Strike Suit Zero

Es ist Oktober 1999 und du bist elf Jahre alt. Obwohl dein Lieblingsfilm Matrix ist (wegen der Mäntel!), verschlingst du immer noch jeden Sonntag Cartoons auf RTL und Super RTL — neben dir ein PC-Spieleheft voller Helden, die dich 13 Jahre später nur enttäuschen werden. Und dort siehst du es zwischen Disneys Großer Pause und Doug: Das Spielzeug, das du haben musst, so schnell wie möglich. Es kann Gummidarts verschießen und es ist ein Roboter und ein Transformer und es kann fliegen und ist ferngesteuert und EXTREME und teuer. Sehr, sehr teuer. Aber vielleicht zu Weihnachten? Vielleicht schon bald?

In den kommenden Wochen, in denen du pflichtbewusst die Mathe-Hausaufgaben machst, für Diktakte übst und Aufsätze schreibst, versuchst du deinen Eltern den Gedanken einzutrichtern, dass du es brauchst. Der ferngesteuerte Transformerroboterdartschießweltraumhubschrauber ist das erste und das letzte Spielzeug, das du jemals willst. Versprochen! Die Werbespots zwischen den Cartoons am Sonntag schlagen kontinuierlich. Sie werden noch aggressiver, im November und Anfang Dezember drehen sie voll auf. Natürlich manipuliert dich die Werbung nicht, so denkst du, denn dafür bist du zu klug, aber dieses eine Spielzeug musst du haben.

Es ist der 18. Dezember, du bist erkältet und deine Eltern haben dich mit einer Thermoskanne Tee und einem halben Paracetamol im Bett gelassen. Sobald die Haustür hinter deiner Mutter ins Schloss fällt, schleichst du dich ins Schlafzimmer und schiebst die Schranktür zur Seite. Dort waren immer schon die Weihnachtsgeschenke verstaut. Dort siehst du es. Sie haben es dir tatsächlich gekauft und in nur einer Woche ist es deins. Für einen Augenblick bist du erfüllt mit Freude und Liebe. Das war das Zehnfache deines Taschengelds!

Es ist der 24. Dezember und du packst dein Geschenk aus. Du stellst dich überrascht, obwohl jeder im Raum weiß, dass dieses Geschenk keine Überraschung ist. Du reißst die Verpackung auf, schneidest durch das dicke Plastik mit der Haushaltsschere, wirfst ungeduldig das dünne Handbuch und die Sicherheitshinweise zur Seite. Deine Familie lächelt gnädig und leicht amüsiert auf dich vom Essenstisch herab. Du nimmst die Fernbedienung deines Transformerroboterdartschießweltraumhubschraubers in die Hand. Du siehst: Batteries not included. Dein breites Grinsen kehrt sich um.

Zwei Tage später hast du endlich passende Batterien gefunden. Du wünschtest, du hättest es gleich sein gelassen. Der Hubschrauber verwandelt sich nur lustlos in einen Roboter. Als Flug ist das kurze Hüpfen kaum zu bezeichnen und die Darts verschießt es nur, wenn du drei mal hintereinander und mit großer Kraftanstrengung den Abzug betätigst. Die Werbung hat gelogen. Peter aus der Parallelklasse hat gelogen. Du hättest Baldur’s Gate haben können. Oder einen Matrix-Mantel. Aber dir war bloß Strike Suit Zero vergönnt.