Review: Nidhogg
Sie haben Nidhogg gespielt — und wir waren nicht da. Messhofs langerwartetes Degenduell hat sich über eins definiert: Seine Unerreichbarkeit. Gespielt wurde es auf hippen Parties in Brooklyn, auf Indie-Festivals in England, in Wohnzimmern von Indie-Entwicklern und ihren Freunden. Nun ist es auf Steam. Und jetzt?
Je nach dem wen man fragt (und ich habe wirklich niemanden gefragt), lässt sich Nidhogg als blutiges Tauziehen mit Anfassen, kompetetives Prince of Persia oder Samurai Gunns Großvater beschreiben. Zwei Spieler duellieren als einfarbige Fechter in zweidimensionalen Arenen vor Hintergründen irgendwo zwischen Glitch-Art und abstraktem Expressionismus. Um einen tödlichen Treffer am Gegner zu landen, muss der eigene Degen nach unten oder oben bewegt werden, um unter oder über dem Degen des Gegners vorbeizustoßen. Hinzu kommen Tritte, Sprünge, Sprungtritte, Degenwürfe und andere Tricks. Wer seinen Gegner besiegt, darf vorrücken, während der Widersacher versucht, wieder zurückzuschlagen, um schließlich im letzten Bildschirm als Sieger von einem pinken Riesenwurm gefressen zu werden. Dank Messhofs geschmeidiger Animationen wirken meine Duelle zu jeder Zeit elegant, brutal, schön — egal, ob ich vorsichtig taktiere oder voller Panik mit meinem Degen wedele.
Und was für Duelle das sind! Schlag folgt auf Schlag, der sichere Sieg wird in der letzten Sekunde verwehrt, weil der Gegenspieler unter dem eigenen Degen rollt und die eigene Spielfigur mit bloßen Fäusten erlegt. Wallende Kornfelder verdecken die Sicht, während beide Spieler blind aufeinander einhauen. Und dann blocke ich einen Schlag und lasse mich einen Moment von einem kleinen Pixelhasen ablenken, bevor mich der Gegner aufspießt. Das Layout von Nidhoggs vier Leveln ist perfekt auf unterschiedliche Kampfsituationen abgestimmt. Mal gibt es Fluchtwege für schnelle Spieler, mal sind Degenwürfe wegen zu niedriger Decken unmöglich. Immer aber ist das Gefühl da, dass nicht nur Reaktionsschnelligkeit über den Sieg entscheidet, sondern die Fähigkeit, die Bewegungen des Gegners vorrauszusehen. Wenn das gelingt, dann fühlt sich jeder erkämpfte Schritt in Nidhogg wie der größte Erfolg an. Ein größeres Lob kann ich einem kompetetiven Duellspiel nicht geben.
Interessanter als Nidhogg, das Spiel, ist aber Nidhogg, die Idee des unerreichbaren Spiels. Nidhogg hat gezeigt, wie sehr das Ignorieren von traditionellen Vertriebswegen und Methoden aus einem einfachen (wenn auch großartigem) Duell-Spiel einen Mythos machen kann. Preise bei IGF, Indiecade, Fantastic Arcade und Eurogamer Expo zementieren den Ruf. Wir sind gewohnt, alles immer überall haben zu können. Am liebsten sofort. Nur Nidhogg nicht. Nidhogg konnte nur haben, wer die richtigen Leute kannte, wer am richtigen Ort zur richtigen Zeit war. Und dann auch nur für einen Abend. Dass das fast vier Jahre lang möglich war, grenzt an ein kleines Wunder. Dass Messhof absichtlich ein solches Modell gewählt hat, ist zu bezweifeln. Von finanziellem Vorteil kann ein solches Modell für Spieleentwickler nicht sein. Begeisterte Partygänger bezahlen schließlich nur selten die Miete — sie machen aus Spielen wie Nidhogg, Johann Sebastian Joust, Samurai Gunn oder Videoball aber Ereignisse. Nur selten spreche ich begeistert von der letzten Runde Battlefield, von Nidhogg auf der Couch mit Freunden werde ich aber auch Wochen nach dem eigentlichen Spielen schwärmen.
Wie fühlt es sich also an, Nidhogg zu spielen, jetzt? Seltsam. Nahezu falsch. Aus der Naturgewalt Nidhogg ist einer von meinen über 400 Steam-Titeln geworden. Ich kann nicht mit leuchtender Verehrung darüber sprechen, sondern muss Dinge erwähnen, wie das umständliche Online-Matchmaking, das eine Einladung aus dem Spiel heraus erfordert, die Annahme der Einladung aber nur über die Steam-Freundesliste zulässt. Ich muss über gelegentliche Latenz sprechen, die Partien durch verzögerte Eingaben unspielbar machen. Muss den Offline-Übungsmodus lobend erwähnen und den großartigen Soundtrack. Und ich fühle mich furchtbar dabei.
Diese Feature-Auflistungen hat Nidhogg nicht verdient. Es verdient leuchtende Augen, zitternde Finger, schlaflose Nächte. Und ein bisschen was davon bleibt, immer noch. Nachdem mein Gegenspieler mich in Grund und Boden gefochten hat, schreibt er im rudimentären Chat: “Das war unglaublich! So ein knappes Spiel!” und alles, was ich möchte, ist noch eine weitere Rude. Dann denke ich mir: So müssen die sich damals gefühlt haben in Brooklyn, auf den Festivals und in den Wohnzimmern.