Interview mit Jake Solomon (XCOM Enemy Unknown)

Peter Klement (nahaufnahmen.ch und Titel-Magazin) war so freundlich, uns drei bislang unveröffentlichte Interviews mit Spiele-Entwicklern zur Verfügung zu stellen, die er Ende letzten Jahres führte.

Im Oktober 2012 erschien mit XCOM Enemy Unknown eine Neuauflage des Strategie-Klassikers X-COM von 1994 (Dennis berichtete). Peter sprach mit dem verantwortlichen Designer Jake Solomon über die Entwicklung, Hintergründe, Deutschland und mehr. Viel Spaß beim Lesen!

Starten wir locker ins Gespräch mit einer kleinen Vortstellung deinerseits.

Hi, ich bin Jake Solomon, Lead Designer von XCOM: Enemy Unkown. Außerdem bin ich wohl der größte Fan des ersten X-COM. Dieses Spiel ist der Grund, warum ich einen Collegeabschluss in Informatik gemacht habe und in die Spieleindustrie gegangen bin. Jetzt, nachdem ich 13 Jahre bei Firaxis mit Sid Meier zusammen gearbeitet und immer wieder eine Neuauflage von XCOM vorgeschlagen habe, ist mein Traum wahr geworden.

Wie kam XCOM zu Firaxis? Es gab ja eine ganze Reihe von UFO-Spielen vor XCOM, die eher durchwachsenen Erfolg hatten und denen die offizielle Lizenz fehlte.

Naja, weißt du, Firaxis ging aus Microprose hervor, dem Publisher – wenn auch nicht dem Entwickler – des ersten X-COM. Ich als Fan des Originals habe regelmäßig die Leute bei Firaxis bekniet, dass wir endlich einen Neustart wagen, jahrelang. Das ging sogar so weit, dass ich meinen eigenen kleinen Prototypen gebastelt habe, um zu beweisen, dass das eine gute Idee wäre. Das war vor acht oder neun Jahren, da war ich noch jung und hatte keine Ahnung was ich tue –- jetzt bin ich alt und habe keine Ahnung was ich tue (lacht). [X-Com wieder zu beleben] war für mich total logisch, obwohl rundenbasierte Strategie in der Spieleindustrie überhaupt nicht mehr verbreitet ist.

Das ist die andere Sache, die die Deutschen lieben, neben Adventures: rundenbasierte Strategie.

Nachdem ich dieses Jahr nach Deutschland gereist war, habe ich unser Team angefleht, dass wir unser Studio dorthin verlegen. Hier sind unsere größten Fans, besonders auf der Gamescom war es fantastisch. Hier gibt es so viel Begeisterung für rundenbasierte Strategiespiele, das zeigt sich schon in der Liebe zu Brettspielen. Deutschland ist ein großartiger Ort, um Designer für Strategiespiele zu sein.

Dann lass und doch weiter über rundenbasierte Strategie reden, denn das Genre ist ja seit geraumer Zeit das ungeliebte Stiefkind der Industrie. Es gab quasi keine rundenbasierten Strategiespiele, die Erfolg hatten, vermutlich weil sie sehr komplex sind. Kennst du Silent Storm (2003)?

Natürlich kenne ich Silent Storm!

Ich glaube, das war der letzte große, squad- und rundebasierte Titel.

Da hast du recht. Auf dem PC könnte man eventuell sagen, dass taktische Rollenspiele oder japanische RPGs diese Rolle übernommen haben. Aber Silent Storm war wirklich der letzte Versuch eines klassischen, rundenbasierten Strategiespiels mit Squads.

Dann ist es doch ein ziemlich gewagter Schritt, ein Remake zu machen. Wie seid ihr zu diesem Punkt gelangt und wie habt ihr die Schritte identifiziert, die nötig waren, um XCOM erfolgreich zu machen?

Das ist eine Sache, bei der du und dein Team einfach daran glauben müssen. Ich denke nicht, dass du die Schritte tatsächlich identifizieren kannst. Es war schon ein gewisses Risiko, denn es gibt nicht viele rundenbasierte Strategiespiele da draußen. Bei den meisten würde das Bauchgefühl wohl sagen: “Lass es uns in Echtzeit oder in pausierbarer Echtzeit machen“, was viele Spiele ja auch taten. Aber aus Designerperspektive muss ich sagen, dass XCOM nicht funktionieren würde, wenn es in Echtzeit wäre.
Denn eines der wichtigsten Elemente von XCOM ist der Tod deiner Soldaten. Ohne Permadeath wäre es einfach nicht dasselbe. Daher brauchen die Spieler die vollständige Kontrolle über das Geschehen. Wenn sie die nicht haben und infolgedessen einer der Soldaten stirbt, dann fühlt sich das für die Spieler unglaublich unfair an. Niemand wird das vollständig akzeptieren, dass er dafür die Verantwortung trägt, wenn er nur teilweise die Kontrolle hat. Etwas anderes [als Rundenstrategie] kam für uns also nie in Frage.

Der nächste Schritt war, uns jedes Element des Originals genau anzusehen und herauszufinden, ob es noch zeitgemäß ist und ob wir es eventuell verbessern oder ändern können. Wir haben da wirklich sehr intensiv überlegt und uns natürlich auch ein wenig Sorgen gemacht, denn diese Mechanik [Rundenstrategie] ist inzwischen äußerst selten. Wir hatten aber den Vorteil, dass wir die Typen sind, die Civ[ilization] machen, daher konnten wir sagen “Seht her, rundenbasierte Strategie findet noch immer viel Zuspruch und kann ein Franchise tragen“. Ich meine, wir machen seit 20 Jahren Civ, wir wissen, dass es funktionieren kann! Was uns dabei trotzdem Kopfzerbrechen bereitet hat, ist die Tatsache, dass es bei anderen Spielen als Civ nicht wirklich funktioniert hat. Du kannst einfach nie genau sagen, wie es bei den Leute ankommt, bis sie das Spiel in den Händen halten.

Dann stelle ich jetzt mal die Gretchenfrage: Denkst du, dass XCOM ein Remake ist?

Das ist eine gute Frage. Ich würde XCOM nicht als Remake bezeichnen. Das klingt jetzt ein bisschen nach Wortklauberei, aber ich sehe XCOM als Neuinterpretation zu X-COM. Es ist nicht wirklich ein Sequel, aber es basiert ganz klar auf der Geschichte und der Mechanik des Vorgängers. Der Unterschied liegt darin, wie du mit der Welt interagierst: In unserer Version gibt es keine Zeiteinheiten, das Inventar und die Missionen sind anders. Alle Teile des Originals sind vorhanden, aber sie funktionieren auf eine andere Weise. Permadeath, Fog of War, rundenbasierte Gefechte, eine Taktik- und eine Strategieebene blieben erhalten, aber wir haben sie neu interpretiert. XCOM liegt irgendwo dazwischen, würde ich sagen — es ist kein Remake, aber ist nimmt sehr viele Anleihen von seinem Vorgänger.

Eine Reimagination nimmt immer etwas von ihrem Vorbild, ändert ein bisschen, macht vielleicht etwas besser und versucht natürlich auch etwas völlig Neues. Mein Eindruck beim Spielen von XCOM war, dass es ein sehr gestrafftes Spiel ist. Das Original hatte unzählige Kleinigkeiten, die beachtet werden mussten: Munition für die Soldaten, Basismanagement, mehrere Basen und so weiter. Ihr habt das Spiel extrem eingedampft: zwei Züge, eine Basis, keine Munition. Wie seid ihr zu diesen Entscheidungen gekommen und wie sah der Prozess aus, der euch zu diesem Punkt gebracht hat?

Du hast es schon ziemlich gut zusammengefasst. Es stimmt, wir haben es extrem eingedampft. Ich hab sogar gehört, dass Leute XCOM als Brettspiel bezeichnen und ich denke, das ist eine faire Einschätzung – auch wenn das heißt, dass wir Abstriche gemacht haben. Das Original macht einige Dinge besser als unser Spiel, doch im Gegenzug machen wir einige Dinge besser als das Original.

Es ist seltsam, dass das erste X-COM als Strategiespiel bezeichnet wird, denn eigentlich ist es mehr eine Simulation und ich denke, darin liegt ein wichtiger Unterschied zu unserer Variante. Du kannst beispielsweise überall bauen, sogar mitten in der Antarktis. Die Strategieebene sehe ich als Versuch der Gollop-Brüder, eine Alieninvasion zu simulieren. Die taktische Ebenen der beiden Spiele sind sich dagegen sehr ähnlich.
Unsere Variante ist ein Spiel mit sehr diskreten Entscheidungen. Das kommt vielleicht von der langen Zusammenarbeit mit Sid, er hat diesen bekannten Spruch geprägt: “Ein Spiel ist eine Reihe interessanter Entscheidungen“. Das war auch unsere Philosophie und damit diese Entscheidungen möglichst interessant sind, müssen sie eindeutig und verschieden sein.
Die Zeiteinheiten aus dem ersten Spiel sind ein gutes Beispiel für diesen Unterschied. Bei uns hat der Spieler zwei Züge im Gegensatz zu Zeiteinheiten, mit denen du anstellen konntest, was du wolltest – beispielsweise die Soldaten einfach im Kreis drehen lassen. Das Original war viel emergenter und du warst ziemlich frei in deinen Entscheidungen. Doch der Nachteil an so einem offenen Spiel ist, dass es viel länger dauert, bis du es wirklich verstehst: Welche Entscheidungen sind die richtigen? Welche Nachteile musst du dafür in Kauf nehmen? Das ist im Original nicht direkt ersichtlich, manchmal hat eine Entscheidung weder positive noch negative Auswirkungen.

Unser Gegenvorschlag ist demnach, die Entscheidungen sehr eindeutig und vor allem unterschiedlich zu machen. Das kannst Du besonders auf der taktischen Ebene sehen: Einen Soldaten entweder in Deckung zu schicken oder ein paar Aliens zu flankieren und dafür schutzlos zu sein, sind bei uns mehr oder weniger An/Aus-Zustände, mit klaren Vor- und Nachteilen. Im Original waren diese Spielzustände nicht so eindeutig und nicht so leicht zu lesen.

Versteh mich nicht falsch, das erste X-COM ist ein fantastisches Spiel, das eine großartige, lebendige Simulationswelt erschafft. Doch wie gesagt, das macht es eben auch schwer, das Spiel zu verstehen. Wir haben diese Offenheit gegen ein organischeres, wenn auch linearerers Spielerlebnis getauscht.

Die Jungs von Black Mesa haben Half-Life neu gemacht, um der Generation von Call of Duty und Gears of War einen Eindruck zu verschaffen, wie es war, den ersten Shooter zu spielen, der über “enviromental Storytelling” funktionerte. War das auch eine Inspiration für euch? Wolltet ihr dieser Generation ihr rundenbasiertes Strategiespiel geben, mit dem sie später ihre Enkel nerven?

Ich kann dir genau sagen, wo das herkommt: Ich spiele immer noch das Original. Ich spiele es jedes Jahr mindestens ein Mal – und das als jemand, der für einen der größten Strategiespieleentwickler arbeitet. Außerdem glaube ich, dass dieses Spiel, trotz seines Alters, immer noch viele Dinge besser macht, als jedes vergleichbare Spiel, das in der Zwischenzeit erschienen ist. Das ist meine feste Überzeugung.

Ich dachte mir die ganze Zeit “Das ist ein Spiel, das nur darauf wartet, dass jemand es wiederbelebt“. Es ist echt seltsam, daran zu denken, dass das Original inzwischen 20 Jahre auf dem Buckel hat, denn für mich war es sehr prägend und viele Leute, die es gespielt haben, waren regelrecht besessen davon. Es schafft es einfach, so viele fantastischen Dinge zu erreichen.
Für mich ist es eines der wenigen Spiele, die mich auch emotional packen, weil mir der Tod meiner Soldaten echt nahe geht. Geschichten funktionieren einfach nicht so gut bei mir. Ich meine, klar, mich interessiert, was passiert, aber sie beeinflussen mich nicht auf einer emotionalen Ebene. Im Gegenzug dazu war ich im ersten X-COM immer emotional dabei: In den Gefechten wurde ich richtig nervös und es war immer ein Schlag, wenn es einen meiner Soldaten erwischt hat.

Es gibt noch immer diese ganze Generation da draußen, die Civ spielt und ich dachte: “Ziemlich sicher, dass diese Leute auch an einem neuen XCOM Spass haben würden!“. Gleichzeitig war mir klar, dass die originale, simulationslastige Version des Spiels schwer zu verdauen sein würde, weil sie dir einfach keine Richtung vorgibt.
Die Frage war also, wie man ein XCOM macht, das immer noch XCOM ist und sich wie XCOM anfühlt — aber gleichzeitig auch Leuten Spass macht, die dieses Genre überhaupt nicht kennen. Unsere Version musste es schaffen, Spieler in ein System einzuführen, in dem sie vorher keinerlei Erfahrung sammeln konnten. Das war unsere größte Herausforderung. Doch ich habe fest daran geglaubt, dass unser Entwurf die Leute so mitreißen würde, dass sie, wie ich, Geschichten über ihre Soldaten erzählen können.

Reden wir doch weiter über Geschichten. Du hast gesagt, dass dich lineare Geschichten nicht sonderlich mitnehmen. Aber du bist vermutlich ein großer Fan von emergenten Stories. Mir ist besonders aufgefallen, dass ihr stark mit der Kamera arbeitet, die jedes Gefecht in kleine Storyblöcke unterteilt. Wo kam die Idee her?

Ja, genau. Im Vergleich zum Original mussten wir mehr Storytelling einbauen, denn da es eher eine Simulation war, wirkte es auch viel organischer.

In unserer Version haben wir daher neue Elemente hinzugefügt, etwa Spitznamen für deine Soldaten, eine Gedenkwand und die Möglichkeit die Soldaten in der Basis zu sehen. Das erste X-COM hatte das nicht und ich denke, das bringt die Leute eher dazu, Geschichten über ihr Spielerlebnis zu erzählen.
Darum ist eine gute Kamera für uns ebenso wichtig: Sie lässt dich die Gesichter deiner Soldaten sehen und sie bringt dich direkt ins Gefecht. Die Idee kam auch ein Stück weit durch das Original. Dort sehen alle Soldaten gleich aus, vom Haarschnitt mal abgesehen. Aber sie hatten einzigartige Namen und zufällige Werte. Ich hatte in meinem Team einmal so einen richtigen Feigling, einen der immer sofort in Panik ausbrach. Doch in meinem Kopf war er der Anführer der XCOM-Organisation und darum eben kein so harter Hund, wie die anderen Soldaten.
Wir wollten das einfach noch besser machen, das Geschichtenerzählen war uns also sehr wichtig.

Was wird mit dem neuen XCOM passieren? Wird es ein XCOM in der Zukunft geben? Ein XCOM im All?

Durch das Gameplay mit seiner taktischen und strategische Ebene kann man noch viele Geschichten erzählen. Da steckt noch reichlich Potenzial drin. Aber, ich bekomme bald eine Tochter, also hab’ ich ehrlich gesagt noch nicht so viel darüber nachgedacht. Wir arbeiten ja auch noch etwas an unserem Spiel. Aber hey, sag niemals nie.

Wie kam XCOM in der Community an? Es gab da ja diesen berüchtigten X-COM Shooter, man war doch bestimmt sehr argwöhnisch.

Es war super! Als wir es angekündigt haben, waren die Leute ein bisschen nervös und aufgeregt. Alle haben sich gefragt: “Wird es wirklich X-COM, oder etwas völlig anderes?” Als es dann raus kam, war es sehr befriedigend zu sehen, dass Hardcore-Fans des Originals gesagt haben: “Okay, es ist ein neues Spiel, das sein eigens Ding macht, aber es ist definitv X-COM!”

Kürzlich hat uns sogar Julian Gollop besucht und XCOM gespielt. Es gibt einen Artikel auf Eurogamer, wo er über sein Spielerlebnis spricht und vor allem, dass es ihm sehr gut gefallen hat. Das war für mich eine große Erleichterung. Bisher wurde das Spiel richtig gut aufgenommen.

Das ist interessant, denn Remakes wandeln immer auf einem schmalen Grat.

Klar, das ist ein Drahtseilakt. Du musst sehr sorgfältig sein und sehr ehrlich, was die Begründung deiner Änderungen betrifft.

Remakes überlagern entweder ihren Vorgänger oder treten in eine Koexistenz mit ihm. Bei digitalen Spielen ist oft ersteres der Fall. Was glaubst du, was XCOM mit X-COM tun wird?

Ich glaube nicht, dass unser Spiel das Original überlagern wird. Die Spiele sind unterschiedlich genug, um gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. Ich sehe XCOM fast schon als Sequel, das zu einer Familie gehört, so wie Apocalyse und Terror from the deep, die das Original ja auch nicht verdrängt haben. Wir sprachen darüber, dass X-COM eher eine Simulation sei.

Und damit sind wir am Ende. Hast du noch ein paar Worte an die Leser des Interviews?

Eigentlich nur, dass ich unser Studio gern nach Deutschland verlegen würde. Manchmal glaube ich, dass ich im falschen Land geboren bin. Ich liebe Strategie- und Brettspiele, ich bin eine verlorene deutsche Seele, die ihren Weg nach Hause sucht.

Vielen Dank für das spannende Interview.