Random Encounters: Sexuelle Gewalt und “Sexiness”

Sexy?

Stattet man dieser Tage der Onlineplattform Indiegala einen Besuch ab, sticht neben dem obligatorischen Tagesangebot und einer Reihe von Spielebundles mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten vor allem eines ins Auge: Ein feinsäuberlich geschnürtes Paket mit fünf Spielen, das seinem Namen zufolge “Sexy Girls” enthält. Der Blick auf die in einer Reihe präsentierten Spielecover allerdings macht stutzig. Nicht zuvorderst wegen der zum Teil kindlichen Figuren, die sich darauf barbusig präsentieren. Sondern wegen eines spezifischen Titels: “Hypno-training my Mother and Sister”.

Achtung: Der nachfolgende Text enthält zum Teil drastische Schilderungen von sexueller Gewalt.

Über dieser Zeile zu sehen ist eine nackte und broßbusige Frau, die von einem jünger aussehenden und vollbekleideten Mädchen umarmt wird. Der Kontext ist nicht direkt klar, die Situation hingegen schon, denn beide sind über und über bedeckt mit Sperma, blicken mit halb geschlossenen Augen und aus den Mündern heraushängenden Zungen verschämt von der Kamera weg, die ihre Körper frontal einfängt. Bild und Titel lassen wenig Zweifel offen, um was es in diesem Spiel geht.

Zu Beginn erscheint ein Monolog des Protagonisten Minoru, der seinen kürzlich abgeschlossenen Wechsel an eine Hochschule und seine familiären Probleme reflektiert. Gelangweilt vom Studium, zieht sich der junge Mann zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurück und wird dafür von seiner Mutter und seiner Schwester regelmäßig zurechtgewiesen, denn beide wünschen sich mehr Engagement von ihm und sehen die zunehmend im Internet statt im Hörsaal verbrachte Zeit kritisch. Insbesondere die Einwände der jüngeren Schwester, die ihre Abschätzigkeit gegenüber Minoru deutlich zu Tage treten lassen, stoßen ihm sauer auf und wecken eine Wut, die schließlich in Hass umschlägt.

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Der ständigen Erinnerung an seine Pflichten und der untergeordneten Rolle in der Familie überdrüssig, entdeckt er schließlich eine dubiose Webseite, die ihm seine Probleme zu nehmen verspricht – durch Hypnose. Jedoch ist es nicht Minoru, der sich hypnotisieren lässt; vielmehr nutzt er selbst ohne zu zögern die online verfügbare Anleitung, um sich seine Mutter und Schwester gefügig zu machen. Und sie anschließend, über eine Zeitspanne mehrerer Monate, kontinuierlich gegen ihren Willen sexuell auszubeuten. Besonders perfide daran ist, dass die Hypnose den mentalen Zustand der Opfer nur punktuell beeinflusst und sie zwar Befehle ohne Zögern befolgen müssen, ihren persönlichen Widerstand gegen die herbeigeführten Handlungen aber sehr wohl spüren. Mit vollem Bewusstsein nehmen sie also den Missbrauch durch ihren Anverwandten wahr, haben jedoch keine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

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So oft ich bereits im Rahmen meiner Recherche mit sexueller Gewalt, Unterdrückung und schierer Bösartigkeit konfrontiert wurde, lässt sich festhalten, dass dies das unangenehmste Spielerlebnis war, dem ich mich bislang ausgesetzt sah. Und das nicht nur aufgrund des forcierten Geschlechtsverkehrs und des Inzests, sondern auch ob der schieren Skrupellosigkeit des Protagonisten. Minoru ist ein Charakter mit eindeutig psychopathischen Zügen – ein junger Mensch, der sich selbst von der Gesellschaft ausgrenzt und seine engsten Verwandten für die damit verbundenen Konsequenzen büßen lässt. Andauernd zieht er sie für sein persönliches Leid zur Verantwortung, redet damit gar die brutale Entjungferung seiner jüngeren Schwester klein. Minoru ist ein Monster, wie seine eigene Mutter schließlich festhält. Und doch dient er hier als Identifikationsfigur, sieht man die Geschehnisse aus seiner Sicht.

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Wider Erwarten ist er damit nicht allein in der zweifelhaften Heldenriege der fünf Visual Novels, die im “Sexy Girls Bundle” enthalten sind. In dem zunächst quirlig-fröhlich erscheinenden “The Great Invention of the Sexy Era” vergewaltigt ein junger Lehrer sämtliche Mädchen und Frauen an seiner Schule, inklusive der Direktorin, weil er von letzterer nicht zum Vorstand des Wissenschaftsclubs ernannt wird. Vince, der sich im Spiel “Conquering the Queen” einem Königreich als Söldner anbietet, ergötzt sich an seiner eigenen Grausamkeit, während er gleichermaßen skrupellos Männer abschlachtet und Frauen brutal vergewaltigt. Lediglich in einem der Titel, “Cosplay Alien”, findet Sex ausschließlich einvernehmlich statt, allerdings zwischen dem Protagonisten und sämtlichen auftauchenden Frauen, darunter auch eine Mutter und ihre Tochter. Und in “Magical Teacher: My Teacher’s a Mage” scheint das Verhältnis einmalig umgedreht zu werden, als die männliche und sexuell völlig unerfahrene Hauptfigur abrupt von der eigenen Tante entjungfert wird, um anschließend wiederum deren Tochter von ihrem Jungfernhäutchen zu befreien und mit sämtlichen erwachsenen Frauen im Haushalt zu verkehren.

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Kazuya, dessen Alter nicht genannt wird, darf als hochgradig naiv bezeichnet werden, weiß er doch nicht einmal um die Fähigkeit seines Genitals, Sperma zu produzieren. Dementsprechend ist das Vorgehen seiner Tante, die dem angesichts der Situation sprachlosen Jungen den Sex regelrecht aufdrängt, als Missbrauch zu deuten. Hier indes wird dieser Prozess als ein sogleich lustvoller beschrieben. Kazuya weiß zwar zunächst nicht, wie ihm geschieht, äußert jedoch in seinen gedanklichen Monologen auch keinerlei Widerspruch, sondern findet schnell Gefallen an dem Geschehen. Ganz anders die weiblichen Figuren aller übrigen vier Spiele, die zum Teil brutal überwältig, entjungfert, anal und vaginal vergewaltigt und dabei maximal gedemütigt werden – aber, das eint all diese Titel, den “Sex” letztlich doch irgendwie genießen.

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Gerechtfertigt wird diese Deutung stets mit den Körperreaktionen, mit dem – im Falle überhaupt vorhandenen Bewusstseins – mangelnden Widerstand und der Tatsache, dass die zunächst angstgelähmten Frauen schließlich auch ihre Hüften bewegen. Dass nichts davon dem Tatbestand einer Vergewaltigung widerspricht, da der Körper durchaus unabhängig vom Geist reagieren kann und die Opfer sich – nach andauerndem betteln, flehen, weinen – schließlich ergeben, um Schlimmerem zu entgehen, wird nicht reflektiert. Stattdessen suggeriert die gesamte Inszenierung, dass man Frauen lediglich ausdauernd genug zum Sex zwingen müsse, um ihnen ihre eigenen Bedürfnisse zu eröffnen. Damit wird sexueller Missbrauch erotisiert und sogar als sinnvoll dargestellt. Getreu dem Motto eines der Protagonisten: “All’s well that ends well.” Auch wenn er damit vornehmlich sein Glück beschreibt, nie mit den Konsequenzen des unmoralischen Handelns konfrontiert zu werden.

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Grundsätzlich ist die Existenz solcher Spiele insofern zu akzeptieren, als dass sie Ventile für sexuelle Sehnsüchte sein können, die sich im persönlichen Alltag nicht ausleben lassen. Sie bieten die Möglichkeit, eine zumindest eingeschränkte Triebbefriedigung zu betreiben, ohne damit unmittelbar einem anderen Menschen zu schaden. Schwierig allerdings wird es, wenn solche Titel ihre angestammte Nische verlassen und in die öffentliche Wahrnehmung getragen werden – wie jetzt im Falle des Indiegala-Bundles. Brutaler Sex und sexuelle Gewalt sind in jüngster Vergangenheit, nicht zuletzt durch die “Shades of Grey”-Reihe, zunehmend in der Populärkultur und im Alltag vieler Menschen aufgetaucht. Das ist solange unproblematisch, wie diese Inhalte kritisch reflektiert und nicht kopiert werden. Gerade die brutale Unterdrückung Anastasia Steeles durch den naiv idealisierten Christian Grey wurde aber vielfach als authentische Darstellung von BDSM fehlgedeutet und nachgeahmt.

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Und auch wenn kein einzelnes Hentaispiel einen Menschen dazu bringen wird, sexuell gewalttätig zu agieren, birgt die ständige Präsenz solcher Entwürfe in den Medien die Gefahr einer Normalisierung und Ästhetisierung in sich, die auch durch die Werbeindustrie in den letzten Jahren massiv vorangetrieben wurde. Ist man diesen spezifischen Entwürfen von “Sexualität” nur lange genug ausgesetzt, wird man diese zumindest als nicht völlig abwegig oder, im Falle mangelnder Gegengewichte während des persönlichen Sozialisierungsprozesses, sogar als erstrebenswert empfinden. Letztlich besteht also doch das Risiko, dass Menschen zu schaden kommen. Denn die oben beschriebenen sind keine Sex-, sondern Gewaltakte und massive Grenzüberschreitungen, welche die Würde der übrigen beteiligten Personen missachten oder bewusst unterminieren. Es geht lediglich um Macht, und das räumen zumindest drei der fünf genannten Protagonisten auch unverhohlen ein.

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Aus diesem Grunde ist auch die Benennung des vorliegenden Bundles kritisch zu betrachten. Zwar wird unter “sexiness” gemeinhin etwas Konsumierbares bzw. die persönliche Interpretation der Betrachterin oder des Betrachters verstanden, deswegen ist die Anwendung des Begriffs hier nicht sachlich falsch. Nutzt man dieses Wort aber im Kontext mit Vergewaltigungen, landet man schnell wieder bei ästhetischer Verharmlosung und vor allem bei dem Gedanken, vergewaltigten Frauen sei mindestens eine Teilschuld zuzuschreiben, weil sie durch ihre Kleiderwahl oder ihr Gebaren sexuelle Verfügbarkeit suggeriert hätten.

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Zudem werden in vier der fünf Spiele Partnerinnen bzw. Opfer vorgestellt, die extrem jung erscheinen und in einigen Fällen explizit minderjährig sind. So ist Natsuki, deren Tante in “Magical Teacher” den Protagonisten entjungfert, frei von jeglicher Schambehaarung, wie explizit festgehalten wird. Sie weiß nicht, was ein Penis ist, agiert extrem naiv und unschuldig, sieht aus wie ein kleines Kind. Ähnliches gilt für einen überwiegenden Teil der Schülerinnen aus “The Great Invention of the Sexy Era”, die allesamt vom Hauptcharakter entjungfert und dabei bewusst kindlich inszeniert werden. Doch bei der bloßen Andeutung bleibt es diesmal nicht, da der Protagonist im späteren Spielverlauf eine Erfindung vorstellt, mittels derer er die Mädchen weiter verjüngen kann, um die unbedarften Kinder anschließend dazu zu überreden, an Bananen oder klebrigem Stieleis zu lutschen und so seine sexuellen Fantasien in die Tat umzusetzen. Wohlwissend um die Gefahr, mit der potenziellen Vermarktung von Kinderpornografie eine Straftat zu begehen, hat der Publisher MangaGamer zwar jedem Titelbildschirm einen Hinweistext vorangestellt, demzufolge alle Charaktere in den Spielen volljährig sind; glaubwürdig hingegen ist das nicht. Und in obigen Fällen wird diese Behauptung spielintern schlicht widerlegt.

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Die einzige Hürde, durch die Interessenten von diesen Spielen getrennt werden, ist Geld. Eine Alterskontrolle gibt es weder bei Indiegala noch bei MangaGamer.com – der Onlineplattform, auf der die Titel nach dem Kauf heruntergeladen werden können. Beim erstmaligen Aufrufen der beiden Webseiten wird lediglich erfragt, ob man bereits 18 Jahre alt oder älter sei, was durch nur einen Klick bestätigt werden muss. Natürlich können auch etwas ausgeklügeltere Systeme – etwa die Abfrage einer Ausweiskopie – online leicht umgangen werden. Dass man sich aber gar nicht erst die Mühe gemacht hat, den Zugang der zum Teil drastischen Inhalte so zu erschweren, stimmt nachdenklich.

So wird spielbares Material, das die sexuelle Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen und bisweilen minderjährigen Mädchen anregend inszeniert, auf einer öffentlichen Vertriebsplattform als “erotisches” Gegengewicht zu Adventure- und Puzzle-Spielen angepriesen. Dadurch verstärkt sich der Eindruck, die hier dargestellten Gewalttaten seien im Prinzip harmlos, nur noch weiter. Und das ist ganz und gar nicht sexy.


Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels haben mich weder von Indiegala.com noch MangaGamer.com Stellungnahmen zu meiner kurzfristigen Anfrage erreicht. Sollten später noch Antworten eintreffen, werde ich gesondert darauf hinweisen.