Dungeon of the Endless: Auf die Mischung kommt es an
Als Schweizer mag ich ja leicht voreingenommen sein, aber das Schweizer Taschenmesser ist für mich ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Das Wenger Giant Knife sticht dabei besonders heraus, da es insgesamt über 141 Funktionen (unter anderem einem Fischentschupper und ein Putzwerkzeug für den Golfschläger) zu einem einzigen (wenn auch unbrauchbaren) Werkzeug vereint. Dungeon of the Endless ist nun das Schweizer Taschenmesser unter den Videospielen. Es kann sich schlichtweg nicht entscheiden, ob es ein Roguelike, ein Dungeon Crawler, ein Rollenspiel oder Tower Defense sein möchte – und kombiniert einfach alle Genres zu einem einzigen Spiel. Frei nach dem Motto: Warum nicht alle zwei vier?
Das eigentliche Spielprinzip von Dungeon of the Endless ist trotz dieser Mischung leicht verständlich: Es gilt den Energiekristall eines abgestürzten Raumschiffes zu beschützen, während man mit einer Heldengruppe einen Dungeon erkundet. Stockwerk um stetig größer und komplexer werdendes Stockwerk. Hinter jeder Türe können dabei Monster, Upgrades oder Ressourcen auf die Helden warten. Wird der Kristall zerstört oder sterben alle Teammitglieder, ist das Spiel vorbei.
Dungeon of the Endless verwebt dabei diverse Elemente zu einem komplett neuen Erlebnis. Zugegeben, in den ersten Stunden überforderte mich das. So gelang es mir schlichtweg nicht, den Ausgang des ersten Stockwerks zu erreichen. Anfänglich durchkämmte ich fast panisch Raum um Raum nach dem Aufzug und ignorierte dabei alle anderen Aspekte des Spiels. Ich wandte fälschlicherweise meine Spielart von The Binding of Isaac an. Erst als ich mir über diesen Fehler bewusst war, konnte ich erste Erfolge verbuchen. Die erste Erkenntnis bestand daraus, dass jeder Level zwei Phasen hat: Die Suche nach dem Ausgang und der sichere Transport des Kristalls aus dem Level. Beide Phasen lassen sich mit Ressourcen erleichtern, die man in Räumen finden kann. Räume lassen sich dann mit Energie versorgen, was das Erscheinen von Monstern in diesen Räumen verhindert, und zeitgleich erlaubt, Module zu installieren.
Die Module nehmen dabei unterschiedliche Funktionen ein. Vorhanden sind unter anderem Abwehrtürme und Minen, um Monster auf ihrem Weg zum Kristall abzuwehren. Es gibt Maschinen, die Helden für kurze Zeit stärker machen oder Ressourcen produzieren, die wiederum zum Heilen, Forschen, Handeln und Bauen von weiteren Modulen benutzt werden. Dazu kommt der Rollenspielaspekt: Charaktere können mit neuen Gegenständen ausgestattet werden und besitzen über verschiedene Werte und Fähigkeiten, die verbessert werden können. Jede dieser Fähigkeiten gilt es geschickt einzusetzen, jeder Durchlauf spielt sich mit einem neuen Team anders. Gork ist beispielsweise ein wandelnder Panzer, der mit seinen Waffen so ziemlich alles niedermäht, hinkt dafür in Sachen Geschwindigkeit den anderen Helden hinterher. Sara ist hingegen am schnellsten, verfügt aber kaum über Gesundheit. Der Wissenschaftler übertaktet alle Module, muss im Gegenzug ständig beschützt werden. Mit Einzeilern wird der bunten Truppe zudem noch eine nette Portion an Persönlichkeit eingehaucht, was deren Ableben umso schmerzhafter macht. Stirbt ein Charakter, ist das Spiel zwar nicht zu Ende, der Verlust wird allerdings schnell spürbar. Wenn so plötzlich Gork den Kristall im Schneckentempo ans Ende schleppen muss, da Sara ins außerirdische Gras gebissen hat, ist eine Planänderung nötig. Möglicherweise mehr Geschütze, um die endlosen Wellen von Monstern zu überleben, die mit dem Transport vom Kristall beginnen. Oder einfach hoffen, dass der Vorsprung von Gork ausreichen wird.
All dies läuft außerdem rundenbasiert ab. Mit jeder Öffnung einer Türe vergeht ein Zug, jeder neue Zug bringt neue Ressourcen. Das Spiel stellt so einen Konflikt auf: Das Erkunden von neuen Räumen führt zu einer höheren Überlebenschance im nächsten Abschnitt, macht es zeitgleich aber noch schwieriger, einen möglichst sicheren Pfad zu erstellen. Die Ressourcen reichen nie aus, um alle Räume zu beleuchten. Wo platziert man nun die Helden? Wer erkundet, wer repariert, wer verteidigt die Module und den Kristall? Erkundungsdrang und Multitasking: Elemente eines typischen Dungeon Crawlers. Dungeon of the Endless fordert den Spieler auf, mit diesen Elementen zu experimentieren und eine eigene Strategie zu entwickeln. Nach mehreren Durchgängen bestand meine daraus, Räume so lange zu erkunden, bis ich einen sicheren Pfad zum Ausgang herstellen konnte. Einfach, aber effektiv. Zumindest für die ersten Stockwerke.
Dungeon of the Endless schafft das vermeintlich Unmögliche: Es vermischt erfolgreich eine Unmenge an verschiedenen Elementen und kreiert dabei ein Spiel, das trotzdem auf seinen eigenen Beinen steht. Die Möglichkeiten wirken anfangs zwar überfordernd, werden aber schnell verständlich und fesseln durch ihre Tiefe. Das brillant konstruierte Spielprinzip wird ergänzt durch einen hervorragenden Stil und einen unglaublich guten Soundtrack, der mit Synthesizern die mysteriöse und schaurige Atmosphäre noch mehr unterstreicht. Die Spannung, die ich bei jedem Durchgang verspüre, ist selbst nach mehreren Stunden nicht verflogen. Es ist eines der besten, wenn nicht sogar das beste Spiel, das ich in diesem Jahr gespielt habe und es lässt mich nicht mehr los.