Noir Syndrome: Linearität trotz Prozedualität
Schade. Das ist das einzige Wort, was mir nach einer Stunde mit dem Detektiv-Spiel Noir Syndrome zu sagen bleibt. Das Vorhaben des Entwicklerteams Glass Knuckle, eine Art Pixel-Geschwisterchen von L.A. Noire zu erschaffen, die eine prozedural generierte Rumschnüffelgeschichte beinhaltet, ist in meinen Augen auf vielfältige Weise misslungen. Aber alles der Reihe nach.
In Noir Syndrome sollen die Spieler*Innen den Fall rund um den oder die Serienmörder*In Anubis aufklären. Richtig gelesen: Anubis, die Gottheit der Toten wie auch der Totenriten im alten Ägypten. Wer jedoch nun hofft, auf eine tiefsinnige Hintergrundgeschichte zu stoßen, irrt fatal. Diese Information ist absolut redundant und wird im Spiel – von ein paar kleinen Symbolen im Versteck der blutrünstigen Person abgesehen – nicht weiter aufgegriffen. Der Name hätte auch Teddy, Jackie oder M lauten können. Er dient einfach nur der Dekoration.
Nichtsdestotrotz soll Anubis innerhalb von 14 Tagen gefasst werden, weil er dann den Bürgermeister der Stadt eliminiert. So hetze ich als Detektiv von einem Ort zum anderen – jeder besuchte Ort ist dabei ein Spielzug -, spreche mit den sich dort gerade aufhaltenden Personen und suche die sonstige Kulisse auf Hinweise ab. So beschuldigt eine Person ohne jede Erklärung die nächste (“Martha Walker gives me the creeps.”, “I would keep my eye on Carl Moore if I were you.”, etc.) und ich finde zufälligerweise immer neue Gegenstände, die mit dem oder der gesuchten Person in Zusammenhang stehen sollen. Was aber jetzt beispielsweise die in der Hotelhalle gefundene Taschenuhr mit Anubis zu tun haben soll (und nicht etwa mit einem Hotelgast, der sie dort einfach vergessen hat), wird nicht geklärt. Und warum muss der Pistolenhalfter automatisch einer Person mit Polizei- oder Mafia-Hintergrund gehören – und nicht etwa einer Zivilistin? Noch absurder: Bleistifte gelten als Indiz für einen Kunst produzierenden Mörder. Schließlich nutzen bekannterweise nur Künstler und Poeten Bleistifte.
Abgesehen von dieser obskuren und klischeehaften Bedeutungsbelegung von Gegenständen krankt Noir Syndrome aber auch an seiner spielmechanischen Ebene. So wächst mit jeder noch so kleinen detektivischen Tätigkeit das Hungergefühl des Avatars, was zu dessen Tod führen kann, wenn er oder sie keine Nahrung zu sich nimmt. Dies führt dazu, dass man sich auch Geld für Essen beschaffen muss. Reichen die zufällig gefundenen Moneten dafür nicht aus, kann man sich entweder vom so genannten “Hunt Club” Kopfgeldaufträge beschaffen und unschuldige Bürger für ein kleines Entgelt ermorden (what the fuck?!) oder aber bei den Mafiosis klauen – und im selben Atemzug drei weitere Menschen ermorden. Je höher man den Schwierigkeitsgrad einstellt, desto notwendiger werden diese Handgriffe. Ich vermute, dass damit eine Form von ‘zwiegespaltenem Hauptfigur zwischen Gut und Böse’, wie eben aus dem Genre des Film noir bekannt, etabliert werden sollte; aber es ist einfach nur lächerlich. Noir Syndrome ist nichts weiter als ein überdimensionales, unlogisches Cluedo mit Hungergefühl.
Das ist schade, denn eigentlich war die Grundidee ja famos. Doch das Spiel strotzt so sehr von Redundanz und Bedeutungswillkür, dass es mir nach einer Stunde keinen Spaß mehr gemacht hat. Möglicherweise probiere ich es später nochmal, wenn ein paar neue Updates hinzukommen. Im jetzigen Stadium muss ich jedoch von einem Kauf abraten. Da gibt es bereits wesentlich stimmungsvollere und kurzweilige Versuche, ein solches Detektivspiel zu kreieren (zum Beispiel die Ludum Dare-Beiträge 6 Degrees of Sabotage und Ages of Irving).