Ein Endzeit-Rollenspiel um Rach-, Drogen- und Sehnsucht.
Das Wort „Problem“ ist in vielen Unternehmenskulturen verpönt. Probleme gebe es nicht, heißt es dann – nur Herausforderungen. „Problem“ wird dann so lange konsequent durch „Herausforderung“ ersetzt, bis das Wort „Herausforderung“ seine ursprüngliche Bedeutung gänzlich verloren und die Bedeutung des Wortes „Problem“ angenommen hat. Neusprech gescheitert. Aber irgendwie stimmt es schon: Die meisten Probleme der Wirtschaftswelt sind einfach nicht von Relevanz. Ob irgendeine Power-Point-Präsentation nicht pünktlich fertig wird oder auf den neuen Visitenkarten ein Tippfehler prangt, ist letztlich egal. Es gibt Schlimmeres.
Brad hat da schon deutlich gravierendere Probleme. In LISA wird er von den stärkeren Kindern gemobbt, die vor Gewalt weniger zurückschrecken als er. Außerdem hat er einen stark trinkenden Vater, dem er völlig egal ist und der seinen Sohn als „worthless shit kid“ bezeichnet. Das Schlimmste an alledem ist aber, dass Brad in einer Welt lebt, die dem Untergang geweiht ist. Frauen sind nämlich ausgestorben – warum, das erklärt Entwickler Dingaling Games nicht. Aber bedrohlich sieht sie aus, diese Männerwelt. Die übriggebliebenen Testosteronmonster leben in notdürftig zusammengezimmerten Hütten, überall liegen Flaschen herum und an den Wänden sind obszöne Schmierereien.
Brad wird erwachsen und das Leben nicht gerade besser. Die Hütten sind Erdhügeln gewichen, die Natur einer braunen Wüste – alles dargestellt in einer 2D-Pixelwelt aus der Seitenperspektive. In all dem Horror findet Brad ein Baby, ein Mädchen obendrein, und setzt künftig alles daran, es zu beschützen. Als das Kind, Buddy genannt, von einer marodierenden Gang entführt wird, beginnt für den Spieler eine Geschichte, in der es unmöglich ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Denn Brads Weg ist voller Leichen, da auch er selbst nicht vor Gewalt zurückschreckt. Einem anderen den Arm abzuhacken ist da noch vergleichsweise harmlos. LISA erreicht seine erzählerischen Höhepunkte, wenn der Protagonist mit einem halbnackten Transvestiten, der ihn zum Sex auffordert, auf einem Berg von toten Körpern steht. Oder wenn der Spieler einen Mutanten töten darf, um ihm das Fahrrad zu stehlen. LISA ist ein ethischer und moralischer Amoklauf.
LISA spielt sich aber nicht wie ein Amoklauf – es funktioniert wie ein klassisches, japanisches Konsolenrollenspiel. Brad schert im Laufe der Handlung eine illustre Party um sich: Leute wie Rage Ironhead, den mexikanischen Wrestler, oder Terry, Lord of the Tutorial, der nicht nur tatsächlich das Tutorial des Spiels präsentiert, sondern der auch im Kampf Tipps geben kann – in Form von nützlichen Buffs. Oder natürlich Harvey, den Fisch mit Hut auf Beinen. Der Kampf gegen die verrohten Ödland-Gangs funktioniert rundenbasiert. Spezialfähigkeiten oder Gegenstände einsetzen, Kollegen heilen, Gegner angreifen. Bei letztgenannter Aktion gibt es ein kleines Kombo-System: Wer die WASD-Tasten in einer bestimmten Reihenfolge drückt, kann mächtigere Attacken auslösen. Freigeschaltet werden selbige im Lauf der Handlung.
Untermalt wird das Kampfgeschehen von meist treibenden, manchmal aber auch recht bizarren Elektro-Beats, welche die Abstrusität von Spiel und Spielwelt nur noch unterstreichen. Dazu gibt es seltsame Animationen von Gegnern, die Drogen nehmen, sich von Autos überfahren lassen oder mit Flaschen werfen. Die Entwickler versprechen mit LISA eine „life-ruining gaming experience“. Ganz so schlimm ist es nicht – aber tatsächlich hat mir das Spiel nicht immer Spaß gemacht. Von der desaströsen Gamepad-Steuerung mal abgesehen, lag das vielmehr am Ausmaß an Ekel, das diesem Spiel innewohnt. Überall hässliche Existenzen, teils tot, teils mehr tot als lebendig, fast alle gewaltbereit, nirgendwo etwas Freundliches, nicht einmal bei Brad selbst.
Im Zentrum des Geschehens stehen immer wieder Entscheidungen von schwerwiegender Natur, bei denen der Spieler danach bereut, was er getan hat. Ein Partymitglied massakrieren lassen oder alle Ausrüstungsgegenstände verlieren? Russisch Roulette mit den Kollegen spielen? Und überhaupt: Wohin als nächstes gehen? Häufig gibt es viele Wege, jedoch keine Markierung, die einen zum nächsten Quest-Ziel führt. So ist es ziemlich leicht, in eine Horde von Gegnern zu rennen, denen Brad nicht gewachsen ist. Häufiges Speichern ist Pflicht, doch funktioniert dies nur an dafür vorgesehenen Punkten. Das wiederum zwingt zur Wiederholung bereits erlebter Ekelszenen. LISA ist abstoßend, allerdings auf eine Art und Weise, bei der ich nicht aufhören kann, hinzusehen.
Die Entwickler von LISA haben das, was die traurige Faszination von Grauen und Barbarei ausmacht, in ein 2D-Pixelspiel gegossen. Seltsamerweise hat das funktioniert. Das Ergebnis ist nicht immer unterhaltsam, teilweise aber schon. Verstörend ist es hingegen zu jeder Zeit. Einen Haufen blutiger Leichen auf dem Boden zu hinterlassen fühlt sich seltsam an, wenn der Protagonist doch eigentlich ein kleines Mädchen retten will. Diese seltsame Art der Post-Apokalypse, in der geistig minderbemittelte Männer die Welt nicht-regieren, kommt einer Version des Zombie-Mythos gleich, in der die Menschen die Zombies sind und die Menschen nicht mehr existieren. Eine solche Welt wäre wirklich eine große Herausforderung für die Verbliebenen. Ein Hoch auf die Barbarei.