Polymorphous Perversity
In den vergangenen sieben Stunden habe ich einen Mann dafür bezahlt, von einem Pferd in den Arsch gefickt zu werden, ich habe einen Transvestiten gefistet und Hinterwäldlern geholfen, Inzucht zu betreiben. Ich habe mich an Bäumen vergangen und sexuell ausgehungerte Mütter befriedigt, ich habe mich in Lederkluft vollpinkeln lassen und selbst ungehörige Jungens genotzüchtigt. Ich habe 45 neue Namen gelernt für Menschen mit Vorlieben, die ich lieber nie erfahren hätte, ich habe gebumst, geblasen, gevögelt und Liebe gemacht mit Krüppeln, Models und Weisen allerlei Geschlechts, ich bin an den Rand der physischen und psychischen totalen Erschöpfung geraten, und habe weiter gemacht, bis zum bitteren Ende. Und nun, da alles vorbei ist, empfinde ich – nichts. Das ist die bittere Pointe von Polymorphous Perversity.
Doch von Anfang an. Je nachdem wie schief man den Kopf legt, kann man in Polymorphous Perversity mindestens zwei Dinge erkennen: Einen in RPGMaker 2003 gefertigten schlüpfrigen Witz, der auf dem Weg zwischen Männerumkleidekabine und Psychoanalyse-Proseminar beim Wichsen auf halber Treppe kollabiert ist. Und das jüngste Experiment des brasilianischen Psychologen, Therapeuten und Professors Nicolau Chaud, der zuvor bereits mit Marvel Brothel und Dungeoneer: Beautiful Escape versuchte, ausgerechnet mit einem JRPG-Baukasten Licht in die finstersten Ecken von Psyche und Eros zu bringen.
In seinen besten Momenten ist Polymorphous Perversity ein Vexierbild, in dem beide Perspektiven hin- und herkippen und der Anblick einer grotesken Abartigkeit ein Lachen hervorzwingt, das gleich wieder im Hals stecken bleibt. In seinen schlechtesten Momenten hält Polymorphous Perversity weder der einen noch der anderen Sichtweise stand, und Momente intendierter Ernsthaftigkeit ersticken in Schwaden von Axe und Testosteron.
“This is a pretty cool place. I was a little overwhelmed at first, all the sex still makes me a little crazy.”
Chauds Experimentierwille entspringt einer einfachen Erkenntnis: Computerspiele haben Sexualität bislang meistens ignoriert, allenfalls noch gezeigt, aber kaum je wirklich behandelt. In einem Anfall von Überkompensation jagt Chaud deswegen alles durch den RPGMaker, was der unendlich dehnbare Begriff “Sex” aushalten kann – im Namen Siegmund Freuds. Der Titel des Spiels bezieht sich auf eine seiner These, wonach das Kind, dieses scheinheilige Schlitzohr, es faustdick in der Hose hat: Dem Nachwuchs fehlt nämlich das Gespür für die Dämme und Wälle, hinter denen die Erwachsenenwelt das sozial und sexuell Nichtakzeptable verschanzt. Insofern kommen wir, so der Buschdoktor aus Wien, alle vielfältig pervers veranlagt in diese Welt, und lernen später, so wir denn brav sind, unsere Triebe, unsere Paraphilien und Neurosen unter Kontrolle zu halten.
Chauds Polymorphous Perversity ist ein einziges Was-Wäre-Wenn: Das Spiel wirft seinen Protagonisten in eine gänzlich (und gänzlich bewusst) männlichen Fantasien entsprungene Welt, in der Palmen Mösen tragen, Plastik-Porno-Pop über den Wipfeln schwebt und niemand über die reine Versautheit kindlicher Sexualität hinausgekommen ist. Zwischen normal und pervers, Mann und Frau, Mensch und Tier mag man hier nicht so richtig unterscheiden; gefickt wird, was bei drei nicht seine Löcher verschlossen hat – und das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Der Protagonist sieht sich nämlich von einer unkontrollierbaren Lust verfolgt, die befriedigt werden will, wenn nicht sein Penis explodieren soll. (Kein Euphemismus für den Cumshot, sondern BLUTIGE REALITÄT in dieser Welt.) Und da dies auf Dauer kaum auszuhalten ist, macht sich der Spieler auf die Suche nach einem Weg zurück in die Normalität; ein Weg, der an tausend Abartigkeiten vorbei hin zu einer entgeisterten Erkenntnis führt. So weit Chauds hochtrabende Ambitionen.
“If you are here, there are walls inside you that need to be broken. It is a quest for liberation.”
Der unter der Gürtellinie liegende Humor ist nicht an sich ein Störfaktor dieser Ideen, sondern von Anfang an einkalkuliert: Schließlich ist die Idee, diese schrankenlose Welt ausgerechnet mit den beschränkten Mitteln des RPGMakers erschaffen zu wollen, reichlich grotesk. Chaud nimmt dies als Steilpass dafür, auch die Welt so grotesk wie möglich zu zeichnen; aber er gewinnt der Engine auch andere Stärken ab. So ist Polymorphous Perversity zwar entschieden porno, aber nur im weitesten Sinne graphisch. In einem konzeptuellen Kunstgriff über die Grenzen der Fiktion hinaus forderte Chaud die Leser seines Blogs auf, ihm versaute Fotos zu schicken, damit er diese neben anderen Momentaufnahmen der Untiefen des Internets ins Spiel einbauen kann. Polymorphous Perversity bietet denn auch mehr Weichteile als ein Austerndiner auf Chatroulette. Aber da die Auflösung der RPGMaker-Engine grob der japanischer Genitalienschnappschüsse entspricht, bleibt doch vieles im Dunkeln des eigenen Vorstellungsvermögens – was man je nach dessen Beschaffenheit verstörend oder erlösend finden wird.
Das Bedauerliche ist letztlich, dass Polymorphous Perversity letztlich nicht abstossend ist wegen seiner Thematik, oder wegen der Entgleisungen, in denen Chaud seine neutrale Aufgeschlossenheit gegenüber allen Spielarten des Erregenden verletzt und unangenehm wertend wird. Als Konzept bleibt Polymorphous Perversity bis es zum Schluss- und Höhepunkt kommt, faszinierend. Es stellt weniger Fragen, als vieles in Frage, und auch wenn die Antworten, die es darauf gibt, nicht gänzlich klar scheinen, so hat es doch eine klare Linie: Eine Linie, die von der Durchkreuzung aller Selbstverständlichkeiten konsequent weiter gezogen wird, bis sie neue Positionen zeichnet; und letztlich sind diese Positionen provozierender als all die widerlich-erregenden Sexpraktiken, die hier abgebildet werden. Polymorphous Perversity provoziert also durchaus gelegentlich Gedanken, und nicht nur Gelächter und Gestöhne.
“That is the worst feeling. That I’m dead while still living. I think I need the rush, the thrill, but I may be doing it wrong.”
Doch all das ist Kopfsache, und der Kopf ist nun mal nur in Ausnahmefällen das wichtigste Geschlechtsorgan. Unter all dem Theorie- und Konzeptgewichse findet sich letztlich auch… ein Spiel. Und die Reaktionen darauf sind durch und durch körperlich: Zermürbend. Ermüdend. Frustrierend. Chauds frühere Experimente, allen voran Dungeoneer: Beautiful Escape, waren zwar nicht weniger verkopft, aber sie waren kurz, Vignetten, schnappende Stösse auf das Empfindungsvermögen des Spielers. Hier dagegen hat er sich gehen lassen. Auf Ablehnung stößt Polymorphous Perversity letztlich als Spiel, das dieses Experiment nun einmal auch ist: Ein Spiel, das unendlich zäh und erstaunlich konventionell bleibt. Als wäre die Kompaktheit von Chauds früheren Spielen nicht genug, um die Gesamtheit der Perversitäten dieser Welt abzubilden, wurde Polymorphous Perversity in einer fragwürdigen Referenz an die JRPG-Tradition aufgebläht: Thematisch deplatziert wirkende Minispiele erweisen sich als völlig nutzlos, Nebenquests sind öfters nebulös als stimmig-bizarr, und die Kämpfe, die hier als Wettficken inszeniert sind, laufen hinaus auf reines Trial&Error, das nicht einmal dem Liebesleben eines 14-Jährigen mit einer Freikarte für den Puff gerecht würde. Quasi die handgestrickten langen Unterhosen zur Lust am Spielen aber sind absolut undurchsichtige und überflüssige Puzzles und ein willkürlicher und immer wieder in Sackgassen führende Schwierigkeitsgrad, der nur mit schierem Glück und massiver Willenskraft über-wunden werden kann.
“Love? No such thing. Just a repressed way of dealing with animal sexual urges..”
Die traurige Wahrheit von Polymorphous Perversity ist, dass es ohne seinen österreichischen Theorieunterbau weitgehend vollkommen freud-los wäre. Und so verfehlt es ist, sich mit der Erwartung von „Spaß“ auf ein Nicolau Chaud-Experiment einzulassen, so verfehlt war es von ihm, sein Experiment so weit zum Spiel zu machen. Als Spiel aber scheitert Polymorphous Perversity: Es langweilt, trotz all seiner exotischen Absonderlichkeiten, und es frustriert. Im Frust aber zeigt sich das Spiel entblößt, reduziert auf reine Mechanismen, deren Regelung nichts als Arbeit bedeutet, und einem daneben liegenden Stapel abgestreifter Sexattribute, die unter dem stumpfen Blick des erschöpften und enttäuschen Spielers plötzlich billig auszusehen beginnen. Eine Metapher, die durchaus nicht unpassend ist für das Bild von Sex und Liebe, das Polymorphous Perversity zeichnet; aber als Pointe ist diese kühle Distanz nichtsdestoweniger nichts anderes als: unbefriedigend.
“Abstinence is the key. SEX WILL RUIN EVERYTHING.”