The Artist Is Present
Im vergangenen Jahr setzte sich die Performance-Künstlerin Marina Abramovic in das New Yorker Museum of Modern Art, sagte und tat nichts. Zweieinhalb Monate lang. Einzelne Besucher konnten sich zu ihr gesellen und für einen beliebigen Zeitraum Teil der Darbietung sein. Abramovic taufte ihr Projekt „The Artist Is Present“. Schnell führte ein überwältigendes Interesse zu einem Massenanstehen. Um dabei zu sein, standen Leute meist stundenlang in der Warteschlange. Pippin Barr ließ sich inspirieren und hat ein Spiel daraus gemacht, das vom Spiegel zum langweiligsten der Welt erklärt wurde.
Denn während Barrs Vorgängerwerk ganz auf Reaktionsschnelle und Präzision ausgelegt ist, zählt hier nur ein Grundsatz: „All you have to do is wait.“ Obwohl ich mich aus Ungeduldsgründen nicht einmal auf der gamescom in kilometerlange Ansteh-Orgien begebe, sah ich in diesem lähmenden Spielprinzip eine verlockende Herausforderung, der ich unbedingt gewachsen sein wollte. Ein Erfahrungsbericht.
Als ich zum ersten Mal das Museum betreten wollte, stand ich vor verschlossenen Türen. „The Museum of Modern Art is closed.“ Ich probierte mir einen alternativen Zugang zu verschaffen oder wenigstens die Umgebung zu erkunden, ohne Erfolg. Dann fühlte ich mich irgendwie verarscht und brach das Spiel ab, um es erstmal nicht mehr anzurühren. Bis ich verstand, dass dort einfach alles wie im echten Leben ist. Und die Schlange manchmal kürzer. Donnerstag Abend, Zeit für einen Neuanfang.
Gegen 19 Uhr stellte ich mich in die Schlange. Und wartete. Nachdem eine ganze Weile rein gar nichts passierte (außer, dass ich einige Male dumm und neugierig die Schlange verließ und dadurch meinen Platz verlor, weil zwischenzeitig neue Besucher herbeikamen), ließ ich das Spektakel schließlich im Hintergrund weiterlaufen, während ich mich mit anderen Dingen beschäftigte. Eine Stunde später stand ich noch immer an meinem Ausgangspunkt. Nach einer weiteren Stunde befanden sich immerhin drei Neuankömmlinge hinter mir. Irgendwann stand ich aus unerklärlichen Gründen neben der Schlange. Ich habe das Aufrücken verpasst, was drei Vordrängler zur Folge hat. Arschköpfe. Kurz darauf sind wieder einige hinter mir. Meine Abwesenheitsstrategie hat sich als Fehler erwiesen.
22 Uhr. In anderthalb Stunden schließt das Museum. Keine Ahnung, wer jetzt alles meinen Hintern bewundern darf. Die anderen sind nun jenseits des Bildschirmrandes verschwunden. Bisher bin ich jedenfalls keinen verbumsten Platz vorwärts gekommen. Natürlich kribbelt es mir in den Fingern zu schummeln, aber ich kenne die Auswirkungen. Viertel vor elf. Weil ich mich zu oft einen Millimeter gerührt habe, um zu prüfen, ob sich das Spiel aufgehängt hat oder um mich wenigstens überhaupt irgendwie zu bewegen, bin ich rausgeflogen. Da stehe ich wieder vor der Teufelspforte. Ich bin jetzt als dreister Drängler bekannt. Zum Glück habe ich nebenbei andere Sachen erledigt und muss den Abend nicht als vergeudet betrachten. Tschüß, Marina. Wir haben uns nie getroffen. Schönen Feierabend, du abstruse Pixeltante. Und dennoch möchte ich euch dieses Experiment ans Herz legen. Weil es irgendwie großartig und außergewöhnlich und kackbescheuert ist. Und circa das langweiligste der Welt.
Mehr zur Performance, mehr über das Spiel und ein Interview mit Pippin Barr hier.