Set Phasers to "Fun".
Schon beneidenswert, die Schulkinder in den USA. Zumindest in mancher Hinsicht. Denn wo man sich hierzulande als ABC-Schütze bis vor wenigen Jahren noch selbst darum kümmern musste, sich irgendwie in den Computerraum seiner Schule zu schmuggeln, um sich mittels 56k-Modem Zugang zum Internet zu verschaffen, gehört virtuelle Bildung in Nordamerika schon länger zum Alltag – und damit auch ein ganzer Haufen an Edutainment-Software. So kennt dort zum Beispiel jeder Jugendliche das schon 1971 veröffentlichte, oft aktualisierte, aber immer relativ spröde daherkommende Edugame The Oregon Trail, in dem man eine Gruppe Siedler, ganz nach ur-amerikanischer Tradition, auf ihrem Trek von der Ostküste über die Rocky Mountains nach Portland an der Westküste begleiten muss.
Neben Ressourcenmanagement, wie die Fliegen wegsterbenden Trekteilnehmern und jeder Menge Unwägbarkeiten auf dem Weg, bot das Spiel auch zahlreiche Mini-Games, beispielsweise in späteren Version die Option, sich zusätzliche Nahrung durch hektisches Mausklicken zu erjagen. Was damals noch gut und gern als Glorifizierung der mutigen Pioniere der Besiedlung des US-amerikanischen Westens durchging, dient heutzutage mehr der Belustigung – oder als Grundlage für neue Spielideen, die weniger mit Bildung als mit reiner Unterhaltung zu tun haben.
Dazu gehört auch die via Crowdfunding finanzierte Weltraum-Pilgerfahrt Orion Trail, deren Grundidee sich im Vergleich zum spirituellen Vorbild kaum verändert hat. Anstatt einen Trupp Siedler durch den Corn Belt und die Rockys zu bugsieren, schwinge ich mich als Captain des Raumschiffs Indestructible II an die Steuerkonsole, um mit meiner Crew den titelgebenden Orion Trail zu erforschen. Bevor ich die Triebwerke zünden kann, muss ich mich allerdings um die Ausstattung des Raumschiffs kümmern: Mit Credits wollen Crewmitglieder angeworben, Nahrung eingelagert und Treibstoff erworben werden. Zusätzlich kann ich drei Offiziere anheuern, die alle verschiedene Werte in Attributen wie Taktik oder Wissenschaft mitbringen. Selbige werden beim Kern des Spiels wichtig: den zufälligen Begegnungen, die jeden Spielzug zu absolvieren sind.
Hier äußert sich dann auch der abstruse Humor der Entwickler, der in etwa dem Resultat daraus entspricht, alle regulären Raumschiff-Enterprise-Folgen mit Variationen der legendären Tribbles-Episode zu ersetzen. So muss ich auf meinem Weg zum nächsten rettenden Außenposten beispielsweise intergalaktische Bienenschwärme bekämpfen, dem Analog-Kollektiv und seiner Armee aus fliegenden Toastern entkommen oder Probleme mit Dreiecksbeziehungen innerhalb der Crew lösen, indem ich mich selbst an eines der Crewmitglieder ranmache oder den männlichen Beteiligten verprügele. Die Ergebnisse werden vom Spiel zufällig ausgewürfelt, und je größer das mit der Auswahl korrespondierende Attribut, desto höher die Chance auf Erfolg und eine entsprechende Belohnung. Scheitere ich, verliere ich nicht nur Ressourcen, sondern schicke damit auch fast immer mehr oder weniger liebgewonnene Crewmitglieder über den Jordan. Wenn mal wieder ein Redshirt von Warp-Wieseln verspeist wird oder nach zu ausgiebigem Liebesspiel mit einem Tentakelmonster kollabiert, wird jedes Kapitänsauge feucht.
Seinen Charme transportiert das Spiel dabei nicht nur über die herrlich trockenen, mit Anspielungen an die Pop-Kultur aufgeladenen Beschreibungstexte, sondern auch durch die gelungen animierte Pixel-Art und den resultierenden Retro-Touch. Dennoch schafft es das Spiel nicht, mich länger als für den ersten Trek durch das Wilky-May-Sonnensystem zu fesseln, obwohl noch genügend Sonnensysteme zu durchqueren wären. Zu schnell nutzen sich die Begegnungen ab, das Sounddesign ist passend, aber äußerst spartanisch, die viel zu selten auftauchenden Außenmissionen präsentieren sich auch nur als Anreihung kleinerer Zufallsereignisse, und das Auswürfeln der Ergebnisse ist zwar prinzipiell fair, aber manchmal eben auch ziemlich frustrierend.
Damit gehört Orion Trail zwar nicht in angestaubte Computerräume in asbestverseuchten, gesichtslosen Beton-Schulkomplexen, aber auch längst nicht in jede Steam-Bibliothek. Die Schnittmenge aus Masochisten, Science-Fiction-Freunden und Oregon-Trail-Fans darf dafür umso beherzter zugreifen.