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Ludum Dare #24 – Reportage Teil 2

Ludum Dare #24 - Reportage Teil 2

Ludum Dare #24 – Reportage Teil 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7 / 8 / 9 / tl;dr

Mein Testlauf ging in den letzten Tagen weiter. Bereits 400 Spielen des Ludum Dares #24 habe ich nun Dutzende Stunden meiner kostbaren Lebenszeit gewidmet. Die Spitzen meines Zeige- und Mittelfingers haben mittlerweile eine leichte Delle, da sie sich der Form der Maustasten angepasst haben. Anpassung, Adaption, Flexibilität — genau das richtige Thema für den zweiten Reportage-Beitrag.

“Als Anpassungsfähigkeit, auch Adaptivität oder Flexibilität, wird die Fähigkeit eines Lebewesens [...] zur Veränderung oder Selbstorganisation bezeichnet, dank der auf gewandelte äußere Umstände [...] oder ihrer Umgebung gegenüber reagiert werden kann.”
– Quelle: Wikipedia


(RUN RUN AMOEBA von tigerj)

Oberflächlich betrachtet waren Computerspiele früher ein Medium der absoluten Adaption. Auch heute noch muss man sich dabei einem komplexen System in Form stark festgelegter räumlicher Grenzen, Wegsysteme und Bewegungsvorgänge bewegen anpassen. Doch dieser Umstand fand in den letzten Jahrzehnten ein jähes Ende, da heutige Spiele die Möglichkeit einer selbstbestimmten Ruhephase förmlich aufdrängen. So sind die heutzutage gängigen Speicherpunkte ein verweichlichender Akt der Barmherzigkeit: Wer ein Level oder eine Mission nicht auf Anhieb schafft, kann es meist ohne Hektik oder Verluste nochmal probieren. Fehler werden nicht mehr bestraft, der Sieg über einzelne Spieletappen scheint fast obligatorisch durch die stetige Wiederholung möglich zu sein.

Möglicherweise entstand aus der Frustration darüber die Praxis des Speedrunnings. Grundsätzlich geht es hierbei darum, Spiele in einer möglichst geringen Zeitspanne durchzuspielen. Speedrunning ist damit der ultimative adaptive Akt seitens der Spielenden: Sämtliche Wege und Schlupflöcher müssen sich dabei in das Gedächtnis einbrennen. Wird diese Praktik als Grundsatz des Spieldesigns integriert, so können selbst prinzipiell kurzweilige Spiele wie RUN RUN AMOEBA zu einer absoluten Herausforderung werden. Hierbei geht es eigentlich um nichts anderes, als dass man eine Amöbe bis zum Ende eines Plattformer-Levels bringen muss. Jedoch ist eine riesige Sandwelle, die bereits Dinosaurier zu Fossilien umgewandelt hat, unerbittlich rasant hinter ihr her. Mittels einsammelbarer Objekte kann sie dezent verzögert werden, dennoch erlaubt sie den Spielenden keine erwähnenswerte Atempause. Das sehr vertrackte Leveldesign ist dabei Frustrations- wie Motivationselement zugleich: Es könnte zwar in nicht mal drei Minuten bewältigt werden, doch man muss sich jeden Gang und Sprung in das körperliche Gedächtnis einverleiben. Alles muss automatisch möglich sein, wie aus Geisterhand. Nach anderthalb Stunden habe ich endlich den Highscore geknackt. Ein absolut grandioses Spiel.


(Evoland von ncannasse)

Das Prinzip von RUN RUN AMOEBA, indem man das Gameplay als eine Metapher der Anpassung verwendet, ist nicht selten aufzufinden. Ein weiteres Beispiel dafür wäre Oneway, in dem man sich in stetig komplexer werdenden Symbolfolgen jeweils für eine Reihe entscheiden muss, damit der eigens gesteuerte Organismus nicht zerstört wird. Auch E.V.O.L.U.T.I.O.N ist hier nennenswert, da hier der Gebrauch von bis zu neun Tasten gleichzeitig die volle Konzentration der Spielenden einnimmt.

Doch es wurde ein weiterer Trend klar erkennbar, den ich mit Snake Evolves im ersten Teil der Reportage bereits angeschnitten habe: Die Weiterentwicklung und der Wandel des Mediums an. Damit meine ich, dass Computerspiele ihre Spielmechaniken, ihr Grafik- wie Audiodesign als auch die Levelstrukturen an den technischen Fortschritt anpassen. Das verwundert nicht, da sich auch ökonomische Grundsätze durch Darwin erklären lassen:

“Es ist nicht die stärkste Spezie, die überlebt, auch nicht die intelligenteste: Es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.”
Charles Darwin

Viele Einreichungen des Ludum Dares #24 verstehen es, diese Anpassung als wunderbare Metaspiele zu verpacken. Fokussieren sich dabei Mini-Spiele wie Advancer, Coming into Focus und FronSkratx hauptsächlich auf eine Verbesserung der audiovisuellen Ebene, so schafft es Evoland hingegen, schon minimale Fortschritte als eine überragende Verbesserung des Spielgefühls zu transportieren. In zeldaesker Grafik bietet sich hierbei den Spielenden ein Schmunzler nach dem nächsten, da erst das Einsammeln von Schatztruhen ständig neue Spielelemente freilegt. Hierbei geht es nicht nur um die Optik und musikalische Untermalung, sondern auch um Kleinigkeiten, die heutzutage als klassische Elemente gelten: Feindliche Monster, eine Angriffsmöglichkeit, ja selbst Bewegungsrichtungen sowie ein Quest-System müssen überhaupt erst freigeschaltet werden. Das eine oder andere zusätzliche Gimmick verleiht Evoland dabei eine sehr humorvolle Note.


(Crab von Mayto)

Wesentlich düsterer geht es hingegen in Crab zu. Mit seiner entfernt an Lone Survivor erinnernden Ästhetik war es — neben RED PLANET — das erste von über 400 getesteten Spielen, das es schaffen konnte, mich auf einer narrativ-atmosphärischen Ebene zu fesseln. Alles wirkt düster, eine Stimmung des Schuldbewusstseins legt sich über das Treiben auf dem Monitor.

Eigentlich steuert man in Crab nur eine Blase, die sich in verschiedenen Gemäuern zum Schlafen niederlassen will. Wann immer sie jedoch wieder aufwacht, ist jede Räumlichkeit verschmutzt und von einer schwarzen Masse übersäht. Das kleine Wesen weiß nicht, warum dies so ist. Es wirkt in meinen Augen so traurig und einsam, mit einem Gefühl der Schuld belegt, obwohl es nicht absichtlich etwas Schlechtes tun wollte. Erst das sehr ergreifende Ende verrät, was das seifenblasenartige Geschöpf in Wirklichkeit ist. Ohne das Ende vorwegzunehmen, möchte ich doch mit einem kryptischen Satz seine Verbindung zur Anpassung erläutern: Nicht jeder Körper kann sich an alle Umstände gewöhnen. Crab ist eine grausam schöne Angelegenheit.


Weitere Empfehlungen:

Cosmogonie
Eine Art beeindruckender Atmosphärenzufallsgenerator auf rein audiovisueller Ebene.

Fantasy Map Tactics
Das einzige Spielziel besteht in der Einnahme von 15 Gebieten — die Aufmachung ist jedoch, angesichts der kurzen Entwicklungszeit, ungemein imponierend.

Move the Cheese
Ein Puzzle-Spiel mit einer Flip-Spielmechanik a lá And Yet It Moves, in der man eine Maus zu ihrem Käse führt — das Gameplay mag sehr simpel sein, aber die Level sind auf angenehme Weise komplex aufgebaut.

Plan M
Dieses Point’n’Click-Adventure besitzt Charme, Witz und Affen. Viele Affen. Entwickelt wurde es von den subAtomic-Machern, die bereits beim Ludum Dare #23 brillieren konnten (Platz 8 in der Jam Overall-Wertung).

Schrodinger’s Kittens
Die Antwort auf die Frage, was herauskommt, wenn man Canabalt mit 10^10 Kätzchen multipliziert und anschließend durch eine Pixelkiste dividiert.

Urban Sprawl
Die hierbei entstehende Kleinstadt entwickelt sich durch minimale Eingriffe fast eigenständig weiter und weiter — ich kann kaum fassen, dass diese Mini-SimCity-Version innerhalb von 72 Stunden entstanden sein soll. Grandios.

2 Kommentare zu “Ludum Dare #24 – Reportage Teil 2”

  1. Fabu
    1

    HINTER DIR! EIN DREIKÖPFIGES FLASHGAME!

  2. Sebastian
    2

    O_o Elende Mutanten!

11 Trackbacks zu “Ludum Dare #24 – Reportage Teil 2”

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