Fort McMoney: Ein Doku-Spiel im Herzen der Ölindustrie
Dichter Qualm dringt aus den riesigen Schloten der Raffinerien, kriecht zäh über die Minen hinweg. Nicht weit davon entfernt reihen sich die Baracken der Arbeitercamps aneinander, ebenso wie die klotzartigen Wohn- und Geschäftshäuser im Stadtkern, die von starr verlaufenden Straßenzügen umrahmt werden. Mittendrin ein Wellblechverschlag, daran ein Schild mit der Aufschrift „Centre of Hope“. Die kanadische Stadt Fort McMurray wirkt auf den ersten Blick wenig einladend. Und doch kostet ein Haus dort im Schnitt 1.500.000 Dollar.
Die interaktive Dokumentation Fort McMoney gestattet einen tiefen Einblick in eine Region, die über das drittgrößte Ölsandvorkommen der Welt verfügt und deshalb Menschen und Großkonzerne magisch anzieht. Deren Einwohner mindestens 180.000 Dollar im Jahr verdienen und trotzdem auf Sozialleistungen angewiesen sind, da die Preise ebenso in die Höhe schnellen wie die Gehälter. In einer Stadt, in der selbst Pfandsammler mehrere Tausend Dollar im Monat einnehmen, stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Wert des vielen Geldes – und danach, ob bloße Profitmaximierung drastische Eingriffe in das ökologische Gleichgewicht rechtfertigt.
Genau diese Frage sollen nun die Spieler_innen beantworten. Während sie in Point’n’click-Manier Schauplätze nach Indizien durchsuchen, Gespräche führen und damit Informationen zum Ölsand-Abbau sammeln, werden sie regelmäßig dazu aufgefordert, die Geschicke der Stadt mitzubestimmen. Das geschieht sowohl über Umfragen als auch über Referenden, in deren Rahmen jeweils eine Fragestellung diskutiert und schließlich per Mehrheitsentscheid beantwortet wird, sei es die höhere Besteuerung von Erdölprodukten oder die mögliche Verstaatlichung dieser Ressourcen. Die Auswirkungen dieser Beschlüsse wiederum werden in einer animierten Grafik dargestellt, die die fiktive Entwicklung Fort McMurrays vom Spielbeginn bis zum nahenden Spielende in der kommenden Woche veranschaulicht.
All das ist technisch nicht ganz ausgereift, da die spielintern geführten Gespräche teilweise falsch oder gar nicht untertitelt werden. Dass sie außerdem nicht immer durch entsprechende Dialogoptionen beendet werden können, sondern durch das Neuladen der Seite oder den abrupten Wechsel des Schauplatzes abgebrochen werden müssen, stört sehr – zumal das Spiel in solchen Fällen den erfolgreichen Abschluss der jeweiligen Erkundungsmissionen nicht zu registrieren scheint. Nichtsdestotrotz bietet es einen ungewöhnlichen Zugang zur Gewinnung eines Rohstoffs, der aus dem Alltag der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken ist, und das aus den unterschiedlichsten Perspektiven: Lobbyvertreter, Politikerinnen, Arbeiter und Ureinwohner kommen alle gleichermaßen zu Wort. Während etwa der Rechtsanwalt und Politiker Don Scott nicht müde wird, auf die “fantastischen Möglichkeiten” hinzuweisen, die Fort McMurray bietet, verweist ein ortsansässiger Fischer auf die dramatische Umweltverschmutzung in der Region und angebliche Versuche der Ölkonzerne, die Eingeborenen durch Bestechung zum Schweigen zu bringen. Dabei stellt sich heraus, dass alle Parteien über stichhaltige Argumente für oder gegen den Abbau von Ölsand verfügen und es weitaus schwieriger ist, selbst Stellung zu beziehen, als zunächst gedacht.
Fort McMoney mag, ebenso wie jede andere Dokumentation, zwangsläufig subjektive Eindrücke widerspiegeln, ermöglicht aber durch seinen interaktiven Ansatz einen differenzierteren Zugang zum Thema. Und funktioniert dank der informellen Vielfalt und den fantastischen Aufnahmen der kanadischen Winterlandschaft auch dann, wenn der Simulationscharakter des Spiels in den Hintergrund tritt. Wenn am kommenden Sonntag das Projekt mit der vierten und letzten Episode abgeschlossen wird, geht in seinem realen Vorbild auch weiterhin alles seinen gewohnten Gang. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Barrel um Barrel.