Pid

Pid

Es gibt gute und schlechte Puzzle-Plattformer – und dann sind da noch jene, die mich beim Anblick ihres Trailers vor Begeisterung quietschen lassen. Pid (“Planet in distress”) ist einer davon.

Der neueste Streich des schwedischen Studios Might and Delight, dessen Team schon an Mirror’s Edge, Killzone und Bionic Commando: Rearmed arbeitete, bietet auf PC, Mac, XBLA und PSN eine wunderschöne Mischung aus traditionellem Plattformer und innovativen Mechaniken, buntem Cartoon-Augenschmaus und der unermesslichen Bösartigkeit von Maschinen, die ganze Planeten unterwerfen. Aber seht selbst.

Gerade noch saß Kurt im intergalaktischen Linienbus Richtung Heimat, als ihn eine plötzliche Störung im Raum-Zeit-Kontinuum auf einem seltsamen Planeten aussetzt. Nachdem er die kleine blaue Kappe auf seinem achtjährigen Kopf zurechtrückt, erfährt er schnell, dass er sich in einer äußerst misslichen Lage befindet: Die Welt unter seinen Füßen wird nämlich ausschließlich von skurrilen Robotern bewohnt, die den seit Jahrhunderten ausfallenden öffentlichen Verkehrsmitteln nachweinen.

Von anderen Exemplaren der eigenen Art – geschweige denn einer warmen Mahlzeit – ist keine Spur, also macht sich Kurt auf der Suche nach einem Ausweg auf in die große Stadt. Seine Reise führt ihn unter anderem durch eine gruselige alte Villa, eine riesige Küche und den Kern des Planeten. Dank zuvorkommenden Wegweisenden ein Kinderspiel, wären da nicht die bösartigen (sprich: rot lackierten) Roboter, die seit einiger Zeit auf dem seltsamen Maschinenplaneten ihr Unwesen treiben, eine wahrscheinliche Ursache für verspäteten Weltraumverkehr darstellen und sich von Kurts Anwesenheit alles andere als begeistert zeigen.

Um sich bei einer Vielzahl erfolgreicher Indie-Plattformer der letzten Jahre einzureihen, gibt Pid seinem Protagonisten sehr früh eine ungewöhnliche Mechanik mit auf den Weg, die ihm die Reise zur Hauptstadt der Blechschädel erheblich erleichtert. Eine geheimnisvolle Sphäre, die er aus einem bemitleidenswert bewachten Roboterbunker stibitzt, verleiht ihm erstens hübsch leuchtende Hände und zweitens die Fähigkeit, sich den Gesetzen der Schwerkraft zu widersetzen. Nach Kontakt des Lichtballs mit Boden, Wand oder Decke erzeugt dieser einen Traktorstrahl, in dem sich Gegenstände, Gegner und Kurt selbst transportieren lassen. Je nach Situation können so Schalter betätigt, unliebsame Robo-Ganoven in Stacheln gelenkt und Abgründe überwunden werden.

Pid ist pure Plattformer-Zuckerwatte. Von der Pastell-Farbgebung bis zu den sympathischen Charakteren, die allesamt einem Pixar-Film entlaufen sein könnten, wird man in der charmant inszenierten Welt stetig von Niedlichkeit umgarnt. Jedes Element des Spiels strahlt kindliche Freude aus, seine Geschichte wird wie ein Märchen erzählt und steckt voller witziger Momente. Zuckerwatte, köstliche Zuckerwatte, die genüsslich und in so rauen Mengen verschlungen wird, dass dem einen oder anderen auf lange Sicht ganz sicher übel wird.

So süß sich der pummelige Protagonist mit seinen Stummelbeinchen auch fortbewegt, erweist sich seine (vollständig über die Tastatur ablaufende) Steuerung an Stellen, die sich auf mehr als das bloße Hüpfen von Plattform zu Plattform belaufen, als verhältnismäßig träge. Zu lange Bremswege und zu unausgeglichene Sprunghöhen zeigen an unnötigen Stellen, dass sich der wahnsinnige Perfektionismus der Macher eines Super Meat Boy oder They Bleed Pixels durchaus lohnt. Dabei will Pid gar kein “unfairer” Plattformer sein.

In jedem Level-Abschnitt, der meist aus zwei oder drei aneinandergereihten Puzzles besteht, wird der Spieler an die Hand genommen, erfährt auf spielerische Art und Weise, welcher Weg bei welcher Herausforderung ans Ziel führt und gleitet sanft in die nächste Zone über. In kleinen Häppchen wird simples Jump’n’Run nach und nach mit verschiedenen Mechaniken gewürzt, die am Ende eine prächtige Mischung abgeben, für erfahrenen Spieler insgesamt aber etwas zu langsam aufeinander aufbauen. Wie in Portal lassen sich Probleme durch einfaches Ausprobieren lösen. Während man sich größtenteils sicher durch die weiß gekachelten Flure der Aperture Science-Labore knobelt, sind jene in Pid allerdings großzügiger mit tödlichen Fallen bestückt.

Aberwitzige und großartig in Szene gesetzte Bosskämpfe – beispielsweise gegen einen riesigen Butler oder einen Heißluftballon mit Revolver – bieten an den richtigen Stellen Abwechslung vom regulären Geschehen, treiben den Schwierigkeitsgrad im Verhältnis zu den sehr ruhig und mit viel Geduld lösbaren Puzzles aber brutal in die Höhe. Nach einem Dutzend gescheiterter Versuche, eine Punktlandung auf die Schwachstelle eines Gegners zu meistern, geht es dann zurück ins anspruchslosere, langsame Spielgeschehen mit noch langsamer steigender Lernkurve. Schade.

Nimmt man das Wechselbad zwischen berauschenden Passagen und ernüchternden Überraschungen einmal in Kauf, besteht Pid glücklicherweise aus genug Qualitätsmaterial, um an dieser Stelle Erwähnung zu finden. Auch wenn mich Character-Design und Art-Direktion vollkommen überzeugen, ist es in erster Linie der großartige Soundtrack von Retro Family, dem ich meine Begeisterung aussprechen muss. Jeder Spielabschnitt klingt völlig neu, und doch macht sich in jedem einzelnen trotz aller Kälte des Roboterplaneten ein warmes Gefühl der Kindlichkeit und Verspieltheit breit.

Wieder beweist das Game-Design der skandinavischen Schule, dass es keine abstrusen Experimente, sondern lediglich die Iteration eines altbewährten Genres mit Innovation im Detail braucht, um eine spaßige Spielerfahrung zu bieten. Neben Rochard, das selbst mit Schwerkraft-Puzzles und cartooniger 3D-Grafik daherkam, erkenne ich in Pid vor allem Oddworld, den Liebling meiner Kindheit, in dem auf ähnliche Weise Puzzles in die Umgebung verwoben wurden, und das trotz ähnlich linearer Spielführung durch Tunnel und entgegen aller Frustration interessant genug blieb, damit ich mich damit beschäftigte.

Pid macht unglaubliches vieles genau richtig, und so ist es die kleine Ansammlung missglückter Details, die umso mehr auffällt und dem fantastischen Erlebnis einen bitteren Beigeschmack verleiht. Sicher wäre ein bloße Sekundenbruchteile andauernder Respawn angenehmer als die langsame Lösung, die in Pid benutzt wird, von einer Quicksave-Funktion ganz zu schweigen. Sicher wäre mir eine bis in die Tausendstelsekunde ausbalancierte Steuerung wesentlich lieber. Ehrlich gesagt frage ich mich sogar, ob sich die Entwickler mancherorts zu sehr vom hübschen Erscheinungsbild ihres Spiels abgelenkt waren, um sich ums Wesentliche zu kümmern.

Und doch ist Pid für mich jeden Cent wert. Seit LittleBigPlanet kam mir kaum ein Spiel unter, das so sehr vor unschuldiger, kindlicher Freude überquoll. Eine reichhaltige Hauptmahlzeit ist es nicht, aber zumindest eine kleine, feine Süßigkeit zwischen dem schwer verdaulichen Rest, der gerade auf unseren Tellern weilt.

Pid ist für ca. 10 Euro über Steam und GOG (PC / Mac), XBLA und PSN sowie als Deluxe-Variante für ca. 16 Euro direkt beim Entwickler inklusive Steam-Code und DRM-freier Version, Soundtrack, Konzept-Art und vieler weiterer Extras erhältlich.