Männer in Uniform – Nationalsozialismus in Videospielen und Aprilscherzen
In wenigen Jahren werden die letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus von uns gegangen sein. Mit ihnen wird auch die tatsächliche Erinnerung an ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte sterben, an das niemand gern erinnert wird, und das gerade deshalb nicht in Vergessenheit geraten darf. Was dann noch bleibt, sind auf Papier, Film und Tonband dokumentierte Mahnwachen, die niemals in vollem Umfang das wiedergeben können, was in den Menschen, auf welcher Seite sie auch gestanden haben mögen, damals vor sich gegangen ist. Ein Großteil dieser Dokumente zeigt den Krieg. Für viele junge Menschen besteht deshalb der Nationalsozialismus schon heute nur noch daraus. Weil seine Vorgeschichte so unbegreiflich scheint. Weil der Krieg im Gegensatz zur faschistischen Ideologie einen Anfang und ein Ende hat und nackte Zahlen dem Wahnsinn des Holocausts eine trügerische Nüchternheit verleihen. Und weil ein ebenfalls vergleichsweise junges Medium bisher jedwede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem komplexen Drumherum, das alles erst möglich machte, verweigert hat.
Der Nationalsozialismus im Videospiel, das ist Krieg pur. Gut gegen Nazi, ballern bis der Führerbunker qualmt. Jeder Mensch ist ein Soldat, eine Zivilgesellschaft praktisch nicht existent. Der Krieg ist keine Frage mehr, sondern die einzig vorstellbare Antwort. So wird der Sturm auf die Normandie in Call of Duty 2 zum knallenden Spektakel, eindrucksvoll und durchaus glaubhaft inszeniert, ersticken Dauerfeuer und Explosionen jedwede Reflektion. Im Krieg gibt es schließlich keine Zeit zum Nachdenken. Wie er entstand und was er für die Menschen bedeutete, ist nahezu unspielbar und wird deshalb ausgeklammert. Wolfenstein, Medal of Honor, Battlefield 1942, sie alle nutzen Nazis als klar erkennbare Antagonisten, deren Bosheit sich allein durch ihre Uniformen erklärt und eine ausdifferenziertere Charakterzeichnung somit obsolet macht. Nazis sind eine bequeme Wahl, wenn dem Bösen ein abscheuliches Gesicht verpasst werden soll, ohne die Abgründigkeit und seine Entstehung großartig ausformulieren zu müssen. Jeder weiß ja, was gemeint ist. Auch wenn durch diese Fokusverschiebung ein wenig verloren geht, dass es keiner Uniform bedurfte und bedarf, um Nazi zu sein.
Spiele ermöglichen es auch, die Geschichte nachzuspielen. Oder neu zu erfinden. Strategiespiele nutzen deshalb gern historische Schlachten, auch die des Zweiten Weltkriegs, als Inspiration für Setting und Missionsdesign und verlassen sich dabei zumeist auf die Geschichtskenntnisse seiner Spielerinnen und Spieler. Titel wie Panzer General, Company of Heroes oder Sudden Strike bieten Missionen, keine Informationen. Der Nationalsozialismus und der aus ihm entsprungene bewaffnete Konflikt werden als Spielwiese genutzt, als Schachbrett, komplett in schwarz und weiß gehalten. Und wer will, gewinnt mit dem Deutschen Reich doch noch den verloren geglaubten Krieg. Virtuelle Geschichtsklitterung ohne Bedeutung, weil mit dem Endsieg auch das Spiel endet.
Übrig bleiben Spiele mit Nazis, in denen diese einzig der Belustigung dienen. South Park mit seinen Nazi-Zombies und -Kühen, 10 Second Ninja mit Robot Hitler und Luftrausers, das sich in einer technokratisierten Ausführung der Ästhetik einer Riefelstahl-Produktion annähert, ohne dabei explizit zu werden. In South Park geht das Thema unter dem großen Haufen anderer Geschmacklosigkeiten fast unbemerkt unter, die Nazi-Roboter in 10 Second Ninja werden in der deutschen Fassung zu Robotern ohne politische Gesinnung und dem Spiel geht trotzdem nichts verloren. Man muss Nazis also per se als Witzfiguren verstehen, um ihren hiesigen Einsatz als humorvoll zu empfinden. Das propagandahafte Design von Luftrausers in all seiner Überdrehtheit nimmt man da noch am Ehesten hin, weil es der Spielmechanik angemessen erscheint. Das ändert dennoch nichts daran, dass ein solch kontextfreier und naiver Umgang mit dem Thema und seinen Implikationen so unbeholfen wie der junge Prinz Harry wirkt, der mit Swastika am Arm versuchte, die anderen Gäste einer Faschingsparty zu erheitern.
“Each interpretation of a cultural artefact is a reflection of not only the creator, but also of what the user cares about, what they find important and what shaped them. We wouldn’t dare to fault people for finding the atrocities of the Second World War important. It is important. We agree it’s important, and there are important lessons for us in what happened. We need to remember what happened, we need to commemorate the victims and we need to ensure nothing even remotely like it occurs ever again.” (Vlambeer)
Nationalsozialismus und Humor, das passt eben nur in besonderen Fällen. In Filmen wie Chaplins „Der große Diktator“ oder in „Das Leben ist schön“. Wenn das Lachen dabei hilft, das Grauen zu verarbeiten und es dieses nicht verbirgt. Auf einen billigen Schockeffekt reduziert verpufft eine solche Wirkung und durch den fehlenden Kontext der genannten Titel wirkt jedes Hakenkreuz und jede parodistisch gemeinte Allegorie plakativ und plump. Humor zu einem düsteren Hintergrund kann nur funktionieren, wenn man diesen nicht im Dunklen lässt, doch beschreitet man damit auch stets einen extrem schmalen Grat. Wer Harald Schmidt zu seinen Glanzzeiten erlebte, der konnte an den Publikumsreaktionen erkennen, wie schmal dieser Grat insbesondere hierzulande ist. Jede Anspielung wurde mit einem schamhaften „Hohoho“ quittiert, weil Schmidt in der Regel ein Auditorium vor sich hatte, das sich der Kollektivschuld jener Zeit bewusst war. Videospiele haben eine andere Zielgruppe. Eine jüngere, die sich fragt, was sie mit dem Scheiß ihrer Urgroßeltern denn am Hut hat. Eine Zielgruppe, die über NS-Witze laut und unbekümmert lachen kann, weil sie beim Spielen stets auf die Täter, doch nie auf die Opfer trifft. Weil sie es einfach nicht besser weiß.
Deutlich wird das, wenn man die Reaktionen auf das Aprilscherzvideo zweier Posterboys des deutschen Spielejournalismus betrachtet. In dem mit „Sieg Hain“ betitelten Machwerk parodieren Fabian Siegismund und David Hain anscheinend bereits parodierte Versionen von NS-Soldaten, wie man sie besonders aus US-amerikanischen Comedy-Formaten kennt. Authentisch uniformiert, mit realem Bildmaterial jener Zeit unterlegt, kommentieren sie in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch Kriegsspiele aus vermeintlicher Nazi-Sicht. Alles total LOL, irgendwie, ist ja Satire und Satire darf alles. Kann man also machen. Problematisch wird es nur, wenn Kuratoren und Journalisten eines Mediums, das, wie gezeigt, offenkundige Defizite im Umgang mit diesem sensiblen Thema aufweist, diese auch noch durch solche Beiträge unterfüttern. Bei einem Zielpublikum, das vorwiegend vor sich hin pubertiert und seinen Platz in der Gesellschaft noch längst nicht verortet hat, geschweige denn mit allen Details der deutschen Geschichte vertraut ist, trägt die fehlende Einrückung des historischen Hintergrundes zu einer Banalisierung des Themas bei. Wenn das verursachte Leid in der satirischen Aufarbeitung kein Gehör findet, geht die eigentliche Intention von Satire verloren. Und mit ihr das Bewusstsein für die Verantwortung eines angemessenen Umgangs mit diesem schweren Erbe.
Absicht möchte ich den beiden dabei nicht unterstellen. Höchstens einen erheblichen Mangel an Selbstreflexion. Absicht wird es erst dann, wenn sie, wie angedroht, aus einem fragwürdigen Aprilscherz ein dauerhaftes Format entwickeln. Bis schließlich Achtklässler auf den Schulhöfen ihre Sprüche nachplappern und sie auf der nächsten Gamescom mit lauten „Sieg Hain“-Rufen begrüßen, während Nebenstehende ob der phonetischen Ähnlichkeit des ursprünglichen Ausspruchs erschrocken zusammenzucken. Weil ihnen nicht zuletzt durch solch hirnlose Späße das Bewusstsein fehlt. Für das, was war und nicht zuletzt für das, was immer noch ist.
Wer auf YouTube überleben will, den schreckt ein solches Szenario offenbar nicht ab. Moral und Ethik bringen meist weniger Klicks, das ist auch mir klar. Von daher möchte ich das Video gar nicht großartig verurteilen, schließlich passiert darin nichts, was über eine gewisse Taktlosigkeit hinausginge. Kein wirklicher Grund, sich aufzuregen, auch wenn das ebenfalls meine initiale Reaktion war. Ich freue mich dann doch lieber darüber, dass Spiele mittlerweile vereinzelt von einer tradierten Kriegsdarstellung abkommen. Auch, dass auf dem nach wie vor kleinen Feld des deutschsprachigen Gamesjournalismus Siegismund und Hain nicht die einzigen zwei Klappspaten sind, die es beackern, macht es mir leichter, über solche Ausfälle hinwegzusehen. Und noch etwas gibt mir Hoffnung: Der Harlem Shake, Friday, Gangnam Style, sie alle sind Belege dafür, dass YouTube eine wahre Bastion des Vergessenwerdens ist. Wenn also in einigen Jahren die letzten Überlebenden des NS-Regimes die Totenruhe finden werden, wird die Erinnerung an „Sieg Hain“ längst verflogen sein. Wie auch hoffentlich die Zeit, in der man sich dazu genötigt sah, sich mit einem solchen Gebaren öffentlich auseinandersetzen zu müssen.