Roadlike: The Road Not Taken

Road Not Taken

Wenn der Winter kommt, muss ich die Kinder retten. Das ist meine Aufgabe als Waldläufer in The Road Not Taken. Und dann stehe ich mitten in einem Schneesturm auf einer Lichtung, vor mir zwei Kinder umringt von hungrigen Wölfen. Das Motto des Entwicklerstudios Spry Fox ist “making happiness”. Ich lasse die Kinder im Wald zurück. Ich bin nicht happy.

Ich dachte The Road Not Taken wäre ein niedliches Puzzle-Spiel. Warum auch nicht? Schließlich ist es das Nachfolgeprojekt für Triple Town, ein sehr erfolgreiches und sehr niedliches Puzzle-Spiel für Facebook, iOS und Android. Das Spielprinzip ist denkbar einfach: Als Waldläufer muss ich jedes Jahr im Winter die Kinder eines Dorfes roguelike-rundenweise aus einem zufällig generierten Schachbrettwald retten. Dabei hilft ein magischer Wanderstock, mit dem ich Steine, Bäume und Tiere aufhebe, sie durch den Wald trage, aus dem Weg schmeiße, um dann schließlich ein Kind in die Hände der Mutter zu werfen.

Road Not Taken

Der Wald ist dabei in eine Reihe von zufällig generierten “Puzzle-Räumen” unterteilt und um sie zu öffnen, müssen auf jeder Waldlichtung bestimmte Gegenstände miteinander in Kontakt gebracht werden. Dann muss ich beispielsweise drei knorrige Bäume aneinander werfen. Bestimmte Objekte reagieren dabei miteinander: Aus drei Flammengeistern wird eine Axt, eine Axt geworfen auf einen Baum macht einen Holzscheit, zwei Holzscheite verwandeln sich in ein Lagerfeuer und ein Waschbär und ein Lagerfeuer erzeugen Waschbärragout. Das klingt jetzt ziemlich einleuchtend (so einleuchtend, dass Simon Parkin in seiner Review dieselbe Objektkette beschreibt), tatsächlich sind die Kombinationen aber unheimlich vielfältig und komplex und werden nur in einem leider sehr unübersichtlichen Logbuch festgehalten.

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Noch komplizierter wird es, weil der magische Wanderstock auf Tastendruck gleich jedes Objekt um den Waldläufer herum aufhebt und weil man die Richtung, in die man Objekte wirft, nicht frei auswählen kann. Beispiel? Im Feld über dem Waldläufer steht ein Baum, links daneben ein Waschbär. Ich drücke die Leertaste. Der Baum hängt über mir, der Waschbär links von mir. Drücke ich die Leertaste ein weiteres Mal, dann fliegt der Baum weiter nach oben, der Waschbär dagegen weiter nach links. Um trotzdem vernünftig Gegenstände zu kombinieren, kann sich der Waldläufer mit aufgehobenen Gegenständen bewegen, verliert dann aber knappe Energie pro Schritt. Und das ist der Moment, in dem The Road Not Taken ziemlich düster wird.

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Je weiter das Spiel fortschreitet, umso komplizierter wird es, die Kinder aus dem Wald zu retten und umso knapper wird auch die Energie. Ohne Energie stirbt der Waldläufer und das Spiel ist vorbei und all die Arbeit umsonst. Es gibt aber einen anderen Weg. Um nicht vom Bürgermeister aus dem Dorf geworfen zu werden, reicht es nämlich nur, die Hälfte aller verlorenen Kinder zurückzubringen. Und dann stehe ich mit zwei Kindern auf der verschneiten Lichtung, umringt von Wölfen und sehe die mickrigen zehn übrigen Energiepunkte und denke mir: Sind die Kinder das Risiko wirklich wert?

Natürlich ist die Frage abstrakt. Die Kinder in The Road Not Taken sind kleine, heulende, putzige Videospielobjekte und wenn ich sie im Wald zurücklasse, weil ich mein eigenes Wohl über das ihre stelle, um nächstes Jahr mehr Kinder zu retten, dann will ich bloß eine bessere Highscore erreichen. Das macht mich nicht zu einem schlechten Menschen. Sage ich mir. Das flaue Gefühl in meinem Magen ist aber ein durchaus bewusstes Designelement. Laut Spry-Fox-Chef Daniel Cook ist The Road Not Taken ein sehr persönliches Spiel. Es geht darum, dass Cook selbst wohl nie Kinder haben wird. Weil Beziehungen nicht funktionieren wie geplant und weil Jobs dazwischenkommen. Weil das Leben nicht immer so läuft, wie wir uns das vorgestellt haben und weil drei Wölfe auf einer Lichtung mit einem Schneesturm hocken.

Road Not Taken

Okay, ich gebe zu, das hört sich nicht nach Spaß an, sondern als hätte Spry Fox Lars von Trier als Co-Designer an Bord geholt. Die zufällig generierten Puzzle wirken anfangs oft unschaffbar schwer, die Kombinationen der Objekte im Wald sind arkan und wer hier einen lockeren Nachfolger für Triple Town erwartet, wird traumatisiert enttäuscht. Und dennoch: Ich kann nicht aufhören, es zu spielen. Vielleicht, weil es so viele Geheimnisse zu entdecken gibt, oder weil das Spannungsfeld zwischen dem Beziehungsaufbau zu Dorfbewohnern und dem Eintauschen von Resourcen für Checkpoints so unglaublich gemein ist, oder auch, weil die Puzzle-Mechanik so einfach und doch so komplex ist, dass ich jeden Winter etwas neues lerne. The Road Not Taken ist kein leichtherziges Puzzle-Spiel, aber es ist ein faszinierendes Spiel zwischen Roguelike, Schiebepuzzle und unbequemen Wahrheiten.

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