SEGA Mega Drive/Genesis: Collected Works

In den 90er Jahren erschütterte ein Krieg die Welt. Ein Krieg zwischen zwei Fronten, der sich über mehrere Kontinente erstreckte und dessen Spätfolgen einen der Kombattanten in die Knie zwangen. Die Rede ist von dem Grabenkampf zwischen Sega und Nintendo, den jeder videospielbegeisterte Mensch damals mindestens verfolgt, wenn nicht vorangetrieben haben dürfte. Mit Sega Mega Drive/Genesis: Collected Works wird dieser Ära nun ein literarisches Denkmal gesetzt.

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Das 352 Seiten umfassende Werk ist eine buchförmige Liebeserklärung an den wohl größten Erfolg, den die japanische Firma je verbuchen konnte: Die in ihrer Heimat und Europa als Sega Mega Drive und in den USA als Genesis vermarktete Konsole war für den bisher außerhalb der Arcade-Hallen wenig beachteten Konzern in der Tat ein Neuanfang. Wohlwissend darum, Nintendo auf heimischem Terrain niemals ausbooten zu können, konzentrierte sich Sega auf den US-amerikanischen Markt und konnte dort durch ruppige Werbestrategien und den stilistischen Fokus auf die Teenager der MTV-Generation eine riesige Fangemeinde für sich gewinnen. Der Marktanteil der Firma stieg innerhalb von neun Jahren von sechs auf fünfundfünfzig Prozent an – eine einzigartige Leistung, auch für Sega, die sich beim Sprung in die neue Ära der CD-Technologie drastisch verkalkulierten und nie wieder ein so ernstzunehmender Konkurrent für Nintendo sein würden, wie zur Hochphase des Mega Drive.

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„The Genesis […] hadn’t just captured the teenage market, it had captured the zeitgeist. The machine was speaking to a generation that had grown up with MTV, a generation raised on jump cuts and dislocated narratives. […] For these kids, the Genesis was now am aspirational product that measured up to the teen generation’s universal yardstick – it was cool.”

Finanziert durch eine Kickstarter-Kampagne, die mehr als das dreifache des ursprünglich angestrebten Budgets von 30.000 $ einbrachte, geriet das neue Projekt von Read-Only Memory, die zuvor für das Buch Sensible Software verantwortlich zeichneten, ebenfalls zum Überraschungserfolg. Und das Vertrauen der insgesamt 2237 Unterstützer_innen wurde nicht enttäuscht: Sega Mega Drive/Genesis: Collected Works ist eine in ihrem Umfang und ihrer inhaltlichen Vielfalt vermutlich einzigartige Lektüre, der das Interesse des Autoren Keith Stuart an seinem Thema aus jeder Zeile dringt.

In minutiöser Recherchearbeit hat er historische Fakten, zahlreiche Bilder und Einblicke in die Designdokumente von Hard- und Software sorgfältig zusammengetragen und zu einem homogenen Band vereint, der ebenso informativ wie ästhetisch ansprechend ist. Gelegt wird der Fokus dabei auf eine überschaubare Menge von Titeln, unter denen neben Klassikern wie „Sonic“ mit „Cyber Police ESWAT“ und „Vectorman“ auch etwas weniger bekannte zu finden sind. Eben das tut dem Werk gut, weil es die Informationsdichte so kontant hoch halten kann. Die Detailverliebtheit schlägt sich auch in den – nur quantitativ hinter den Bildern zurücktretenden – Texten nieder, führt jedoch nur selten zu Absätzen voller schwer verständlichem Fachjargon, sondern zu einer sehr lebendigen Sprache, die offensichtlicher Begeisterung entspringt und in diesem Sinne ansteckend ist.

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Eine persönliche Note erhalten die Textpassagen auch durch Zitate aus Interviews, von denen einige in voller Länge abgedruckt wurden und das Buch abschließen. Hier tun sich kuriose Geschichten auf, etwa Produzent Scott Bayless’ reumütiges Geständnis, dass das viel beschworene Blast Processing, mit dem die Konsole zeitweise beworben wurde, tatsächlich nichts als eine hohle Marketingphrase war, die auf einem Missverständnis fußte. Oder die Tatsache, dass der spätere Sega of America CEO Tom Kalinske sein Jobangebot vom Firmenvorstand Nakayama höchstselbst erhielt – am Strand von Hawaii, nachdem der überambitionierte Chef seinen späteren Angestellten überwacht und in den Familienurlaub verfolgt hatte. Berichte wie diese zeigen, welchen immensen Einfluss das 16-Bit-Gerät auf den Alltag von Spieler_innen wie Entwickler_innen hatte.

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David Perry, als Programmierer verantwortlich für Titel wie „Aladdin“ und „Earthworm Jim“, bescheinigt dem Mega Drive im Vorwort des Buches gar eine lebenverändernde Wirkung und resümiert seine Karrieentwicklung durch den Wechsel vom selbstgebastelten Schreibtisch im Haus seiner Mutter zu den großen Bühnen der Elektronikfachmessen. Hier zeigt sich allerdings auch: Wem beim Anblick des glänzenden, schwarzen Gehäuses selbst keine Anekdoten in den Sinn kommen, wird dieses Buch vermutlich maximal für Recherchezwecke nutzen und sonst nicht allzu viel damit anfangen können. Als Coffee Table Book ist es zu speziell und verdient aufgrund seines Umfangs eher, als neues Standardwerk zur Historie einer bis heute beliebten Konsole gehandelt zu werden.

Selbst hätte ich nun wieder große Lust, mein Mega Drive II zu entstauben und Erinnerungen an eine Kindheit wieder aufleben zu lassen, die ich zu einem nicht unerheblichen Teil mit meinem Freund Dennis und „Cool Spot“, „Der König der Löwen“, „Toe Jam & Earl“ und „Castle of Illusion“ verbrachte. Der Platz im Regal mag klein und unscheinbar sein, in meinem Herzen wird die Konsole dafür auf alle Zeit einen umso größeren beanspruchen können.