: Einen guten Job beim Bostoner Drogendezernat. Eine hübsche, schwangere Frau namens Peggy. Volles Haar. All das wurde ihm in einem einzigen Moment genommen.

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Bis auf das Haar.

Was wirklich geschah, ist ungewiss; David überlebte eine Kugel in den Kopf, Peggy starb. Beide wurden in ihrem Badezimmer gefunden, es gab keine Spuren, die auf weitere Personen schließen ließen. Davids einzige Erinnerung sind die letzten Worte seiner Frau: “Look for D“. Nun, mit gekündigtem Job und unfähig, die eigene Wohnung zu verlassen, hat er nur noch ein Ziel: Den Mord an seiner Frau aufzuklären, und diesen ominösen D zu finden. Okay, das sind zwei Ziele. Aber heavy, oder?

Um dieses Ziel zu erreichen, verlässt David sich nicht auf die althergebrachte Praktik der Nabelflusomantie (das ist ein echtes Wort, schlagt’s nach!), sondern auf seine durch die Nahtoderfahrung erworbene Fähigkeit, mithilfe von Andenken (im Englischen (mementos) klingts nicht gar so nach Schneekugeln und Eseln mit Sombreros) in der Zeit zurückzureisen.

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(Das sind alles Mementos da hinterm Klo.) Mementos – The Freshmaker!

Aus dieser Prämisse macht Hidetaka Suehiro, besser bekannt als Swery, der Kopf hinter dem zutiefst polarisierenden (citation needed) Deadly Premonition, ein gleichermaßen turbulentes wie verwirrendes Mysteryspielchen, vielleicht grob vergleichbar mit David Cages Oeuvre, nur mit halb so beklopptem Plot und dafür auch nur halb so viel Sichselbsternstnehmen. Obwohl das Spiel in Episoden aufgeteilt ist und die Prämisse sich dafür auch prima anbietet, gibt es die Folgen nicht separat zu kaufen: Stattdessen beinhaltet das Spiel einen Prolog und zwei Episoden und nennt das die erste Staffel. Ist halt so.

Die eigentliche Spielmechanik ist schnell erklärt: Mit dem Cursor erkundest du in der dritten Person die Umgebung, gehst auf vorgegebenen Pfaden durch begrenzte Areale, sprichst mit anderen Charakteren, öffnest Türen und Schränke durch einfache Mausgesten/Händewischen/Stickbewegungen (D4 wurde ursprünglich fürs Kinect entwickelt, funktioniert aber prima* mit anderen Eingabegeräten) und sammelst Dokumente und Lebensmittel. Letztere werden gleich verzehrt, denn jedes Gespräch, jedes Türöffnen zehrt an der Energie, die nur durch Futtern wiedererlangt werden kann. Was dieses Survivalelement im Spiel zu tun hat, weiß ich auch nicht so genau, aber es ist wahrlich nicht das Merkwürdigste an diesem Titel. Außerdem finden sich überall mehr oder weniger versteckt Bonusmedaillen, die ein Punktekonto erhöhen, mit dem du neue Outfits für die Hauptcharaktere erwerben kannst, inklusive Kostümen aus älteren SWERY-Spielen sowie Merchandise von einer Bandbreite, die von Superbrothers: Sword & Sworcery über japanische Youtuber zu Gears of War reicht. Warum auch immer. Wer Angst hat, was zu verpassen, kann einen speziellen Sichtmodus einschalten, der alle manipulierbaren Objekte anzeigt. Oh, und du kannst Tiere schubsen.

Während der Großteil des Spiels recht entspannt daherkommt, gibt es ein paar längere Quick-Time-Event-Sequenzen, die alles richtig machen, was man bei QTEs falsch machen kann: Jede einzelne Aktion ist simpel, wenn du Fehler machst, musst du nicht von vorn beginnen, und es bleibt genug Luft zwischen den einzelnen Aktionen, dass du zwischendurch den wahnwitzigen und großartig choreographierten Slapstick im Hintergrund würdigen kannst.

Überhaupt ist es der teils absurde Humor, der mich am meisten in D4 überraschte, denn die Prämisse klingt jetzt ja nicht so komisch. Tatsächlich findet der Humor meistens im Hintergrund statt, in optionalen Missionen oder kurzen Momenten. Diese Verknüpfung von Albernheiten und Drama ließ mich an Memories of Matsuko oder I’m a Cyborg, but that’s OK denken (oder vielleicht an die alberneren Momente von Metal Gear Solid, um im Medium zu bleiben), und ich frage mich, ob diese Leichtigkeit, mit der dies gelingt, kulturell bedingt ist. Aber das sollen Leute entscheiden, die sich mit sowas auskennen.

D4 ist kein langes Spiel, dennoch fällt die Begrenztheit der Locations, sowohl in Anzahl als auch in tatsächlich begehbarer Fläche, deutlich auf. Das mag manche stören, mich als Open-World-Übersättigten überraschte es jedoch eher positiv. Es ist außerdem ziemlich leicht und einsteigerfreundlich – durch die oben erwähnte Möglichkeit, Hotspots anzuzeigen, fällt für den, der Suchen nicht mag, selbiges weg, und die QTEs sind beliebig oft wiederholbar.

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Ich hielt Dark Dreams Don’t Die für recht linear, bis ich am Ende merkte, dass ich einen Haufen Nebenquests nicht nur nicht gemacht, sondern nicht einmal gefunden hatte – und das, obwohl ich bei sowas eigentlich immer recht fleißig bin. Für mich tatsächlich ein Grund, einen weiteren Durchgang zu starten, denn zeigte sich doch schon in Deadly Premonition, dass so anspruchslos oder gar enervierend diese auch sein mögen, sie dennoch den Schlüssel zu dem darstellen, was Swery einfach besser kann als die meisten anderen Spielehersteller: Charmante Cutscenes mit liebenswert kaputten Charakteren, die eben keine Archetypen/Abziehbilder sind, und Dialoge, die nicht allein dem Zwecke der Exposition dienen.

Was ich so an Swerys Charakteren mag, sind die kleinen Gesten, die Eigenheiten, Krams, den du so in AAA-Titeln oftmals vergeblich suchst. Youngs stetes Kaugummi im Mund, obwohl er Kaugummi hasst. Deborahs zwanghaftes Verhalten. Phillips Inhalator. Oder Rolands Sprachausgabe, im Vergleich zu der Baumbart in Doubletime spricht.

Überhaupt ist D4 eine wahre Goldgrube an Quatsch, der offenkundig nur im Spiel ist, weil Swery das lustig oder interessant findet. Neben weitestgehend “normalen” Textblöcken über die Spielwelt oder Davids Frau, findet sich mehr oder weniger Interessantes über fiktive Zeichentrickserien, reale Eishockeyhistorie und den Kaloriengehalt von Tequila. Alles wird jedoch überschattet von einer schlichtweg nichtendenwollenden Informationsmasse über Passagierflugzeuge, die ihresgleichen sucht. Was Moby Dick für den Walfang, ist Dark Dreams Don’t Die für die zivile Luftfahrt.

Das klingt alles recht merkwürdig, und das ist es auch. Ich habe Verständnis für jeden, der mir vorwirft, dass es allein diese Merkwürdigkeit ist, die mich an D4 fasziniert, und dass ich aufgrund dessen Schwächen in Technik, Steuerung und Mechanik verzeihe. D4 ist ein grobes, unpoliertes Ding, das es nicht jedem rechtmachen wird, gefüllt mit Elementen, die in AAA-Titeln zu Recht gestrichen worden wären. Ein Auteurspiel. Ein Spiel wie die Folge einer Serie, die du nur von der begeisterten Erzählung eines Mitschülers in der Grundschule kennst, bei der du nie sicher sein kannst, was wahr war und was dazufabuliert wurde.

Wer auf eine Auflösung hofft, wird enttäuscht – D4 endet nicht wie ein Staffelfinale, nicht mal wie ein Folgenende – mehr wie der Cliffhanger vor der letzten Werbepause.

*YMMV