Wer mich liest, hat mich gefunden.
Mit Hidden Folks ist dem Entwickler Adriaan de Jongh Erstaunliches gelungen: Ein Spiel, das zur Ruhe kommen lässt, obwohl es einen mit Reizen nur so überflutet. Ein Spiel mit einer Grundidee, die es länger gibt als Computerspiele, die aber immer noch ganz hervorragend funktioniert. Und mit einer Spielwelt, die fröhlich und bunt wirkt, obwohl sie komplett ohne Farbe auskommt. Hidden Folks besteht aus schwarzweißen, teils riesigen Tableaus, in denen wie in einem klassischen Wimmelbilderbuch Personen, Tiere oder Objekte gefunden werden müssen. Dabei tummeln sich in den Szenen dutzende kleine, stilisierte Figuren, die alle ähnlich, aber selten gleich aussehen. Mal ist es die Mütze, mal sind es die Knöpfe an der Jacke, durch die sich eine gesuchte Figur von den anderen unterscheidet. Nur wer genau hinsieht, erkennt die Unterschiede.
Spektakulär ist das Such-und-Finde-Prinzip natürlich nicht. Doch gäbe es einen Preis für das liebenswerteste Spiel des Jahres, Hidden Folks hätte ihn vermutlich schon jetzt gewonnen. Das liegt vor allem an den charakteristischen, handgezeichneten Illustrationen von Silvain Tegroeg, die de Jongh charmant animiert und mit unzähligen Möglichkeiten zur Interaktion versehen hat: Türen lassen sich öffnen, Bildschirme an- und ausschalten, Tiere verscheuchen. Gardinen laden zum Aufziehen ein, Feuer zum Löschen und Ballons dazu, sie platzen zu lassen. In der bezaubernden Miniaturwelt, die Illustrator und Spielentwickler zum Leben erweckt haben, gibt es so viele Kleinigkeiten und skurrile Geschichten zu entdecken, dass die überschaubare Zahl der bislang spielbaren Szenen nebensächlich ist.
Hidden Folks bezaubert auch mit seinem Sounddesign: Die Szenen stecken voller atmosphärischer Geräusche und Klänge, überall surrt und piept es, angeklickte Objekte und Figuren reagieren mit einem Zischen, Knurren oder Quieken. Die Vielfalt der Geräuschkulisse ist umso beeindruckender, wenn man weiß, dass de Jongh die angeblich fast 1.000 verschiedenen Soundeffekte wie eine Human Beatbox ausschließlich mit seiner eigenen Stimme produziert hat.
Dabei bietet das Spiel angesichts seiner simplen Idee recht viel Abwechslung. Zwar geht es immer ums Klicken oder Tippen (naturgemäß überträgt sich das Spielprinzip besonders gut auf Touch-Displays), doch die teils gigantischen Szenen wechseln sich immer wieder mit liebenswerten Miniaturen ab, die kleine Geschichten erzählen und keine großen Anforderungen an die Konzentration stellen. Und auch die Suchaufträge sind vielseitig: Manche Figuren verstecken sich hinter Türen, tauchen in Wasserbecken oder müssen aus misslichen Lagen befreit werden, Objekte oder Tiere können sich in Schubladen, Kofferräumen, Erdlöchern oder im Magen eines Raubtiers verbergen. Knappe Texthinweise helfen dabei, das Suchgebiet einzugrenzen und dem Ziel auf die Spur zu kommen.
Auch wenn es kein Kinderspiel ist, alle gesuchten Lebewesen und Gegenstände zu finden, verzichtet Hidden Folks zum Glück auf repressive Spielmechaniken: Spielerinnen und Spieler allein entscheiden, in welchem Tempo sie die Suchaufträge erledigen, und um das nächste Level freizuschalten, muss nicht immer alles gefunden werden. Zudem laden gerade die riesigen Szenen zum Verweilen ein: Wer etwa lieber eine halbe Stunde damit verbringen möchte, die vielen Details rund um das “Burnin’ Folks”-Festival im Ödland oder die Wolkenkratzer der Großstadt zu erkunden, kann das tun, ohne vom Spiel bestraft zu werden. Diese große Freiheit macht Hidden Folks zu einer entspannenden, durch und durch positiven Spielerfahrung. Wer sich darauf einlässt, kann für lange Zeit in den Bildern versinken und beobachten, ausprobieren und entdecken. Die Welt von Hidden Folks fühlt sich dann bei aller Betriebsamkeit für eine Weile an wie ein kleiner Urlaub – nicht nur vom Alltag, sondern auch von der oft ganz schön anstrengenden Welt der Computerspiele.