A MAZE 2013: Kyratzes im Interview

In Deutschland gibt es keine spannenden Indie-Entwickler, das ist ein Indie-Wasteland hier, es ist nichts los. Stimmt nicht! Es gibt Verena und Jonas Kyratzes aus Frankfurt, die alles richtig machen: Merkwürdige Spieleideen, politische Inhalte, kontroverse, mutige Blogposts. Grund genug, um auf der A MAZE Indie Connect mit den Kyratzes über ihre Spiele und den kreativen Prozess zu sprechen.

Worum geht es eigentlich in The Sea Will Claim Everything?

Jonas Kyratzes Auf einer Ebene geht es darum, dass man durch ein magisches Fenster, das Interface des Spiels selbst, mit dem Lands of Dream, der Welt der Träume, kommuniziert. Das ist eine fantastische Welt, in der gerade eine Wirtschaftskrise politische Probleme verursacht. Ein sogenannter Lord Urizon, eigentlich eine Figur aus der Mytholgie vom Dichter William Blake, versucht da seine Macht zu vergrößern und eine bestimmte Region durch finanzielle Methoden zu erobern. Natürlich geht es indirekt um die Finanzkrise weltweit, insbesondere aber in Griechenland, und den Arabischen Frühling. Und es geht sehr um politische Fragen, Widerstand gegen das politische System, den Kapitalismus und so weiter und so fort.

Was vielen aber zuerst auffallen wird, ist der Grafikstil. Sehr bunt, plakativ, fast schon kindlich. Wie seid Ihr darauf gekommen?

Verena Kyratzes Die Grafik hat einen kinderbuchartigen Charakter. Das soll es leichter für Leute machen, diese ganzen fantastischen Sachen, die wir in die Spiele reinpacken zu akzeptieren. Es ging aber auch um etwas, was wir schnell machen können, was machbar ist mit unserer Technik.

The Sea Will Claim Everything ist ja eine Art Adventure. Wie kann man sich das vorstellen? Hat es viel mit Rätseln zu tun?

Jonas Solche Sachen interessieren mich nicht wirklich. Es geht eher darum, mit der Welt zu interagieren, mit Charakteren zu sprechen, Details zu finden. Es geht ganz viel um Details. Man kann überall irgendwo etwas Interessantes finden. Egal, ob es ein Buchtitel ist oder eine Figur, mit der man diskutieren kann. Es geht eher darum, das Gefühl zu haben, da zu sein in dieser Welt.

Und das versucht Ihr als Entwicklerduo umzusetzen. habt ihr das immer schon so gemacht?

Verena Jonas macht schon viel länger Spiele als ich, aber als wir uns kennengelernt haben, haben wir dann gemerkt, dass ich zeichnen kann und er meinte: Wäre das nicht großartig, wenn wir was zusammen machen würden? Und dann haben wir erstmal zwei, drei Spiele gemacht, die nirgendwo hingegangen sind und wo die Grafik einfach noch rumliegt und wo ich Jonas immer ganz böse angucke und sage: “Mach doch was damit!” Dann kamen wir aber auf diesen Lands of Dream-Stil und dabei sind wir geblieben.

Wie läuft bei euch eigentlich die Zusammenarbeit?

Jonas Es ist ein komplizierter Prozess, der nicht immer geplant ist. Dann hab ich eine Idee, dann hat Verena eine Idee, dann zeichnet sie mal was ganz neues, was ich überhaupt nicht gesagt habe. Ich sage z.B.: “Zeichne eine Wüste!” Dann zeichnet sie irgendwas in der Wüste und ich denke mir: “Ah, das ist jetzt Teil der Geschichte.”

Verena Ja, ich kann doch nicht einfach nur 20 Bilder von Dünen malen, da muss doch irgendwas rein (lacht). Und dann beschwert er sich immer.

Jonas Ich beschwer mich überhaupt nicht (lacht). Ganz viele tolle Ideen kommen auch von der Verena. Deswegen steht unter den Credits: Ein Spiel von Jonas und Verena. Weil wir beide das Design zusammen machen, auf eine sonderbare Art und Weise.

Verena Ganz oft setzt er mich morgens hin und sagt: “Mach mal einen Wald.” Und dann bin ich den ganzen Tag alleine und male einen Wald. Und dann ist da halt eine Hexe drin oder eine Höhle. Eine Höhle ist sehr beliebt. Da sieht man nämlich nur den Eingang. Und dann sag ich: “Ach übrigens, Schatz, da ist da noch eine Höhle im Wald. Was ist denn da drin?”

Jonas Und so entstehen dann Sachen. Plötzlich habe ich dann die Idee: Ah, in dieser Höhle ist ein komisches Monster mit fünf Köpfen und dann ist es halt da. Und manchmal verändert das die ganze Geschichte. Da ist Improvisation drin. Ich habe immer das Gefühl, wir entdecken das Spiel selber, wenn wir es erschaffen, genauso wie der Spieler das entdeckt wenn er das spielt. Eigentlich ein sehr ähnlicher Prozess für uns.

Neulich habt ihr Crowdfunding auf IndieGoGo gemacht. Worum ging’s da?

Jonas Es ging um das nächste Spiel in der gleichen Welt. Es heißt Ithaca of the Clouds und geht um zwei schwule Trolle. Es ist eine Liebesgeschichte basierend auf der Dichtung von Kavafis, das ist ein griechischer Dichter von vor etwa 80 Jahren. Ich mag seine Dichtung sehr und ich wollte seine Themen in einem Spiel verarbeiten. Er war selber homosexuell und hat viele solche Themen in seiner Dichtung, deshalb hat das gepasst.
Wir sind nicht besonders reich und machen halt eigenartige Spiele. Das heißt, wir verkaufen nicht Millionen. Wie es sich herausstellt, haben wir aber doch genug Fans, dass sowas funktionieren kann, was schon ziemlich toll ist irgendwie.

Wart ihr da überrascht?

Verena Ja… und nein. Natürlich hofft man immer, dass das ein riesiger Erfolg wird, aber wir hatten auch Angst. Die Reaktion war dann aber sehr positiv und es war einfach großartig zu sehen, was andere Leute darüber schreiben. Auch aus Ecken, wo man so was nicht erwartet hat.

Gab es negative Kommentare?

Jonas Überraschend wenige diesmal. Das hat mich eigentlich überrascht. Ich war bereit, das Spiel zu verteidigen. Aber… nö! Wir haben sogar mehr Aufmerksamkeit für IndieGoGo bekommen als für das vorige Spiel. Was… eigenartig war. Eurogamer und andere große Seiten waren dann auch interessiert. Vielleicht hat sich der Name langsam rumgesprochen.

httpvh://youtu.be/WwA9VbQEmJg

Ihr seid in Deutschland, macht Spiele aber auf Englisch. Jonas, du bloggst auf Englisch und Ihr bekommt internationale Aufmerksamkeit. Aber wie ist das eigentlich in Deutschland?

Jonas Es gab ein paar Kritiken inzwischen von The Sea Will Claim Everything, die haben mich sehr gefreut. Insgesamt habe ich aber nicht das Gefühl, dass wir besonders bekannt sind in Deutschland. Vielleicht weil die Spiele auf Englisch sind, vielleicht weil in Deutschland nicht eine so starke Indie-Szene existiert wie in anderen Ländern. Aber wir haben auch ein paar Unterstützer in Deutschland, und das ist immer schön zu hören, oder?

Verena Ich habe halt das Gefühl, dass die ganze deutsche Indie-Szene in Berlin ist und in Frankfurt ist man ein bisschen einsam und alleine.

Sind Events wie das A MAZE wichtig dafür? Wie empfindet ihr das?

Jonas Schwer zu sagen. Ich bin so selten auf solchen Events. Das ist das erste Mal, wo ich wirklich viele Leute kennengelernt habe. Für mich ist das ein bisschen surreal, ich kenne die ganzen Leute nur von Twitter. Ich kenne die seit Jahren, wir haben teilweise oft zusammengearbeitet. Und es ist schon was anderes, die Leute in Person kennen zu lernen als nur den Username im Internet.

httpvh://youtu.be/OEJ1OLZ5-I8

Habt ihr Kontakt mit anderen deutschen Entwicklern?

Verena Eigentlich gar nicht. Ich hab vor einer Woche ein, zwei Mal mit Jana Reinhardt von Ratking auf Twitter geredet, aber das war so mein erster Kontakt mit einem deutschen Entwickler — und sie hat das Ganze initiiert, wofür ich sehr dankbar bin. Aber sonst: Nee. Hauptsächlich mit Leuten wie Terry Cavanagh und Michael Brough und so.

Jonas Vielleicht auch weil ich auf Englisch schreibe, oder vielleicht weil die Indie-Szene kleiner ist. Es gibt so ein, zwei Leute, mit denen man kommuniziert, wo man sich freut. Aber sonst großen Kontakt mit deutschen Entwicklern haben wir nicht. Das würde mich nicht stören. Aber da scheint einfach kein Kontakt zu existieren zwischen ganz vielen Leuten.

Was sind denn so deutschlandspezifische Probleme für Indie-Entwickler? Gibt es da etwas, was sich unterscheidet von Entwicklern in Amerika, England und so weiter.

Jonas Die Steuern! Das ist wirklich so, irgendwie gibt es keine anständigen Gesetze fürs Internet. Da tun sich viele schwer. Das hab ich schon von vielen Leuten gehört. Und dadurch, dass es halt nicht so besonders viele Kontakte existieren zwischen den Leuten, weiß man teilweise gar nicht, was man damit anfangen soll. Man geht zum Steuerberater und der Steuerberater ist so: “Ich hab keine Ahnung! Ich kenn mich nicht aus!” und du fragst dann: “Okay, wer KENNT sich denn damit aus?” Niemand! Das ist für mich ein großes Problem, für uns beide.
Und sonst, dass man so ein bisschen verloren ist. Man ist einfach im Nichts. Wenn man in Cambridge lebt, dann hat man 100 andere Indie-Entwickler um die Ecke. Und Journalisten! Ich weiß überhaupt nicht, ob es in Deutschland viele Journalisten gibt, die eine Ahnung davon haben, was Indie-Spiele sind. Ich glaube die meisten haben noch nie davon gehört. Auch teilweise die, die über Computerspiele schreiben, kennen sich damit nicht besonders gut aus, außer vielleicht mit Minecraft. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber es ist sehr klein und nicht besonders gut verbunden. Und in Amerika und in Kanada gibt es eine richtig starke Indie-Szene, wo es viele soziale Kontakte gibt, die einem auf viele Arten und Weisen helfen können. Schon übers Internet hab ich ganz viele Kontakte bekommen, die mir geholfen haben über die Jahre, aber wenn man Leute persönlich kennenlernt, macht das einen riesigen Unterschied, auch Journalisten. Die wissen dann: Ach, der ist nett, mit dem kann ich mal reden. Und wenn man das nicht hat, und man hat das in Deutschland relativ wenig, dann sind die Sachen viel schwieriger.

Wie weit seid ihr denn jetzt bei Ithaca in the Clouds?

Jonas Relativ am Anfang. Ich war krank, hatte Probleme mit meinen Zähnen, das hat nicht viel geholfen. Und wir mussten ein bisschen reinkommen. Da wir das chronologisch entwickeln, sind wir ganz am Anfang des Spiels. Es geht eher um die Kindheit unserer Hauptcharaktere. Da haben wir am Anfang experimentiert mit neuen visuellen Ideen. Langsam haben wir eine Richtung gefunden. Und zu aller Erst geht es darum ganz viel Grafik zu haben, bevor wir dann alles zusammenbauen und sehen, wie sich das entwickelt. Man weiß nie genau, wie es sich entwickeln wird. Das ist eigentlich das Spannende.

Verena Das hängt alles an mir. Das ist alles meine Schuld (lacht). Wir wollten einen ganz anderen Stil fürs Intro haben und das hat eine Weile gedauert den zu finden und… da muss ich kurz vom Leid des armen Indie-Entwicklers erzählen: Ich hab jetzt für zwei Monate in drei Jobs gearbeitet. Da ging es gar nicht mehr, Grafiken zu machen.

Jonas Ich war krank, das hat auch nicht geholfen. Sie musste sich um mich kümmern. Und ich hab noch andere Sachen gemacht. Es ist nicht leicht. Man kann sich das nicht so vorstellen, dass man da leicht überleben kann. Auf der anderen Seite hat man dann was gemacht, was da ist und was schön ist, was den Leuten was bedeutet und man hat nicht sein ganzes Leben verschwendet. Im Abstrakten hört sich das ziemlich gut an (lacht), so Tag zu Tag ist es aber ziemlich schwer.

Könntet Ihr euch denn vorstellen, auch was anderes zu machen?

Jonas Andere Formen von Kunst, ja. Schreiben ist für uns beide die Hauptsache. Wir sehen uns beide eher als Schriftsteller, die so zufälligerweise in diese Spieleszene abgerutscht sind. Wir haben ein Kinderbuch geschrieben, das kommt jetzt in Griechenland raus. Wir machen halt auch gerne andere Sachen. Den Kontakt mit den Spielen möchte ich auch nicht verlieren, aber so ganz aufhören mit der Kunst und dem Kreativen? Da würde ich einfach nur wahnsinnig werden.

Verena Wir sind arm wie die Kirchenmäuse, aber das ist es uns wert. Es ist uns wichtig, was machen zu können, was nach uns bleibt, was Leuten Freude bringt. Das ist etwas, was man im Kauf nimmt. Man ist arm, aber macht etwas, was einem wirklich am Herzen liegt. Und ob das jetzt Schreiben für mich ist oder Computerspiele, das ist mir eigentlich egal im Endeffekt.

Jonas Solange man es irgendwie schafft was zu machen, was Sinn hat, und was anderen Leuten was bedeutet und was die Welt vielleicht ein bisschen verbessert… ich meine, ich sehe das ganze nicht 100% idealistisch. Ich bin Marxist, man muss schon irgendwie die Basis zum Überleben haben, aber wenn man nur die Basis zum Überleben hat und sonst nichts, dann lohnt es sich auch nicht wirklich, oder?