Gewinnen ist nicht alles. Manchmal ist es schon genug, einfach nur zu Spielen.
Die ersten Bilder weckten Assoziationen mit Studio Ghibli oder Björk. Erin Robinsons Anspruch, ein Spiel zu machen, das auch für Menschen zugänglich ist, die noch keine Erfahrung mit Videospielen haben, schien wichtiger denn je. Und die begeisterte Vorberichterstattung der Indie-Presse tat ihr Weiteres. Gravity Ghost versprach schon früh, etwas Besonderes zu werden.
Dabei ähnelt Gravity Ghost erst einmal allen Spielen, die sich um Physik und die Schwerkraft drehen. Es gibt Planeten mit unterschiedlicher Anziehungskraft, deren Beschaffenheit durch magische Elemente verändert werden kann. Durch Wasserplaneten fliegt die Protagonistin Iona hindurch, Luftplaneten dienen als Ballon-Trampolin und Kristallplaneten haben eine größere Anziehungskraft.
Haben Ionas Füße einmal den Planeten verlassen, bestimmt die Schwerkraft ihre Bewegung. Zwar lässt sich ihre Richtung noch leicht beeinflussen, wirkliche Kontrolle ist schwebend aber nicht mehr möglich. Anfangs war es ungewohnt, nicht die volle Kontrolle über die Spielfigur zu haben – so ungewohnt, dass ich eine ganze Weile an mir selbst und daran, ob ich das Spiel richtig bediene, zweifelte. Aber dann fing ich an loszulassen.
Ich gab das Bedürfnis nach Kontrolle auf und ließ mich einfach gleiten. Ich versuchte nicht mehr, mit Gewalt selbst die Richtung zu erzwingen, in die Iona als nächstes schweben sollte, sondern überließ es mehr und mehr der Anziehungskraft der mich umgebenden Planeten. Ich genoss das Gefühl, eine Landung verfehlt zu haben, um mit umsomehr Schwung in einem Orbit um mein Ziel zu fliegen. Ich hörte auf, den optimalen Weg zu suchen, um ein Level möglichst schnell mit Highscore und Bestzeit zu beenden. Schwerelos zog ich meine Bahnen und malte mit Ionas langen, leuchtenden Haaren Muster in den Weltraum, drehte Schleifen um kleine und große Planeten.
Sobald der Druck gut sein zu müssen weg war, veränderte sich Gravity Ghost. Es wurde von einem ganz netten Plattformer mit Physik-Rätseln zu etwas völlig anderem, bei dem das eigentliche Ziel der Levels mehr und mehr in den Hintergrund trat. Iona ist ein spielendes Kind und genau dazu lädt Gravity Ghost ein: Nicht zum Gewinnen, sondern zum Spielen. Nach einer Zeit fühlt sich alles wirklich so sorg- und schwerelos an, wie es der Name suggeriert.
Ionas Reise durch den Weltraum ist trotzdem kein Selbstzweck. Sie ist auf der Suche nach ihrem Freund, einem Fuchs. Auf ihrer Suche trifft sie Wächter, die sie um Hilfe bittet. Sie trifft die Geister und Skelette von verstorbenen Tieren und begleitet sie bei ihrer Ankunft im Jenseits. Sie sammelt die Teile eines Planeten zusammen, der von einem schwarzen Loch verschlungen wurde. Und sie stößt aber auch immer wieder auf Türen, die einen Blick ihr vergangenes Leben werfen und muss entdecken, dass sie dort noch etwas zu erledigen hat.
Auch mit dem Tod als dominantem Motiv ist Gravity Ghost alles andere als schwermütig. Und so oft es auch knapp an der Gefühlsduselei entlangschrammt, gleitet die Geschichte doch nie in banalen Kitsch ab. Es ist eine Geschichte, so bescheiden, herzerwärmend und zutiefst menschlich erzählt, wie es in Videospielen eine Seltenheit ist. Jede noch so kleine Dialogzeile ist mit einer beeindruckenden Leichtigkeit, Humor und Charme geschrieben und von den Sprecherinnen und Sprechern transportiert. Den Rest trägt die gezeichnete Grafik, die immer wieder zwischen tristen Rückblenden auf die Erde und leuchtenden Farben in der Unendlichkeit des Weltraums wechselt, und der tolle Soundtrack von Ben Pruty, der bereits die Musik für FTL komponierte, bei.
Wenn der Abspann einsetzt, hinterlässt Gravity Ghost die ein oder andere Träne im Auge und ein behütetes Gefühl im Bauch. Gravity Ghost ist ein Spiel darüber, loslassen zu können und um es wirklich genießen zu können, muss jeder der es spielt, genau das tun: Loslassen.